White Cubes of Attraction

Die Regeln des Spiels bei Ausstellungseröffnungen: Von der Wahl der richtigen Vernissage, der Begleitung und Kleidung bis zur After-Eröffnungs-Party. Hier wird dir geholfen.

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Dass Vernissagen niemals reine Kunstveranstaltungen waren und sind, darüber kann und wird es hier keine Diskussion geben. Darüber, dass die wenigsten Besucher am Abend der Eröffnung die nötige Ruhe oder auch den Raum finden, sich mit der ausgestellten Kunst ernsthaft auseinandersetzen zu können, ebenso wenig. Man hat aber auch selten den Eindruck, dass das irgendjemand tatsächlich möchte. Eine Studie der Staatlichen Museen zu Berlin hat ergeben, dass über 40 Prozent der Besucher von Vernissagen gar nicht wissen, welche Ausstellung gerade eröffnet wird.*

Man kann es auch so ausdrücken: Es gibt keinen denkbar schlechteren Tag, um sich Kunst anzusehen, als den der Vernissage.

Nicht erst seit Facebookeinladungen als Multiplikatoren zu Flashmob-ähnlichen Szenen bei Eröffnungen von subkulturellen Ausstellungsräumen (siehe Foxhouse 365) oder klassischen Ausstellungen (siehe jüngst Sagmeister im MAK oder Ólafur Elíasson im Winterpalais) geführt haben, sind Eröffnungen mit Kunstbezug attraktiver Anziehungspunkt und Fixstern im Kalender der urbanen Jugendkultur. Sie dienen unbestreitbar auch und vor allem der niederschwelligen Unterhaltung, dem privaten und beruflichen Netzwerk sowie der Selbstdarstellung der kreativen Szene.

Notiz am Rande: Obwohl es uns schwerfällt, haben wir bisher gekonnt und souverän am Begriff "Hipster" vorbeiformuliert, ein wenig Selbstlob ist durchaus mal angebracht.

Damit auch du bei der nächsten Ausstellung gute Figur machst, dich wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser bewegst und mit spielerischer Leichtigkeit die Codes und Gesetze des gnadenlosen Kunstbetriebs beherrscht, dient dir folgender Leitfaden als umfassender und über alle Maßen vertrauenswürdiger Überblick, wer und was bei Vernissagen wirklich zählt und wie du grobe Fehltritte vermeidest:

Punkt 1: Die Wahl der richtigen Ausstellung

Wer wissen will, wo es die interessantesten Exponate gibt, verlässt sich auf klassische Ankündigungen und Berichte (Falter). Wer wissen will, wo seine Freunde und Freundesfreunde hingehen, der bekommt im sozialen Netzwerk (Facebook) nicht nur den besten Überblick, sondern hat ganz nebenbei auch das Wesen von Vernissagen verstanden. Ab 1000 Zusagen wird es so richtig spannend und man kann sich auf einen Abend voll sinnstiftender Unterhaltungen, ehrlichem Weißwein aus Plastikbechern und zahlreicher neuer flüchtiger Bekanntschaften einstellen. Eine absolute Bank ist hier die jährliche World Press Photo, weiters die Mehrzahl der Eröffnungen im TBA21 und Ostlicht sowie sämtliche Veranstaltungen im Rahmen der Parallel. Was wir an dieser Stelle bereits einigermaßen gefahrlos behaupten können: Heuer werden wohl die Eröffnungen von Ai Wei Wei Ende Juni im 21er Haus sowie Anselm Kiefer Mitte März in der Albertina zwei der unumstrittenen Szenegrößen.

Punkt 2: Vorbereitung ist alles

Die passende Begleitung hat oberste Priorität. Sie sollte nicht nur optisch was hermachen und als versatiler Gesprächspartner in den entscheidenden Momenten punkten, sondern auch die hier beschriebenen Regeln bis in die letzte Faser verinnerlicht haben. Nichts ist vermeidbarer und frustrierender als fremdverschuldetes Versagen, das außerhalb des eigenen Einflussbereiches liegt.

Außerdem wichtig: die richtige Kleidung. Die Klientel von Veranstaltungen im Bereich der Bildenden Kunst sind die Gralshüter der Oberflächlichkeit. Das vielzitierte "bunte Vernissagenpublikum" ist selbstredend eine unverhohlene Lüge. Die Uniformität und die kompromisslose Einhaltung der Kleidungs- und Verhaltenscodes werden hier in letzter Konsequenz gelebt. Klar, alles ist erlaubt, sofern es nur den gegenwärtigen Postulaten der Mode- und Lifestyleredaktionen Rechnung trägt. Deshalb mein Tipp: Überspitzung. Als russischer Kunstsammler oder auch als exzentrischer Kurator verkleiden und die grenzenlose Aufmerksamkeit sei dir gewiss. Merke: Mehr ist mehr.

Letzter, aber vielleicht wesentlichster Hinweis: das Smartphone muss, ich wiederhole MUSS geladen sein. Nicht nur, um jederzeit Nummern auszutauschen und in Momenten der Langeweile oder Tatenlosigkeit gekonnt unaufgeregt auf den Bildschirm starren zu können, sondern auch und vor allem um wirklich alle Freunde über Facebook und Instagram wissen zu lassen wissen, dass man DA ist. Die Zauberwörter lauten Distinktion und Zugehörigkeit, die Währung, in der bezahlt wird: Likes.

Punkt 3: Gekonnt abliefern

Dann ist es auch schon so weit: Dein Auftritt.

Nicht zu früh, weil gelassen, aber auch nicht zu spät, weil vielleicht Gratiswein bis 22 Uhr.

Erstmal drinnen, bloß nicht gleich die Nerven wegschmeißen, keep low profile und so.

Ein paar kleine Anhaltspunkte:

Do’s: Rumstehen, Optik schieben, wahllos Leute grüßen.

Dont’s: Bilder ansehen, nach Begleittexten fragen (Streber mag keiner), hysterisch mit dem Finger auf andere zeigen

Früher oder später kann man dann schon auch mal "eine Runde drehen", natürlich nicht, um sich auch nur ein einziges Exponat anzusehen, sondern ausschließlich um sich ein Bild zu machen, was in den anderen Räumen los ist und wen man noch nicht abgepasst hat.

Wurden möglichst viele Halbbekanntschaften unverbindlich begrüßt ("Ey, du auch hier?!"), ausreichend kostenlose Getränke abgegriffen und die richtigen Leute gefunden, kann man nun vorübergehend seinen Platz finden. Alle sollen sehen, dass man in der angeregten Unterhaltung in seinem Element ist, der Liebling der Massen, das Epizentrum des Epizentrums. In dieser Phase wieder ganz wichtig: Instagram! Nicht nur die wenigen hundert anwesenden Knallchargen, einfach alle sollen sehen, wer hier das Sagen hat. Das untermauerst du mit vier einfachen Methoden:

1. Immer eine Stufe lauter und schriller lachen als der Rest. Du hast Spaß, nicht die anderen.

2. Unaufhörlich wertende Urteile über die Ausstellungsinhalte ins Treffen führen. Dass du sie nicht gesehen hast, ist das geringste Problem. Absolut niemand hat sie gesehen.

3. Weiter hartnäckig den Ruf des Kunstsammlers oder Kurators (siehe oben) nähren, indem du Namen von schlicht nicht existenten aufstrebenden Künstlern oder Fantasieepochen nennst.

4. Mehrmals hörbar nach den Preisen der Exponate fragen, auch wenn dies angesichts der Popularität des Künstlers schlicht albern anmutet.

Punkt 4: Der würdige Abgang oder "after the show is the afterparty"

Nachdem du dich jetzt – völlig zurecht – wie der ungekrönte König des Abends fühlst, ist es an der Zeit, mit ausreichend Bahöö – völlig unangekündigt und zum allgemeinen Bedauern – die Veranstaltung zu verlassen. Du hast heute noch anderes vor, das kann, korrigiere, soll wieder jeder merken. Vorher hast du dich natürlich unauffällig und über alle Maßen zur Schau getragen desinteressiert erkundigt "wo wir nachher hingehen". Da wirst du dann, vielleicht, auch auftauchen, die gierige Menge erwartet dich schon.

Viel Spaß, hier ist dein Publikum!

*Dass diese Studie vom Autor frei erfunden wurde, ändert wenig an deren wahrem Gehalt. Sätze mit der Phrase "Eine Studie hat ergeben" zu eröffnen, verfehlt nur selten seine Wirkung.

Bild(er) © © David Bogner / Vice Media
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