Die Kultur ist ziemlich weltfremd geworden: Sie verliert an Öffentlichkeit und Relevanz, wird weder geteilt, noch geklickt und wird – zumindest als geförderter Kulturbetrieb – irgendwann in Erklärungsnot geraten. Doch sogar das hiesige Pop-Universum profitiert vom gesellschaftlichen Stellenwert von Kunst und Kultur.
Niemand fragt danach, kaum jemandem scheint es überhaupt aufgefallen zu sein. Aber irgendwo auf dem Weg ist uns die Kultur abhanden gekommen. Keine Sorge, nun folgt kein kulturpessimistisches Rumgejammere, eher eine Feststellung. Denn natürlich lassen wir heute alle mehr als Kultur durchgehen als bloß das, was früher einmal hochtrabend als „Kultur“ bezeichnet ward. Insofern wären wir weniger ignorant.
Und weil alles irgendwie kulturelle Ausprägung ist, könnte man folgern, dass es noch nie so viel Kultur gab wie dieser Tage. Vielleicht ließe sich das unterm Strich sogar für den Kulturbetrieb im engeren Sinn nachweisen – anhand der puren Anzahl von Galerien, Museen, Theatern, Literatur- und Opernhäusern, deren Auslastung und der darin Beschäftigten; oder anhand der Neuerscheinungen, die auf den Buchmessen um Aufmerksamkeit buhlen.
Fotos, Memes, Videoanalysen
Aus der Öffentlichkeit ist diese Kulturlandschaft allerdings still und leise verschwunden; zumindest weitgehend. Selbst in meiner Blase – die ich als überdurchschnittlich kulturinteressiert erachte – taucht im Social-Media-Strom der Gezeiten kaum einmal das auf, was uns in der Schule noch als Kultur vermittelt wurde. Die Leute posten Fotos vom Essen oder von Erbrochenem, zelebrieren die 1.-Mai-Wanderung oder morbide Ostereier. Sie verlinken kluge Politkommentare, wortwitzige Memes, Interviews mit Soziologen und Nobelpreisträgerinnen; sie freuen sich über die neue Nummer von Mynth und versuchen sich in feministischen Videoanalysen.
Die Performance, ein Abend im Theater oder das gerade gelesene Buch bleibt allerdings unerwähnt. Auch bei subkulturell geprägten Menschen, von welchen ich weiß, dass sie lesen, Ausstellungen besuchen, ins Off-Theater gehen. Nicht einmal über die Kunsthochschulheinis macht sich – außer vielleicht Stefanie Sargnagel – noch jemand lustig. Kultur bietet offensichtlich kein kulturelles Kapital mehr, taugt nicht zum Distinktionsgewinn, verschwindet im Privaten. Ist das der Grund, dass selbst diejenigen, die ein kulturelles Leben führen, stumm bleiben?
Fast alle Autorinnen und Autoren, die ich kenne, verharren weitestgehend in Posen der noblen Zurückhaltung, posten vielleicht einmal beschämt die eigene Neuerscheinung oder verbreiten den Link zum gerade erhaltenen Stipendium. Ein paar Freunde klatschen brav. Ihre Verlage wiederum geben sich todgeweiht nüchtern, und die prekären Kleinstverlage feiern beim Dosenbier das letzte Rückzugsgefecht. Viele schweigen teilnahmslos, offenbar angewidert von all der Selbstdarstellung, dem Exhibitionismus.
Wenn es wirklich daran liegt, dass sie sich für zu gut für die grelle Welt da draußen erachten, dann ist das Verschwinden aus eben dieser in seiner vermeintlich überlegenen Überheblichkeit stimmig; dann wird es wahrscheinlich wirklich wenige stören.
Die alten Gatekeeper verweigern Facebook
Dabei wäre es bei all der gespielten oder gekauften Begeisterung wahrlich ein Gewinn, würden mehr Menschen, die wirklich für ihr Tun brennen, das zumindest nicht ganz für sich behalten. Bei den alten Gatekeepern des Hochkulturellen, Kulturjournalisten etwa, gäbe es von diesem Menschenschlag gar nicht wenige. Doch diese meiden Facebook, Twitter und Instagram fast schon traditionell.
Und sind sie doch da, beobachten sie still. Ausnahmen gibt es, aber die Kulturjournalisten waren die allerletzten in den Redaktionen, die sich in die sozialen Netzwerke gewagt haben. Trotzdem maßen sie sich an, mehr über „das Leben“ erzählen zu können als die Kollegen aus Wirtschaft oder Politik. Noch dominieren sie als andernorts vergrämte Platzhirsche die Printseiten, beklagen aber, dass „die Kultur“ immer weniger werde, inhaltlich verwässert. Die Auflagen sinken. Und die Online-Zugriffe sind sowieso überschaubar. – „Die Kultur wird online sehr, sehr wenig geklickt“, bestätigt die Community-Managerin einer großen, auch im Kulturbereich ernstzunehmenden Medienplattform, meine Vermutung.
Wo ist die Oper
Davor hatte uns die alte Medienöffentlichkeit – 1.0 – euphorisiert von der bürgerlichen Aufklärung und dem sozialdemokratischem Missionierungsanspruch, der Kultur oft auch als Sozialpolitik verstand, ein paar Jahrzehnte lang glauben lassen, dass Kultur tatsächlich mehr wäre als bloß jenes Minderheitending, als das es sich im Zeitalter der gnadenlosen Messbarkeit wieder erweist. Selbst die althergebrachte Repräsentationskultur findet medial kaum mehr Beachtung. Staatsopern-Direktor Dominique Meyer meinte letztens, dass der ORF überhaupt nur deshalb noch einmal im Jahr eine Oper im Fernsehen übertrage – spätnachts, durchaus mit herzeigbaren Quoten – weil die ORF-Chefs wüssten, dass sie sonst womöglich den Opernball nicht mehr übertragen dürften.
Über all das kann man jammern; sich damit abfinden. Oder man könnte in die Offensive gehen; zaghaft – und als Journalist wenigstens die eigenen Beiträge in Umlauf bringen (um die eigenen Themen nicht noch mehr zu marginalisieren, als sie das ohnehin bereits sind). Oder so richtig.
Kann es wirklich sein, dass es im österreichischen Internet mit Christian Köllerer (aka @DrPhiloponus) nur einen einzigen ernstzunehmenden Kulturblogger gibt? Seine Tweets sind ein Vergnügen, seine Texte klug und pointiert, dementsprechend ist sein Blog gut besucht, seine Persona als grantiger Misanthrop, der nichts so liebt wie die Klimaanlage in seiner Bibliothek, die er nur für seine Studienreisen, den Besuch in der Oper oder einen Abend im Filmcasino verlässt, liebenswert altmodisch. Stimmt, da gab es ein paar langweilige, transnationale, politisch korrekte, aus irgendeinem EU-Topf geförderte Europa-Feuilletonblogs. Aber ehrlich: Ich habe ihre Namen vergessen.
Wo sind die Blogger
Was ich mich frage: Müsste es in einem Land wie Österreich – wir erinnern uns: Kulturnation und so – nicht zumindest eine Handvoll interessanter Kulturblogger geben? Menschen mit Mitteilungsdrang, die sich nicht zu gut sind, ihren Themen auch Gehör zu verschaffen?
Vorerst werden die Budgets gekürzt und weil medial vor allem produziert wird, was nachgefragt wird, geben die Zahlen diesem Weg Recht. Insofern sind wir in unserem Realismus ignoranter geworden.
Geht niemand in die Offensive – nämlich so richtig –, dann wird der Kulturbetrieb irgendwann implodieren. Allein schon, weil seine Förderung sich immer schwerer wird rechtfertigen lassen. Ich weiß: Das fänden gar nicht so wenige ganz gut. Und viele Popsozialisierte meinen, ihr Paralleluniversum bliebe davon ohnehin unbetroffen. Weil Pop ja Markt und ohne Förderung. Was natürlich Blödsinn ist. Siehe Film. Und siehe die Praxis in der Musikwelt. Auch unter den gefeierten Artists schlagen sich viele derer, die über ihre zwei Hype-Jahre hinaus von ihrem Schaffen leben wollen oder gar eine Familie durchzufüttern gedenken, nicht selten mit Theatermusik oder Kompositionsaufträgen am Rande des Hochkulturbetriebs durch. Wahrscheinlich würden solche Aufträge Kürzungen zu allererst zum Opfer fallen. Vielleicht würde niemand danach fragen, würde das kaum jemandem überhaupt auffallen.
Fehlen würden sie trotzdem.
Thomas Weber, Herausgeber The Gap