13 Cases für ein Showcase Festival – Highlights vom Waves Vienna 2023

Die Vielfalt am Waves Vienna 2023 war wieder nahezu unüberschaubar. Wir haben trotzdem versucht einige Schmankerl herauszupicken.

© Waves Vienna

Abwechslung und Überraschung sind die Eckpfeiler eines Showcase Festivals. Neue Dinge zu sehen, über den Tellerrand zu blicken. Wie bei kaum einer anderen Festivalform sind gutes Booking und gute Programmierung das Um und Auf, von dem das ganze Festival abhängt. Das Waves Vienna hat es auch dieses Jahr wieder geschafft eine diverse Mischung an Musiker*innen zu versammeln, die nicht nur zeigen, wie breit die Musikszene aktuell ist, sondern auch wo genau die spannenden Nischen zu finden sind und wo es sich lohnt näher hinzuschauen.

Donnerstag

Bon Jour (bf)

Bon Jour (Foto: Hannah Tögel)

Schon irgendwie spannend. Es hat was Verschwörerisches eine Band, die sich in den Medien anonym gibt Live zu sehen. Ganz ohne (digitale) Masken. Und quasi verdoppelt, stehen doch statt drei, satte sechs Leute auf der Bühne. Das tut Sound wie Performance gut, insbesondere im Metropol, der größten Venue des diesjährigen Waves Festivals. Die Band grooved sich auf der Bühne ab und hat offensichtlich immens Spaß bei der Sache. Das Publikum trotz relativ früher Stunde und entsprechend verbesserungswürdiger Menge auch. Für den Schlussakkord kommen die drei Kern-Bon-Jours dann auf der Bühne zusammen. Ein bisschen wie im Proberaum, in dem das Projekt angeblich entstanden ist. Das Geheimnis um die Identität werden wir übrigens hier nicht lüften. Alle Neugierdspinsel müssen sich also selbst zu einem der Konzerte schleppen. Es wird sich lohnen!

Cousines Like Shit (bf)

Cousines Like Shit (Foto: Michael Marlovics)

Donnerstag war ich bewegungsfaul und hab mich nicht weit vom Metropol wegbewegt. War halt bei der Qualität der Acts dort auch nicht nötig. Über Cousines Like Shit hab ich ja schon genug Lobeshymnen geschrieben. Aber für alle, die hier neu sind, eine Kurzbeschreibung: Genre nach Selbstidentifikation ist Avant-Trash. Das klingt nach post-punkigem Gitarrenpop mit Vocals im Cousinen-Duett von links außen. Ein bisschen dissonant, ein bisschen dreamy, viel trockener Humor. Aber das Konzert beim Waves Vienna hat mich dann doch überrascht. Vorher hätte ich ihnen das Prädikat »punkig« wohl nicht unbedingt gegeben. Selbst die erste Performance, die ich von ihnen gesehen habe (Vestibül beim Impulstanz, »presented by The Gap«) war eher punkig in Bezug auf den DIY-Vibe der ganzen Angelegenheit. Da zeigt sich mal wieder, wie deutlich der Unterschied zwischen Aufnahme und Live sein kann. Und zwischen Live und Live.

Annie Taylor (bf)

Annie Taylor (Foto: Klaus Zwinger)

Eine Band bei der die Punk-Anleihen echt nicht gesucht werden müssen ist die Schweizer Grunge-Revival-Band Annie Taylor. Benannt nach der ersten Person, die sich im Fass die Niagarafälle hinab gestürzt hat, hat ihr Auftritt durchaus Ähnlichkeit mit dieser todesmutigen Achterbahnfahrt. Halt weniger der todesmutige als mehr der Achterbahn-Teil. Denn die Band startet ansatzlos bei hundert und donnert dann – von ein paar langsameren Kurven abgesehen – gnadenlos dahin bis zum bitteren Ende. Bitter, weil viel zu schnell vorbei, auch wenn ich der Band durchaus vergönne nach dem Höllenritt verschnaufen zu können. Denn Annie Taylor haut echt alles auf die Bühne, da bleibt keine Reserve im Tank. Irgendwie hätte ich sie trotzdem gerne in einer engeren, muffigeren, dreckigeren Location gesehen. Shelter oder so. Das ist glaub ich die natürliche Umgebung für so eine Band.

Freitag

Salamirecorder & The Hi-Fi-Phonos (do)

Die klassische Bühnenansage »bitte näherkommen« ist in der Regel eine verzweifelte, hier aber bereits am sehr frühen Abend vor allem auch im ersten Impuls als Sicherheitsgedanke: Es staut sich im Chelsea, einer der größten Venues der heurigen Ausgabe des Waves Vienna, auch die am Eingang wollen noch rein. Das sollten sie auch unbedingt, der erst zwanzigjährige Felix Schnabel, der etwa auch bei den Laundromat Chicks herumwerkt, aber dort eher im Hintergrund, quält seine schnittige Gitarre, entlockt ihr wunderbar surfige Garage-Stücke früher nordamerikanischer Machart, weißt eh, wo die originalen Singles so teuer sind. Wenn sie Lieder wie den Hit »Eyeliner« oder – mein Favorit – »No Sorry« auf die nächste »Nuggets«-Compilation schmuggeln, fällt das keiner Sau auf. Also nicht weil sie langweilig wären, sondern weil hier einfach alles stimmt.

Gents (do)

Gents (Foto: Maria Viola Kaufmann)

Dass eine Gruppe mit bereits 3 Alben im Backkatalog ein Showcase-Festival bespielt, ist nicht unbedingt 10/10 ungewöhnlich, aber auch 8/10 ungewöhnlich macht es durchaus bemerkenswert: Selbiges lässt sich auch über die sehr slicken Dänen von Gents sagen, die sich erstmals in Österreich zeigen und vom Look her den Dave Gahan studiert haben, das kann man sicher so sagen. Dazu noch tiefer Gesang, seltsame Blasinstrumente und Synths, welche die Schrittfrequenz zwischen Wave und Rave variieren. Viel mehr benötigt es nicht, die von yours truly The Gap präsentierte Bühne im Gürtellokal Rhiz zu füllen – überhaupt braucht sich keine der Gruppen über zu wenig Zulauf beschweren, die etablierten Konzertlocations füllen sich tatsächlich wie von selbst.

Chalk (do)

Chalk (Foto: Maria Viola Kaufmann)

Über mangelndes Interesse können sich auch die Iren von Chalk nicht beschweren, obwohl das Hadern dem Trio in die Genetik geritzt zu sein scheint – die namensgebende Kreide zu fressen, liegt also fern. Stattdessen schreien sich die Wave-Post-Punker, die schon vorher als eine der größten und wichtigsten und geilsten Acts des Festivals getuschelt wurden, obwohl oder gerade weil sie erst drei Handvoll Konzerte in den Knochen haben, den Frust aus der Seele. Intensiv an der Hochschule der Idles und der Fountaines D.C. geschult, flackern düstere Beats zu Neonlichtern, an den vielen schnellen Stellen bilden sich im sonst so auskennerisch-reservierten Waves-Publikum vereinzelte Versuche von Moshpits und Jumparounds – die Musik gibt das allemal her, das erneut eben bis zum letzten Platz vollgestopfte Chelsea nur bedingt –  aber zumindest für kollektive emotionale Ekstase ist bekanntlich Platz in der kleinsten Hütte.

Bex (bf)

Bex (Foto: Hannah Tögel)

Die Frage was besser als Sex ist hat Bex am Freitag eindeutig beantwortet. Der Keller vom Loft ist ausgebrannt, zurückgeblieben ist nur eine Ruine. Metaphorisch natürlich. Denn trotz einem Set, in dem der vollgepackte Raum zunehmend ausgelassen und ekstatisch betanzt wurde, war auffällig wie bewusst und geschickt Bex immer wieder den Fokus darauf gesetzt hat, dass alle sicher, gemeinsam und trotzdem auf ihre eigene Art Spaß an der Sache haben können. Und Spaß wurde gehabt. Bex macht modernen Hip Hop und grast da so einige der populären Stile ab. Die Beats von Nono Punch bleiben aber immer immens tanzbar und ihr Flow, Charisma und können als MC (auch im klassischen Sinn) tun ihr Übriges. Dass Bex dann am folgenden den XA Award nach Hause nehmen durfte war für alle Anwesenden wohl keine große Überraschung. Außer angeblich für Bex selbst, was sie nur noch ein Stück sympathischer macht.

Reveal Party (bf)

Reveal Party (Foto: Hannah Tögel)

Bex ist wahrlich kein einfacher Act-to-follow. Als ich mich durch die Menschenmenge Richtung Ausgang und dringend notwendiger Frischluft quälte, wollte ich aber doch einen Blick auf die zweite Band der Dänischen Agentur »Queer Music Agency« werfen. Und blieb sofort hängen. Denn gerade als ich ins »Wohnzimmer« vom Loft reingehen will, kommt mir Frontfrau Emily singend mit akustischer Gitarre entgegen und hinterlässt etwas verdutztes Publikum und amüsierte Rest-Band im Saal für einen kleinen musikalischen Spaziergang durch die Venue. Überhaupt gibt sich die Band wenig zurückhaltend – sowohl mit dem Publikum als auch mit den eigenen Emotionen. In den folk-punkigen Songs verarbeitet die Band queere und trans Lebensrealitäten. Mal melancholisch, mal humoristisch, mal wütend, aber immer schonungslos und ehrlich.

Salomea (bf)

Salomea (Foto: Klaus Zwinger)

Vermutlich die größte Überraschung des Festivals war für mich die Kölner Band Salomea rund um Frontfrau Rebekka Salomea. Dass soll beileibe nicht heißen, dass mir, was ich davor von ihnen gehört habe, nicht gefallen hätte. Ich kann unter anderem ihre diesjährige Single »Eriqua« wärmstens empfehlen. Aber Live ist mir dann fast die Kinnlade runtergeklappt. Im Rhiz (und damit »presented by The Gap«, wie ich hier stolz verkünden darf) hab ich nicht nur eines der tightesten Sets des gesamten Festivals gesehen, sondern auch einen Musikmix der nahtlos von Trap, zu Jazz, zu R&B, zu clubbigen Elektrosounds wechselt, aber dank Rebekka Salomeas Vocals immer irgendwo im Hip Hop verwurzelt bleibt. Und all das mit Live-Instrumentalisierung! Der Drummer Leif Berger ist schlicht Wahnsinn und Yannis Anft an den Keys und Oliver Lutz am Bass komplementieren eine Band, die ihresgleichen sucht.

Samstag

Hidden Gemz (bf)

Am letzten Tag vom Waves Vienna gibt’s dann ein zweites Mal Hip Hop mit Live-Instrumentalisierung. Und ein zweites Mal einen Volltreffer. Diesmal etwas härter und rockiger als bei Salomea. Sogar teilweise hart an der Trommelfell-Schmerzgrenze, lautstärkemäßig. Aber die Band ist den potentiellen Hörsturz allemal wert! Drauf anlegen muss natürlich nicht sein: Ohrenschutz empfohlen. Denn auch mit ist da weitaus genug an Energie, die von der Bühne rüberschwappt. Hidden Gemz (vormals Livercheese) sind eine junge österreichische Kombo die ihrem Namen (noch) gerecht wird. Lang wird das vermutlich nicht so sein, denn das Fanialive war vollgepackt. Mit »hidden« war’s das also vermutlich. Ich für meinen Teil bin für die Zukunft jedenfalls schon sehr gespannt was da auf Platte kommen mag. In dem Bereich ist nämlich zur Zeit noch nicht besonders viel zu finden.

Filly (bf)

Als Journalist fühle ich manchmal diesen inneren Drang »neutral« zu bleiben, »objektiv«. Das ist natürlich Blödsinn. Gerade wenn ich ehrlich Fan von einem Act bin geht das erstens nicht und zweitens sehe ich auch den Nutzen nicht. Wem ist damit geholfen, wenn ich so tue, als würde mich Musik nicht mitreißen bzw. zutiefst bewegen. Oder alternativ, als würde sie das aus »objektiven« Gründen tun. Insofern hier ganz offen und direkt: ich bin Fan von Filly. Großer Fan. Die EP »Watching Strangers Smile« läuft bei mir mittlerweile seit Monaten in Dauer-Rotation. In der Folge ist wohl kaum verwunderlich, dass ich auf kaum einen Auftritt beim Waves Vienna mehr hingefiebert habe als auf den von Filly. Und der hat alles gehalten, was ich mir davon versprochen habe. Für das Set im Keller vom Loft hat Filly den »Hyper«-Teil von Hyperpop nochmal ein paar Stufen raufgeschraubt. Die extrem ohrwurmigen Melodien auf satten Clubbeats, die die Luft im Raum wortwörtlich zum Vibrieren brachte, ließen spätestens bei »Motorola« auch den letzten Hemmung im Raum schmelzen. Kein Wunder (und von dieser Seite auch keine Beschwerde) also, dass Fillys größter Hit für die Zugabe dann einfach nochmal kam. Songs von Filly lassen sich ohnehin nicht zu oft hören. Glaubt mir, ich hab’s ausprobiert.

Shybits (do)

Shybits (Foto: Patrick Münnich)

Dass die 90er und frühen 00er »zurück« sind, ist in Hinblick auf Fashion und Musik noch weniger ein Geheimnis als die neuesten Szenegspusis. Auch die Berliner Shybits, die obwohl nur zu dritt, aus aller Herren Ländern kommen, haben frisuren- und soundtechnisch aus vor zwanzig Jahren gewildert. Sie klingen wie der Soundtrack zu diesen leider nur ganz spärlich gesäten alternativen Coming-of-Age-Filmen, in denen Loser die Haupt- und Herzensrollen spielen, in mit Weezer-Postern beklebten Jugendzimmern und Dormrooms, bis junge Frauen – meistens! – in 1460er Dr. Martens und Hornbrillen Freundschaften und Herzen brechen. Selbige Pumporgane gewinnt das Trio im wieder proppevollen Rhiz: Breiiger und damit ziemlich cooler, slackiger Zwiegesang mit verschleppend-krachendem College-Rock amerikanischer Schule kommt auch diesseits des Atlantiks gut an. Schließlich kann sich auch das Publikum hierzulande den Trends nicht erwehren.

Rauchen (do)

Rauchen (Foto: Maria Viola Kaufmann)

Das Waves Vienna – so ist es eben als Showcase-Festival – ist auch immer ein Wandeln zwischen den Genres, jede Tür öffnet eine neue Welt. Es ist vor diesem Hintergrund fast schon kitschig, dass die Hamburger Gruppe Rauchen als zumindest gefühlter Headliner einen Schlussakkord bildet: Zu Beginn durfte das Publikum, das schon sehr zahlreich vor der Soundcheck-Tür ausharren musste, noch drei Nummern hören, welche die Post-Punk-Ästhetik der Opener des immer noch aktuellen Albums »Nein« atmet, bevor Frontfrau Nadine endlich zum Schreien beginnt: Powerviolence – du darfst es so nennen – for the win. Es hagelt wütende Ansagen gegen Raum einnehmende Männlichkeiten, für mehr Praxis im feministischen Kampf. Deutschland und Fußballmacker verlieren gleich doppelt. Dass die DFB-Elf gleichzeitig gegen Japan 1:4 verliert, nennen wir es einen Wink des Schicksals. Der Genremix im Chelsea geht unterdessen weiter, Post-Punk und am Ende wird wieder mit dem Vorschlaghammer auf die Kacke und vor allem gegen diese gehauen. Und damit alle Grenzen gesprengt.

Das Waves Vienna 2023 fand von 7. bis 9. September statt.

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