Nachhaltige Konzerttourneen sind international Thema: Coldplay und Billie Eilish veröffentlichen umfassende Sustainability-Berichte, Massive Attack und Seeed erarbeiten mit Universitäten konkrete Maßnahmen. Und wie steht es um österreichische Acts auf Tour? Welche Bemühungen es gibt und wo die Reise hingeht, das erzählen die Musiker*innen Manu Delago, Oska und Euroteuro. Außerdem haben wir bei Bookingagenturen, Anlaufstellen und Initiativen nachgefragt, wie die Rahmenbedingungen aussehen und wer das alles bezahlen soll.
Einer, der in der österreichischen Musikszene als Pionier in Sachen Nachhaltigkeit gilt, ist Manu Delago. Unter eigenem Namen spielt er für bis zu 1.000 Menschen, als Teil der Liveband von Björk steht er auch mal vor 80.000 Besucher*innen. Als Delago 2021 erstmals auf »ReCycling Tour« ging und die gesamte Crew auf Fahrrädern von Innsbruck nach Wien und wieder zurück radelte – Anhänger inklusive –, war das eine aufwendige, aber öffentlichkeitswirksame Machbarkeitsstudie. »Wir haben versucht, viele Aspekte der Nachhaltigkeit abzudecken, nicht nur das Rad statt ein Auto oder Flugzeug zu nehmen«, fasst er das Mammutprojekt zusammen.
Mit 30 bis 120 Kilometern Abstand zwischen den Tourstopps war die Reisegruppe fünf Wochen unterwegs. Die Band montierte Solarpaneele auf ihre Lastenanhänger, um Bühnenstrom zu erzeugen, ernährte sich vegetarisch, bat die Veranstalter*innen darum, Müll und Plastik beim Catering zu vermeiden, und ermutigte das Publikum, zu Fuß, mit dem Rad oder den Öffis anzureisen.
Auf Tour mit dem Rad
Weil die Routenplanung einer Fahrradtour kaum Umwege und Abweichungen zulässt, waren Manu Delago und sein Team im Booking eingeschränkter als sonst, auch, als sie 2023 ein zweites Mal auf Fahrradtour gingen – diesmal von Innsbruck nach Amsterdam. »Zehn Konzerte konnten wir gut buchen. Dann mussten wir zu allem Ja sagen, was möglich war. Man hat wenig Verhandlungsspielraum, weil man nicht flexibel ist«, reflektiert Delago. Umsetzbar war das alles nur, weil es Sponsor*innen und Förderungen gab: »Die waren notwendig für die Finanzierung der Tour. So konnte ich allen Musiker*innen und der Crew eine Gage zahlen.«
Wenn Coldplay im August an vier Abenden im Wiener Ernst-Happel-Stadion gastieren, dann ist auch Oska mit von der Partie. Die Singer-Songwriterin tritt im Vorprogramm der Briten auf. Bei deren »Music of the Spheres World Tour« können Fans mit Fahrrädern und auf »Kinetic Dancefloors« Strom erzeugen, blinkende LED-Armbänder werden nach dem Konzert wieder eingesammelt und es gibt Wasserauffüllstationen. Außerdem legt die Band Wert auf lokale Support-Acts mit einem hohen FLINTA*-Anteil. Damit ist klar, dass Coldplay sich nicht nur um ökologische Nachhaltigkeit bemühen, sondern auch den sozialen Aspekt des Themas am Schirm haben.
Für Oska sind Support-Gigs nichts Neues. Sie hat schon Tom Odell, Stu Larsen und andere quer durch Europa begleitet. Dabei nutzt sie unterschiedliche Fortbewegungsmittel, wie sie im Interview sagt: »Wir mieten zum Touren einen Bus und schauen, dass das Equipment und fünf bis sechs Leute in ein Fahrzeug passen, wenn wir als Band in Österreich und Deutschland unterwegs sind. Wenn ich in Europa spiele, fahre ich viel Zug. Es waren aber auch schon ein Schiff, Linienbusse und Flüge dabei. Die Kosten spielen da eine große Rolle.« Bei zusätzlichem Aufgabegepäck wie Gitarrenkoffern seien Bus und Zug günstiger als das Flugzeug, rechnet ihre Managerin Annemarie Reisinger-Treiber aus dem Off vor.
Die beiden sprechen aber nicht nur den Faktor Geld an, sondern auch die weniger glamourösen Seiten des Tourgeschäfts, die Körper und Psyche fordern. »Für eine halbe Stunde auf der Bühne musst du manchmal neun Stunden im Flixbus sitzen. Beim langen Schleppen meiner Gitarren stoße ich an meine Grenzen. Aber es ist den Aufwand wert. Trotzdem: Wenn du touren willst, erfordert dein Beruf, dass du gewisse Dinge falsch machen wirst«, bleibt Oska bei allem ökologischen Idealismus realistisch.
Ressourcenteilung
Das Touren mit dem Zug hat das Wiener Duo Euroteuro perfektioniert. Florian Seyser-Trenk geht auch mit Voodoo Jürgens auf Tour und hat die hiesige Musikszene mit Mile Me Deaf und den Sex Jams mitgeprägt. Mit Euroteuro wollte er nicht mehr vom Auto abhängig sein und hat mit seiner Partnerin Katarina Maria Trenk viel über nachhaltigeres Touring nachgedacht. Mittlerweile reisen sie mit einem praktischen Schubkarren: »Da passen zwei Keyboardständer, eine Tischplatte und ein großer Synthesizer hinein. Zu zweit kann man den Schubkarren gut in den Zug heben. Aber die Grenzen sind erreicht. Man kann nicht alles mitnehmen, und man verzichtet auf einen gewissen Komfort – vor allem zwischen der Ankunft am Bahnhof und dem Auffinden der Venue«, erzählt Seyser-Trenk.
Bislang haben die beiden nur gute Erfahrungen gemacht, allen Schauergeschichten über die Deutsche Bahn zum Trotz. Mittlerweile würden sie die Züge kennen und wissen, wo sie am besten einsteigen. »Es ist eine gute Idee, mit dem Personal am Bahnsteig zu reden. Dann wissen die gleich, wem das Zeug gehört und können dir zeigen, wo du es gut abstellen kannst«, empfiehlt er. Neben dem Nachhaltigkeitsgedanken spielt auch bei Euroteuro der finanzielle Aspekt eine Rolle in der Tourplanung: »Für unsere zehntägige Tour haben wir insgesamt 600 Euro gezahlt. Hätten wir für den gleichen Zeitraum ein Auto gemietet, wären wir mit Benzinkosten locker auf mehr als das Doppelte gekommen.«
Seyser-Trenk produziert auch Alben für junge Bands wie Topsy Turvy. Dabei sei ihm aufgefallen, dass sich die Haltung zum Touring wandelt: »Topsy Turvy haben vor Kurzem in Graz gespielt und sind ganz selbstverständlich mit dem Zug angereist. Als ich 20 war, war es undenkbar, zu irgendeinem Konzert mit einem Zug zu fahren.« Dieses Umdenken müsste seiner Meinung nach strukturell gefördert werden, indem etwa Konzertlocations mit Verstärkern und Instrumenten ausgestattet werden. »Man ist sich ja der Absurdität durchaus bewusst, wenn man durch die Gegend fährt und täglich an einem anderen Ort das eigene Equipment aus- und einlädt. Es geht um das Teilen von Ressourcen. Auch Musikinstrumente sind Ressourcen, die man teilen kann.«
Diesen Aspekt sieht Corinna Maier etwas differenzierter. Sie ist Bookerin bei Arcadia Live und organisiert Touren für österreichische Bands. In dieser Rolle steht sie sowohl mit Veranstalter*innen als auch mit ihren Acts im Austausch. Sie bestätigt, dass Bands zu Beginn ihrer Karriere gern mit dem Zug fahren: »Die sind noch flexibel, wenn es ums Equipment geht. Aber wenn sie mit dem Zug unterwegs sind, müssen die Veranstalter*innen die Backline organisieren, was nicht überall möglich ist.« Sobald ein bestimmter Professionalisierungsgrad erreicht sei, verändere sich die Einstellung meist. »Ab einem gewissen Level in der Karriere ist die Produktion in sich geschlossen und alles aufeinander abgestimmt. Dann ist es schwer, einzelne Teile auszutauschen«, gibt Maier zu bedenken. »Da reden wir noch gar nicht von künstlerischer Freiheit, sondern es geht schlicht um Professionalität.«
Aufgabe der Politik
Szenenwechsel von den Akteur*innen on the road zu Ruth Ranacher und Michael Ternai, die sich im österreichischen Musikinformationszentrum Mica – Music Austria intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen. Aus der Vogelperspektive informiert die Anlaufstelle und bildet ab, was sich in der Szene tut. Ternai und Ranacher nennen etwa Hearts Hearts, Alicia Edelweiss, Takeshi’s Cashew und das Festival Wellenklænge als Positivbeispiele, loben den Jazzbereich und wissen, dass es in der Klassik und in der Hochkultur noch Luft nach oben gibt. Sie warnen aber auch davor, die Verantwortung auf die Musiker*innen abzuwälzen. »Es würden viele gerne klimafreundlich touren, aber das kostet Zeit und Geld. Und mit Musik wird man nicht unbedingt reich. Es ist die Aufgabe der Politik, hier die Rahmenbedingungen zu schaffen«, meint Ranacher.
Das sieht die weltweit agierende Initiative Music Declares Emergency genauso: »Wir fordern vor allem politische Entscheidungsträger*innen auf, die Rahmenbedingungen zu schaffen, weil das Problem ganzheitlich gelöst werden muss«, sagt die Musikmanagerin Paulina Parvanov, die den österreichischen Ableger der Initiative mitgegründet hat. Unter dem Motto »No Music on a Dead Planet« stellt das ehrenamtliche Team auch grundlegende Infos und praktisches Know-how für Künstler*innen bereit: »Es ist zwar nicht die Verantwortung von Einzelnen, ein ganzes System zu ändern, aber jede*r kann etwas beitragen, zum Beispiel durch Backline-Sharing oder einen Green Rider.« In Ridern werden technische und kulinarische Anforderungen an Veranstalter*innen übermittelt. Sie bilden daher einen Hebel für Nachhaltigkeit, den Bands proaktiv nutzen können.
Parvanov weist aber auch darauf hin, dass es eigentlich die An- und Abreise des Publikums ist, die den Großteil der CO₂-Emissionen ausmacht. Darum wünscht sie sich »einen Diskurs, der auch die Venues und Veranstalter*innen miteinbezieht«. Deutschland ist hier einen Schritt weiter und hat im Rahmen von Pilotprojekten und Studien bereits Daten erhoben, die den Entscheidungsträger*innen als Argumentationsgrundlage vorgelegt werden können.
Angst vor dem Shitstorm
Was kann man als Mensch, der regelmäßig die Aufmerksamkeit eines Publikums in seinen Bann zieht, sonst noch für einen lebenswerten Planeten tun? Sowohl bei den Aktivist*innen von Music Declares Emergency als auch in der Informationsstelle Mica ist man sich einig: Die eigene Reichweite kann für die Kommunikation des Themas genutzt werden. »Es gibt eine Gruppe von Menschen, die sich mit Klimaschutz noch nicht auseinandergesetzt hat. Um diese zu erreichen, können Kultur und Musik ein großer Hebel sein«, so Ruth Ranacher vom Mica. Womit wir wieder bei Coldplay wären. Die Musikerin Oska freut sich auf die Bühne im Happel-Stadion und findet es gut, dass Coldplay ihre Nachhaltigkeitsbemühungen auch in die Öffentlichkeit tragen, denn: »Wenn es Coldplay und Billie Eilish können, dann müssen andere große Bands mitziehen.«
Dass ein bisschen mehr öffentlicher Druck für Klimaschutz notwendig ist, zeigen derzeit der österreichische Veranstalter Klaus Leutgeb und der Entertainmentgigant Live Nation. Sie holen den Megastar Adele im August für zehn Konzerte nach München und stampfen extra dafür ein Pop-up-Stadion aus dem Boden. Wer Adele heuer in Europa sehen will, muss nach München reisen. Ein Gutteil der 800.000 Fans wird dabei das Flugzeug nehmen. Doch der Ärger darüber ist bisher verhalten. Das zeigt, wie niedrig die Erwartungen an die Livebranche sind, nachhaltig zu agieren. Und trotzdem scheuen sich laut Paulina Parvanov von Music Declares Emergency viele Artists davor, sich öffentlich für den Klimaschutz einzusetzen – aus Angst, dann selbst kritisiert zu werden: »Selbst, wenn dir das Thema am Herzen liegt, kann es sein, dass du trotzdem in einem Nightliner oder einem Flugzeug sitzt, einfach weil du musst und es dein Job ist«, zeigt sie dafür Verständnis, dass manche einen Shitstorm fürchten. Und sie hat für diesen Fall auch einen Rat parat »Wer die Problematik auf dem Radar hat, sich aber nicht auf Social Media dazu äußern will, kann sie intern ansprechen. Allein schon, mit dem eigenen Umfeld darüber zu reden, macht einen Unterschied.«
Und was würde sonst noch einen Unterschied machen? Dass das Zugfahren mit Equipment einfacher und leistbarer werden muss, darüber sind sich alle Befragten einig. Wer auf der Straße unterwegs ist, kann wie Oska oder Manu Delago auf seiner aktuellen Tour darauf achten, dass alles in einen Van passt. Politische Maßnahmen und Regulierungen wie der Autobahn-Hunderter werden ebenso genannt wie mehr Förderungen für nachhaltige Tourkonzepte. Euroteuro mit ihrem Schubkarren sehen außerdem noch häufig Nachholbedarf für Barrierefreiheit. Und Corinna Maier von der Konzert- und Festivalagentur Arcadia Live wünscht sich mehr Kooperationen mit den ÖBB, wie sie das Poolbar Festival in Feldkirch und das hauseigene Lido Sounds in Linz erfolgreich vorgemacht haben. Es gibt also viele Hebel und viel zu tun. The time is now.
Manu Delago spielt ab 26. April mehrere Konzerte in Österreich. Im Mai kommen Euroteuro für einige Shows nach Vorarlberg, in die Schweiz und nach Deutschland. Oska ist von 21. bis 25. August als Support-Act von Coldplay in Wien zu sehen. Das Lido Sounds findet von 27. bis 30. Juni in Linz statt. Eine Vorlage für einen Green Rider gibt es auf musicdeclares.net. Und auf musicaustria.at stellt Mica – Music Austria Infos zum Thema bereit.