Wortwechsel: Wie sollen VeranstalterInnen mit sexuellen Übergriffen auf Festivals umgehen?

Festivals sind keine safe spaces – es wird gestohlen, verletzt und Schaden angerichtet. Während hier viele an verschwundene Zelte denken, geht es vermehrt leider auch um sexuelle Gewalt. Wir haben vier FestivalbetreiberInnen und ExpertInnen gefragt, wie hier am sinnvollsten angesetzt werden soll.

Laut einer You-Gov-Studie haben 43 Prozent aller Frauen unter 40 ungewolltes sexuelles Verhalten auf einem der britischen Festivals erfahren. Doch auch in Österreich sind sexuelle Belästigungen und Übergriffe auf Festivals ein großes Problem. Das Nova Rock hat für dieses Jahr einen Campingbereich nur für Frauen angekündigt, und beim Donauinselfest wird es eine »Frauen-Empowerment-Insel« geben. Sind damit funktionierende Lösungen gefunden? Wie können und müssen VeranstalterInnen auch auf Täterseite ansetzen, um sexuelle Übergriffe zu verhindern und Festivals zu den safe spaces zu machen, die sie sein sollten?

Therese Kaiser © Petra Rautenstrauch
Therese Kaiser © Petra Rautenstrauch

Therese Kaiser

Gut gemeint und weit daneben

Um es wenig überraschend vorwegzunehmen: Ich bin kein Fan von Frauenzonen bei Festivals. Was aber nicht heißen soll, dass ich nicht sehr schätze, dass man nun auch in kommerzielleren Räumen beginnt, sich Gedanken über (sexuelle) Gewalt, beziehungsweise die Sicherheit der BesucherInnen zu machen. Kennt man queer und safe spaces, dann kommt einem diese Herangehensweise schlichtweg amateurhaft, fast naiv vor. Unterm Strich könnten diese Frauenzonen aber auch der Startschuss zu einer sinnvollen Diskussion um Alkohol, Geschlechterstereotype und das Verhalten von Menschen auf Großveranstaltungen sein.

Aber zurück zum Anfang: Meine Unruhe in Sachen Frauenzonen ist so vielfach, dass ich auseinanderdividieren muss: Wer sind denn eigentlich Frauen? Was ist mit Trans-Personen? Oder Intersex-Personen? Welche Erfahrungen machen homosexuelle FestivalbesucherInnen? Gibt es rassistische Übergriffe auf Festivals und sind all jene hier mitgemeint? Bevor nun ein Festival 50 politisch korrekte Einheiten baut, damit alle voreinander (?) in Sicherheit sind, wäre es wohl sinnvoll, zu überlegen, wieso Festivals Übergriffsorte sind, und die gute alte Best-Practice-Strategie zumindest mal auszuprobieren. Kann es sein, dass es Festivals gibt, bei denen es zu weniger Gewalt kommt?

Vor allem queere VeranstalterInnen haben über die vergangenen Jahrzehnte Strategien zum »Safer Clubbing« ausgetestet und optimiert. Räume, die in Sachen Geschlechtergerechtigkeit klare Zeichen setzen und eine Zero-Tolerance-Policy gegenüber Rassismus, Sexismus und Homophobie postulieren und auch leben, sind sicherer. Line-ups, die mehr als nur ein einziges Geschlecht zeigen, Security-­Teams, die divers aufgestellt sind, Bands und Acts, die Gewaltfreiheit, Toleranz und Respekt postulieren: All das sind fundamentale strukturelle Bausteine für eine weniger aggressive Festivalkultur. Vor allem: Sie suggerieren den weiblichen Besucherinnen nicht, dass man sie wegsperren müsste, damit sie sicher sind; sie sagen den Menschen, die sich nicht benehmen können, dass sie am besten gleich zu Hause bleiben sollen.

Frauenzonen vergessen auf all die anderen, die auf Festivals degradierende Erfahrungen machen mussten, und sie sind auf demselben binären stereotypen Verständnis dieser Welt aufgebaut, das uns den ganzen Schaß erst eingebrockt hat. Männer sind nicht per se Täter, Frauen sind nicht per se Opfer, und viele Menschen sind weder Frauen, noch Männer, oder beides. VeranstalterInnen sei angeraten, sich mit längst existierenden Positionen zu diesem Thema zu beschäftigen, von eigens abgestellten Awareness-Teams, die Ansprechpersonen sein können, bis hin zur Festivalarchitektur ließe sich einiges machen. Und sie sollten sich die Frage stellen, welchen Einfluss die heimische »Saufkultur« auf (sexuelle) Gewalt hat. Frauenzonen sind aus meiner Sicht reine und schlechte Symptombehandlung eines Problems, das auf ganz anderen Ebenen erst entsteht und dort im besten Fall auch behandelt werden sollte.

Therese Kaiser alias Therese Terror ist DJ, Veranstalterin und Geschäftsführerin des Rrriot Festivals. Gemeinsam mit dem Team um Marlene Engel arbeitet sie auch am Hyperreality Festival For Club Culture Vienna und setzt sich für Geschlechtergerechtigkeit in der Clubszene ein.

Logo der Frauenhelpline
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Das Team der Frauenhelpline

Frauenräume als Gewaltschutzmaßnahme kontraproduktiv

Frauenräume sind sinnvoll – in anderen Kontexten. Zum Beispiel ein Frauenbereich in einer Sauna, Netzwerke zur Stärkung der weiblichen Perspektive – alle Räume, in denen sich Frauen auf freiwilliger Basis dazu entscheiden, unter sich zu sein. Frauenräume zu schaffen, um Frauen vor Gewalt zu schützen, sind hingegen kontraproduktive Strategien, um dem Thema Gewalt und Sexismus zu begegnen. Außer es soll erreicht werden, dass Frauen sich nur in Sicherheitszonen sicher fühlen dürfen – und sich außerhalb dieser Zonen einem als »normal« eingestuften Risiko aussetzen. Damit wird Gewalt als normativer Zustand und Gewaltfreiheit als abnormal angesehen – Stichwort Täter-Opfer-Umkehr. Was wären weitere Strategien dieser Art? Nach acht Uhr abends das Haus nicht mehr verlassen zu dürfen? Und was ist mit den Gefährdern? Welche Lehren ziehen sie daraus? Kurzsichtige Aktionen wie diese bekräftigen Machtstrukturen und zwingen Betroffene, sich diesen anzupassen, anstatt strukturelle Veränderungen anzustreben.

Unsere Empfehlung ist daher, keine exklusiven Maßnahmen zu setzen, sondern einen inklusiven Raum zu schaffen, in dem Gewalt in keinster Weise geduldet wird, in dem es allen gut geht und sich alle angstfrei bewegen können. Für ein Festival könnte dies bedeuten, Informationsstellen einzurichten, Sensibilisierungskampagnen durchzuführen, Notruffunktionen für alle zugänglich und gut sichtbar einzurichten etc.

Im Allgemeinen kann sich bei der Planung eines Festivals bereits an Good-Practice-Beispielen orientiert werden und auch auf eine architektonisch und infrastrukturell geeignete Ausrichtung des Geländes geachtet werden. Eine gute Schulung des Personals, Monitoring und Gefährdungseinschätzung gehören ebenfalls dazu. VeranstalterInnen und OrganisatorInnen sind unseres Erachtens nach in der Pflicht, dieses Thema in ihre Planung ganzheitlich miteinzubeziehen – mit einem separaten »Frauenraum« wird das Problem nur verstärkt und in keinster Weise gelöst.

Die Frauenhelpline gegen Gewalt ist rund um die Uhr, anonym und kostenlos in ganz Österreich unter 0800 222 555 erreichbar.

Ewald Tatar © Nova Music
Ewald Tatar © Nova Music

Ewald Tatar

Ein geschützter Bereich als Angebot.

Wir haben heuer beim Nova Rock einen eigenen Campingbereich für Frauen eingerichtet, um einen Akzent zu setzen gegen mögliche Belästigungen aller Art im Laufe des Festivals. Dies geschieht weniger aus einer dringenden Notwendigkeit heraus – die Wünsche nach einer solchen Maßnahme hielten sich in Grenzen, aber sie kamen eben doch immer wieder auf. Sexuelle Übergriffe in der Öffentlichkeit sind in den letzten Jahren vermehrt zum Thema geworden. Das betrifft nicht nur Festivals, sondern viele andere Bereiche unserer Öffentlichkeit, das möchte ich hier schon sehr deutlich klarstellen.

Die Einführung des Frauen-Campingplatzes ist eine Option, die wir Besucherinnen anbieten wollen, die womöglich schon einmal schlechte Erfahrungen auf Festivals gemacht haben oder ganz einfach vorbeugend in einem geschützten Bereich nächtigen wollen. Ich muss aber auch sagen, dass die Anzahl der Anmeldungen dafür eher überschaubar ist. Wir hatten mit deutlich mehr Interesse gerechnet und sind schon wieder dabei, die Pläne zu überdenken und diesen neuen Bereich womöglich doch kleiner zu bauen, als ursprünglich angedacht.

Eine weitere Neuerung ist, dass es durch spezielle Westen gekennzeichnete Security-MitarbeiterInnen geben wird, die bei möglichen Problemen Anlaufstelle sind und diese Probleme bei Notwendigkeit auch sofort an die Polizei weitergeben bzw. auch selbst unmittelbar eingreifen können. Dies betrifft aber nicht nur mögliche sexuelle Belästigungen, sondern auch Rassismus, Wiederbetätigung oder etwa homophobe Äußerungen.

Ewald Tatar ist Hauptanteilseigner der Barracuda Holding, deren Subunternehmen pro Jahr für Hunderte Konzerte sowie die wichtigsten heimischen Festivals verantwortlich zeichnen, u. a. das Nova Rock, dessen Hauptverantwortlicher Tatar ist.

Barbara Novak © Markus Sibrawa
Barbara Novak © Markus Sibrawa

Barbara Novak

Awareness, Empowerment und schnelle Hilfe für ein friedliches Miteinander

Das Donauinselfest ist das größte Freiluftfestival bei freiem Eintritt in Europa und das zweitgrößte weltweit. Es ist auch eine der friedlichsten und sichersten Großveranstaltungen seiner Art. Das gelingt durch ein engmaschiges Netz an Sicherheitskräften, Feuerwehr, Rettung, Sanitätsdiensten und deren sehr guter Abstimmung untereinander. Nicht zuletzt sind es aber auch die BesucherInnen selbst, die das vielfältige und umfassende Programm schätzen und zum großen Teil entspannt und respektvoll miteinander umgehen – eben aufeinander schauen.

Dennoch: Wir wissen, dass es auf Großveranstaltungen immer wieder zu Belästigungen von Frauen und Mädchen kommt. Als SPÖ Wien, als Veranstalter des Donauinselfestes, akzeptieren wir solche Übergriffe absolut nicht! Wir haben daher im Vorjahr eine Awareness-Kampagne gestartet und mit dem »Rettungsanker« eine wirksame und am Festival sichtbare Maßnahme gesetzt, die es auch heuer wieder geben wird.

Dazu gehört, dass Belästigung aufgrund des Geschlechts ernstgenommen wird, das gesellschaftlich sensibilisiert wird und im Fall des Falles schnelle und kompetente Hilfe zugegen ist. Auf diese drei zentralen Kriterien werden die Sicherheitskräfte auf dem Donauinselfest speziell geschult. Sie sind mit gut sichtbaren Stoffbuttons ausgestattet und sich ihrer Aufgabe als »Rettungsanker« bewusst: Hilfe für Betroffene, Abschreckung gegen potenzielle Täter. Der große Erfolg der Kampagne und des »Rettungsankers« zeigt sich in den guten Erfahrungen beim letzten Donauinselfest, und vor allem auch durch die Übernahme des Programms durch die Wiener Bäder und die Wiener Linien. Auch bei anderen Festivals sehen wir, dass unser Ansatz weitergetragen wird. Und genau solche wichtigen Impulse kann und soll das Donauinselfest setzen.

Was wir zumindest auf dem Donauinselfest nicht brauchen, sind exklusive Frauenbereiche – die Damentoilette ausgenommen. Aber wir nützen das Fest durchaus, um Themen weiterzubringen. Eines davon ist ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis auf den Bühnen. Dafür stellen wir heuer eine eigene Bühne für Frauen-Empowerment auf die Beine. Burschen und Männer im Publikum sind herzlich willkommen. Schaut’s vorbei!

Barbara Novak ist Landesparteisekretärin der SPÖ Wien und in dieser Funktion für das Donauinselfest verantwortlich.

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