Die Amadeus Awards vergeben immer wieder honorige Auszeichnungen an österreichische Rockpensionisten. Das kann doch noch nicht alles sein?
Clara Luzia by Sarah Haas
»Die effektivste Zeitreisemaschine der Welt ist Musik.« Clara Luzia (Musikerin und Labelbetreiberin) ... das prädestiniert zum einen irgendwie dafür, sie gesammelt, aufgearbeitet, katalogisiert, dokumentiert und kommentiert ins Museum zu stellen, gleichzeitig mutet genau das dann aber auch wieder absurd an. Wer möchte denn seine eigene emotionale Landkarte von völlig Fremden gezeichnet (und dann möglicherweise als entstellt empfunden) vorgesetzt bekommen? Ist Musik bzw. deren Genuss und Rezeption letztlich nicht eine höchst private und intime Angelegenheit? Lässt sich das sinnvoll öffentlich kanonisieren? Der Blick von der anderen Seite – nämlich von Seiten der Musikschaffenden – zeigt allerdings, dass lebensverlängernde Maßnahmen wie Lifetime-Achievement-Awards, Gedenkstätten, Ausstellungen etc. durchaus ihre Berechtigung haben können. Eben als lebensverlängernde Maßnahme. Das Popbusiness ist sehr kurzlebig, und das kollektive Gedächtnis ist überfüllt und enden wollend. Wer sich nicht täglich mit lautem Gepolter in dieses einschreiben lässt, der und die ist nach spätestens einem halben Jahr wieder vergessen. Da kann sie/ er noch so großartige Musik veröffentlicht haben – zumal, wenn sie aus den Geschäften längst verschwunden ist. Das SR-Archiv im Museumsquartier ist ein gelungenes Beispiel wider das Vergessen: Bisher habe ich kaum jemanden gefunden, den oder die ich nicht im SR-Archiv aufstöbern konnte. Es gibt Querverweise zu anderen Bands, zu Artikeln und Interviews – und im Musiktank kann man gefundene Schätze auch gleich bergen. So kann’s gehen! Clara Luzia, 33, ist Musikerin und Labelbetreiberin von Asinella Records. 2008 wurde sie zum FM4 Alternative Act des Jahres gekürt.
Georg Hoanzl by Privat
»Der Fan, aus meiner Sicht am stärksten der Fan.« Georg Hoanzl (Leiter Künstleragentur und Herausgeber der »Musicbox Austria«) ... egal, wo er sitzt und was er tut. Er hält die gemeinten Künstler über alles hinweg am Leben, feiert ihre Geburtstage, trauert an ihren Todestagen – falls es die schon gibt – summt dabei die Melodie, scheut nicht die Peinlichkeit beim Mitsingen der Texte, entstaubt und streichelt die Alben. Soweit die Produzenten und Labels noch aktiv sind – und das sind trotz der schwierigen Marktlage noch viele – haben sie als lebendiges und authentisches Zentrum der jeweiligen musikalischen Sonnengeflechte eine ganz große Bedeutung. Sie kämpfen herzhaft und unverdrossen wie Don Quijote gegen die Windmühlen der Zeit. Meistens ohne den notwendigen strukturellen und finanziellen Rückhalt. Hier sei allen gedankt, die diese Funktion trotz aller Hindernisse wahrnehmen. Das ist gelebte Liebe. Da es sich fast durchgängig um subversive Inhalte handelt und nicht um »hochkulturelle Repräsentationskultur«, gibt es auch keine entsprechende ausreichende Basis und Verständnis für die Förderung dieses großartigen musikalischen Erbes der Gegenöffentlichkeit. In der jahrzehntelangen Blüte der Musikbranche war es Ehrensache der Produzenten, der Künstler und der Labels autonom – ohne staatliche Unterstützung – diesen künstlerischen Beitrag in die Gesellschaft einzubringen und dafür noch brav Steuern zu bezahlen. Jetzt halte ich es für eine Ehrensache von uns – der Gesellschaft – der Politik, mit einem förderlichen Rahmen, die Weitergabe dieses kulturellen Erbes zu ermöglichen. Georg Hoanzl, 45, ist Inhaber und Geschäftsführer von Hoanzl Agentur & Vertrieb. Hoanzl ist eine Künstleragentur für Kabarettisten, im Vertrieb liegt der Schwerpunkt neben Kabarett auf österreichischem Film und österreichischer Musik aus allen Genres. Im April 2011 startete die »Musikbox Austria«, die Initiative für Österreichische Musik der Gegenwart.
Gerhard Stöger by Heribert Corn
»Mehr Wertschätzung, bitte!« Gerhard Stöger (Journalist und Autor) 2011 war ein Amadeus-freies Jahr, erstmals in seiner Geschichte ist die Verleihung des österreichischen Musikpreises ausgefallen. Haben Sie es bemerkt? Vermutlich nicht. Aber es ist müßig, über Bedeutung und Wert des Amadeus zu witzeln. Es ist nun einmal der einzige relevante hiesige Preis im U-Musik-Bereich, und der »Lebenswerk«-Amadeus ist eine der ganz wenigen Möglichkeiten, historische Verdienste um die österreichische Popmusik öffentlichkeitswirksam in Erinnerung zu rufen und zu würdigen. Heuer wird er sich wohl zwischen André Heller – er wurde gerade 65 – und, posthum, Ludwig Hirsch entscheiden; der Jubilar Wolfgang Ambros wurde bereits einschlägig ausgezeichnet. Heller und Ambros haben beide zentrale Beiträge zu einer genuin österreichischen Popkultur geliefert – und bei beiden ist man derzeit auf Plattenbörsen und Second-Hand-Plattenläden angewiesen, wenn man ihre großen Werke aus den 70er-Jahren in angemessener Form hören möchte. Liebevoll gemachte Reissues stehen in beiden Fällen aus. Aber damit sind Ambros und Heller keine Einzelfälle: Österreich tut sich mit einer auf Professionalität und Wertschätzung basierenden Popgeschichtsschreibung seit je her schwer; jedem depperten »Austropop«-Buch folgt ein noch depperteres, während ambitionierte Projekte oft mit mangelnden Budgets kämpfen oder damit, dass das Wollen stärker ist als das Können. Ähnlich traurig ist es um die Pflege des österreichischen Popkatalogs bestellt. Während es im Filmbereich eine wunderbare DVD-Edition gibt, die das nationale Filmschaffen über alle Genre- und Szenegrenzen hinweg würdigt, ist ein musikalisches Äquivalent dazu bislang nur frommes Wunschdenken. Schade, denn wer sich ein bisschen intensiver mit der österreichischen Popgeschichte beschäftigt, weiß, wie viele Schätze es da zu heben gäbe. Er weiß aber auch, wie schwierig es ist, an gehaltvolle Informationen über diese Schätze heranzukommen. Die Forschung, Archivierung und Kanonisierung österreichischer Popmusik abseits des klassischen »Austropop« liegt derzeit vor allem in privaten Händen, also Plattensammlern und Betreibern kleiner Labels, die sich um ausgewählte Reissues bemühen; das Wissen um die österreichische Popkultur ist in vielen Bereichen ein Geheimwissen, das wenige Interessierte teilen. Der Weisheit letzter Schluss kann das nicht gewesen sein. Gerhard Stöger, 37, ist Schallplattensammler, Falter-Redakteur und Koautor eines Buches über die Geschichte der Wiener Popmusik, das heuer im Herbst erscheinen soll.
Johannes Dibon by Sigrid Dibon
»Wertfreie Dokumentation» Johannes Dibon (SRA-Präsident) Anfang 1993 schrieben wir im Gründungskonzept des SRA unter dem Titel »Angewandte Forschung im Bereich Subkultur, Schnittstelle Musik« folgenden Merksatz: »Kultur, die nicht ihre eigene Geschichte schreibt, wird ihre Bedeutung im Zeitablauf verlieren und wenn überhaupt, dann im falschen Kontext verstanden werden.« Fast 20 Jahre später haben wir die Kante »Subkultur« ein wenig abgeschmirgelt und gegen den Begriff Pop(ular)musik eingetauscht, aber der Rest gilt nach wie vor. Es geht um eine möglichst dichte und detaillierte Dokumentation der österreichischen Musikszene der Nachkriegs- bis zur Jetzt-Zeit. Sammeln, Archivieren, Eingeben, der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, kostenfrei und ohne Wertung, mit dem höchstmöglichen Respekt vor den Musikschaffenden, egal welchen Genres und egal wie erfolgreich, auf welcher Skala auch immer. Bei der Frage, wer den österreichischen Popnachlass pflegt, zeigen wir – so ich hoffe – zu Recht auf. Wir versuchen unser Bestes, eines der identitätsstiftenden (© Fritz Ostermeyer) Basislager für die weiteren sehr, mehr aber auch weniger, notwendigen Verbeugungen, Studien und Dokumentationen zu sein. Genauso kann man sich aber im SRA völlig wertfrei und nicht vorselektiert seinen eigenen Weg durch die heimische Musiklandschaft zeichnen. Auf vis.sra.at geht das auch animiert, in Farbe und bunt. Johannes »Johnny« Dibon, 46, ist ehrenamtlicher Präsident des SRA, spielte Bass bei Target Of Demand, Mein Hirn und Die Guten und gründete mit gleichgesinnten Mitstreitern das Skug Magazin.
Wolfgang Ambros, Hansi Lang, Kurt Hauenstein (Supermax) haben einen, Falco natürlich auch – einen Amadeus Award für ihr Lebenswerk. Hinter dem Amadeus steht die IFPI, der Major-Label-Verband, also eine Initiative aus der Privatwirtschaft, ähnlich den Organisationen, die die Grammy Awards oder die Oscars organisieren. Es ist eine Möglichkeit, das kulturelle Gedächtnis zu pflegen und ab und an den Pionieren ein paar Rosen zu streuen – auch wenn die alljährlichen Vorwürfe, es ginge nur darum, ein paar Alben zu verkaufen, nicht ganz falsch sind, aber auch nur einen Teil des Spektakels herausgreifen. Also, eine Auszeichnung für einen Artist einmal pro Jahr bei den Amadeus Awards. Und sonst?
Die »Music Box Austria« von Hoanzl macht sehr viele Alben aus Österreich im Einzelhandel zugänglich, krankt aber im Unterschied zur Sammlung »Der österreichische Film« (ebenfalls Hoanzl) daran, dass kaum historisch bedeutsame Alben in das Bündel geschnürt wurden. Falco, Fennesz, Wolfgang Ambros, Kruder & Dorfmeister und André Heller sucht man vergeblich. Bei iTunes und Amazon ist die Box derzeit zudem nicht erhältlich. Immer wieder aber machen sich kleine Initiativen die Mühe, einen Teilbereich der österreichischen Musikgeschichte aufzuarbeiten: »Rockmusik in der Steiermark bis 1975« (Pumpkin Records), »Austrian New Wave And Postpunk 1979-2010« (Klanggalerie), »De guade oide Zeit« (Panza Platte), oder der Film »Es muss was geben« über die Linzer Punk-Szene sowie der leider missglückte »Vinyl – Tales from the Vienna Underground« würdigen gerade in den letzten Jahren verstärkt einen Teilbereich des heimischen Musikschaffens.
Und Vater Staat? Ein Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst wurde im Bereich Pop bisher noch nicht vergeben. Ein nationales Tonarchiv – ähnlich etwa dem National Recording Registry in den USA, das alljährlich 25 bedeutende Aufnahmen kürt – sucht man vergeblich. Wobei, ein Archiv gibt es zumindest, das SRA, das Skug Research Archiv österreichischer Popularmusik, ist auf Initiative des gleichnamigen Magazins Skug – also privat – entstanden, sammelt und archiviert seit 1993 sehr umfassend, was in Österreich an Musik veröffentlicht wird und erhält mittlerweile vom BKA, BMUKK, der AKM und den SKE Fonds Förderungen.
Aber wo ist der Kanon? Und wo sind die öffentlichkeitswirksamen Feste, die Gedächtnisarchitektur, die Museen, die Gedenktafeln, die Trophäen, die Youtube-Dokus, die Feiertage? In Österreich ist es für vieles davon wohl noch eindeutig zu früh. Das Haus der Musik konzentriert sich auf die Philharmoniker und die großen Meister. Ein Anzug von Falco wurde kürzlich vom Wien Museum angekauft. Aber eine systematische Aufarbeitung, eine sinnvolle Pflege? Wir haben vier Stimmen von Experten in der Sache eingeholt.