We Never Change, Do We?

Tame Impalas drittes Album vereint Pop, Pathos und Party miteinander. Mit "Currents" gelingt der Band ein neuartiges, sehr stimmiges, ja wirklich, Meisterwerk.

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Zelltechnisch erneuert sich der Körper alle sieben Jahre, aber auch diese These ist wahrscheinlich schon überholt. In unseren rasanten, über und über medial geprägten 10er Jahren ist es durchaus vorstellbar, dass sich sogar der menschliche Biorhythmus schon selbst ausgetrickst hat. Und sich dann einfach mal alle drei Jahre generalsaniert.

So scheint das jedenfalls im Fall von Kevin Parker zu funktionieren, dem Mann, der beim Projekt Tame Impala die Stricke zieht. Tame Impala live versteht sich als Band, die Instrumente hat Parker jedoch völlig im Alleingang eingespielt – und auch der Rest, Melodien, Lyrics, stammen aus seiner Feder. Den Tüftler kehrt er dann vor allem in den ausufernden Instrumentalparts hervor, wenn zum Beispiel bei "The Moment" abwechselnd im Takt geklatscht und geschnippt wird. Es sind schlaue Soundspielereien, auf die er sich trotzdem nichts einbildet. Kevin Parker versteht sich als Künstler, der anfangs einen noch eher introvertierten Zugang zum eigenen Schaffen gepflegt hat, jetzt aber erstmalig versucht, direkt von der Leber weg zu schreiben.

Wandel

"Yes I’m changing/ Yes I’m gone / Yes I’m older / Yes I’m moving on/ And if you don’t think it’s a crime / You can come along / with me" – so heißt es in "Yes, I’m changing". Um wieder zum Begriff Erneuerung zurückzukehren: diese muss man auf "Currents" beinahe schon als Leitmotiv verstehen. Mal mehr, mal weniger subtil. Er wirft es dem Zuhörer als fast trotziges Statement vor die Füße. Wie ein Aufstand gegen jahrelange Zurückhaltung poltern dann Zeilen wie "They say people never change/ but that’s bullshit/ they do" daher. Waren die Alben "Innerspeaker" und "Lonerism" (und das nicht nur aufgrund der bedeutungsschwangeren Titel) von Spielereien mit Introvertiertheit geprägt, ist "Currents" nun wie die Faust, die auf den Tisch schlägt.

Er habe sich nun einfach getraut, so Parker. Was getraut? Mit elf hat er die ersten Takte am eigenen Drumset getrommelt, dilettantisch aufgenommen und zusammengeschnitten. Wie so oft war das aber auch der fast schon wichtigste Meilenstein seiner frühen autodidaktischen Musikerziehung: Auch heute plädiert er noch dafür, dass ein Song vor allem eines braucht, nämlich ein gutes Drumset. Dies sei das Um und Auf, so Parker. Klavier, Gitarre – alles braucht Konzentration, viel Bemühen, viele vorgefertigte Ideen. Am Schlagzeug aber geht es nur ums Gefühl – ob der Beat passt, oder eben nicht.

Tame Impala klingt immer nach Tame Impala

Mittlerweile beherrscht der Multiinstrumentalist so gut wie alle Instrumente. Aufgewachsen und sozialisiert in den frühen Neunzigern (Parker ist 1986 geboren) bleibt ihm aus dem Kinderzimmer vor allem der eingängig-süßlich, melodiöse Pop der Beach Boys und Michael Jacksons in den Ohren hängen. Später mischt sich Psychedelisches hinzu, Pate stehen hier unter anderem Pink Floyd.

Mit "Currents" stellt Kevin Parker ein Popalbum im besten Sinne vor. Es geht dabei um Melodie, Eingängigkeit und Emotionalität. Ohne Angst vor Verkitschung schmettert er Texte zu life und love dahin, dass es nur so schmalzt. Der Kampf mit sich selbst, Eingeständnisse und das Nichtweiterwissen stehen im Mittelpunkt. Kevin Parker singt sich den Kummer von der Seele und scheut keinen Pathos: "And I know just what to do / And it’t got to be soon/ ‘cause I know that I’ll be happier / And I know you will, too – eventually". Abgesehen davon geht Parker auch im Ton einen Schritt weiter: Seine Stimme versteckt er nun nicht mehr hinter großen Klang und Hall, hinter Verzerrungen und Überschneidungen. Klar und deutlich ist sein Falsett auf jedem Stück zu hören.

Das Album ist nun kein depressiv-amouröser Abklatsch. Das beweist unter anderem der Opener, ein Einstieg in ein Album, das mühelos zwischen scheinbar unvereinbaren Genres hin- und herspringt. Mit Absicht wurde das Album dancefloortauglicher, weniger psychedelisch produziert. Er würde seine Musik einfach ganz gerne auch einmal in Clubs hören – bzw. dass die Leute dazu tanzen, meinte Parker. Er war seither ein experimentierfreudiger Musiker; nun gelingt es ihm jedoch, atmosphärische, abstrakte Klangflächen mit klassischer, kompakter Popmusik zu mischen. Disco-Pop trifft eklektische Elektronika, sogar Ausflüge in die Hochblüte des R’n’B der späten 80er/90er Jahre sind dabei.

Wenige Alben wurden mit solcher Spannung Tame Impala erwartet. Vier Tracks konnte man sich vorab online anhören. Für "Cause I’m A Man" regnete es Sexismus-Vorwürfe. Immerhin heißt es da – wenn auch mit zwinkernden Auge –: "Cause I’m a man, woman/ Don’t always think before I do". Er hätte provozieren wollen. Der Text besticht in erster Linie durch die Assoziation, die er hervorruft: Das ist schlicht die perfekte Musik zum Liebesspiel. Im Artwork geraten zwei Bälle in Schwingung. Der Sound: schwülstiger Softrock. Und so geht das weiter. Tame Impala schaffen es Erwartungen zu erfüllen, sie nicht zu weit von dem zu entfernen, wofür sie überall so gefeiert wurden und sich trotzdem sanft zu verändern. So schreibt man nicht weniger als eines der besten Alben des Jahres.

"Currents" erscheint am 17. Juli 2015 bei Interscope Records. Einen Stream gibt es bereits hier bei Americstreamlive. Wir sind nur nicht ganz sicher, ob der 100% legal ist.

Bild(er) © Fotos: End of the Road Festival Ltd 2015, 2014 The Line Of Best Fit
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