Online "nur zum Schauen", für einen One-Night-Stand oder die große Liebe. Internet-Dating ist so vielschichtig wie seine Nutzer. Von Selbsterkenntnis und -inszenierung über Algorithmen bis zu Romantik.
To The Left, To The Left…
Wenn man in kleinen italienischen Orten nach dem Weg fragt, wird man angeblich immer nach rechts geschickt. Dass die Worte rechts und richtig sprachgeschichtlich zusammenhängen, sieht man zum Beispiel am englischen Adjektiv "right", das beide Bedeutungen trägt. Links ist die schlechte Seite. Das lässt sich auch an Beyoncé-Lyrics verdeutlichen: In "Irreplaceable" schafft Queen B ihrem Lover an, sein Hab und Gut in die Box To The Left zu räumen, bevor sie ihn rausschmeißt.
Tinder, eine Dating-App, funktioniert auch nach diesem bewährten System. Die Fotos vom potenziell richtigen Significant Other kommen wie erwartet nach rechts; wer nicht gefällt, wird nach links geswipet und taucht auch nie wieder auf. Mancherorts hat sich dafür bereits die Bezeichnungen "jmd. righten/ leften" etabliert. Die gelinkte Person wird das nie direkt erfahren. Tinder fokussiert auf das Positive, chatten geht nur, wenn es beide wollen. Man kann also keinen Kontakt zu Leuten aufnehmen, die nicht an einem interessiert sind und umgekehrt. Damit es nicht nur ums Äußere geht, werden – wegen der verpflichtenden Facebook-Verknüpfung – außerdem gemeinsame Interessen und Freunde angezeigt. Dazu stellt man noch Altersvorlieben, Geschlecht und – über die freiwillige mobile Ortung – die gewünschte Distanz ein und fertig.
Oberflächlichkeit und kompakte Selbstinszenierung
Was zuerst recht oberflächlich daherkommt, erweist sich bei näherem Hinsehen aber als sehr gutes, weil reduziertes Set für die Partnersuche: Leute aus der Gegend, Alter, Interessensüberschneidungen, Freunde und vor allem gegenseitige Attraktion sind zwar wenige, aber sicherlich relevante Pfeiler einer zwischenmenschlichen Beziehung; ob ein verpatztes Date, ein One-Night-Stand oder doch die große Liebe liegt nicht mehr im Aufgabenbereich der App, sondern in dem der Spieler.
Denn Tinder ist natürlich ein Spiel. Der ideale Zeitvertreib im Bus, oder wenn’s am Klo mal länger dauert. Es kombiniert gebieterisches "Du bist mir nicht gut genug"-Gehabe mit der Aufgabe, sich selbst auf die Essenz herunterzubrechen: Ein paar gute, effektive Fotos und eine kurze Beschreibung müssen reichen. Selbstinszenierung kompakt.
Tinder ist wie Tatort
Online-Dating zwingt die User zumindest minimal zu reflektieren, was sie über sich selbst denken und was sie von anderen wollen. Ideal für Menschen, die wenig Berührungsängste mit dem Internet haben und es nicht wie früher als letzten verzweifelten Schritt, sondern eine gleichwertige Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen, sehen. Schnuppern, Zeitvertreib, Cruisen oder nur ein Hobby – Die Verwendungsmöglichkeiten sind so unterschiedlich wie die Nutzer. So gibt es dort auch Menschen, die sich von Objekten weitaus mehr angesprochen fühlen als vom klassischen Bikini-Selfie:
"Man schaut auch jeden Tatort, obwohl die meisten schlecht sind. Aber irgendwann ist einer dann doch gut und stell dir vor, das passiert auf Tinder. Im Nachhinein kann man dann behaupten, man sei ja gar nicht oberflächlich, weil man nicht mal wusste, wie er/sie/was auch immer aussieht. Dann fühlt man sich gleich viel besser, denn man ist ja konsumkritisch, wählt alternativ und legt Wert auf den Charakter", so ein bekennender User.
So ähnlich wie Tinder funktionieren auch Grindr und Blendr (für homo- und bisexuelle Männer), außer dass der Liebespfeil eher ins Hosi- als ins Herzilein zielt. Ein Merksatz drängt sich bei Grindr und Blendr auf: "Ohne ‚e‘ im Namen, geht es um den Samen." Hat natürlich auch seine Berechtigung.