Wasser, Bildung, Gesundheitssystem – In letzter Zeit entbrennen immer wieder Diskussionen darüber, wofür keine exklusiven Rechte gelten sollen. Kultur betrifft das genauso.
Elisabeth Hakel, Sprecherin Creative Industries, SPÖ (© Ingo Petramer)
"Creative Appropriation und Cooption" Die Frage "Privateigentum versus Allgemeingut" ist im 19. und 20. Jahrhundert mit der Etablierung einer kapitalistischen Weltordnung klar entschieden worden: Eigentum! Aus der Ökonomie her kommend wurde gepredigt, dass nur klare Eigentumsverhältnisse zu gesellschaftlichem Glück und Wohlstand führen können. Dieses Dogma bricht jetzt wieder auf und muss neu diskutiert werden. Dabei gibt es zwei Aspekte, die vor allem für die Cultural and Creative Industries von Bedeutung sind. Erstens: Alles, was sich unter dem sperrigen Ausdruck kollektiver Schaffensprozesse zusammenfassen lässt. Gemeinsame Autorenschaft, /creative appropriation/, Remixes, Mash-ups und andere Derivate und Transformationen. Für die Produktion solcher zeitgemäßen Ausdrucksformen gibt es heute eine Reihe von rechtlichen Hürden wie zum Beispiel ein veraltetes Urheberrecht, das den heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht. Die alten Rahmenbedingungen passen nur mehr bedingt zu den aktuellen und künftigen Produktions- und Konsumgewohnheiten. Zweitens entstehen viele neue Formen von Kooperationen. Die Cultural and Creative Industries sind kleinteilig strukturiert und was vielen Mikrounternehmern fehlt, ist nicht primär der Besitz von Betriebsmitteln – die ohnehin schnell veralten – sondern der schnelle Zugang zu jeweils zeitgemäßen Technologien. Nicht alle müssen alles besitzen. Viele Kreative wünschen sich den Zugang zu Räumen, zu Maschinen und Infrastruktur wie zum Beispiel State-of-the-Art-Videokamaras, 3D-Druckern, Foto- und Filmstudios, Werkstätten, Software, Datenbanken etc. Dabei entsteht tatsächlich eine neue Kultur des Teilens, auch wenn das gerne heruntergespielt wird. Man kann das Phänomen auch als Cooptition (Cooperative Competition) bezeichnen. Kooperation in der Produktion, Backoffice und Infrastruktur, aber Wettbewerb im Verkauf. Elisabeth Hakel, 35, ist Abgeordnete zum Nationalrat und SPÖ-Bereichssprecherin für Creative Industries. Auf www.initiativecreativeaustria.at findet man z.B. das SPÖ-Positionspapier "Neue Strategien für die Cultural and Creative Industries".
Joachim Losehand, Historiker (© Privat)
"Alte Ideen müssen neu gedacht werden können" Kultur ist die Summe menschlichen Schaffens. Jede Generation nimmt bestehende Errungenschaften an, formt sie, fügt Eigenes hinzu, nimmt Überholtes weg und gibt diese so an die nächste Generation weiter. Wenn wir Menschen aufwachsen, lernen wir Kultur kennen – erlernen wir sie als Teil einer Gesellschaft. Wir besitzen die vorgefundene Kultur als Ganzes oder Teile davon nicht, aber wir eignen uns erlebte Kultur unbewusst oder bewusst an, wir identifizieren uns mit, durch und auch gegen sie. Unsere Stärke ist, "bereits Gedachtes immer wieder neu zu denken" (Odo Marquard) und einzelne Menschen beeinflussen durch ihre Kreativität und Geisteskraft nicht nur ihre unmittelbare Umgebung, die Gesellschaft ihrer Zeit, sondern viele aufeinanderfolgende Generationen. Sie sind Anstoß und Inspiration für weiteres Denken und Schaffen – und ihrer Person, ihrem Namen und ihrer Autorität zollen Mitmenschen und Nachgeborene Respekt. Aber selbst Herausragendes ist nie nur Quelle für Späteres, sondern immer auch Kulminationspunkt vorangegangener Entwicklungen, die an unterschiedlichen Orten zu gleichen oder ähnlichen Ergebnissen führen. Die industrielle Verwertungslogik, die Kulturgüter und Errungenschaften allein als Ware behandelt, bestreitet diese historische Kontinuität und Abhängigkeit – und interpretiert Autorschaft als Werkherrschaft. Wo aber Herrschaft und Kontrolle über menschliche Errungenschaften ausgeübt wird, können kommende Generationen diese nicht mehr formen, Eigenes hinzufügen und Überholtes wegnehmen – und damit diese nicht mehr an nächste Generationen weitergeben. Dadurch gehen Kulturen nicht unter, sie sind jedoch in Gefahr, unfruchtbar und darum vergessen zu werden. Joachim Losehand, 43, ist Historiker, arbeitet zu digitaler Kultur, Medien- und Immaterialgüterrecht im 21. Jahrhundert – unter anderem für Vibe!at, dem Verein für Internet-Benutzer Österreichs.
Bettina Kann, Österreichische Nationalbibliothek (© CC SA)
"Archive ins Netz öffnen" Die Österreichische Nationalbibliothek steht für einen freien und demokratischen Zugang zum Wissen, indem wir Menschen aus aller Welt ungehindert Zugang zu unseren Beständen bieten wollen. Als eine der wichtigsten Maßnahmen, die diesen Anspruch unterstützt, betreiben wir seit 2004 umfangreiche Digitalisierungsprojekte: über unsere Portale ANNO und ALEX sind mehr als zehn Mio. Seiten historischer Zeitungen, Zeitschriften und Gesetzestexte zugänglich. Im Rahmen von "Austrian Books Online", der Public Private Partnership mit Google, digitalisieren wir derzeit unseren gesamten historischen, urheberrechtsfreien Buchbestand (600.000 Bücher). Die ersten 100.000 Bücher sind bereits jetzt online zugänglich und damit für ein weltweites Publikum 24/7 im Volltext verfügbar. Es gilt also, alte Bestände neu zu entdecken! Kooperationen wie PPPs erlauben es uns, Projekte durchzuführen, die wir alleine aus eigenen Mitteln nicht finanzieren könnten. Bei allen unseren Projekten ist es uns jedoch wichtig, ausschließlich Kooperationen ohne Exklusivvereinbarungen einzugehen. Der Schwerpunkt unserer Digitalisierungsprogramme liegt auf urheberrechtsfreien Werken. Um die Digitalisierung aber auch in den kommenden Jahren weiter ausbauen zu können, setzen wir uns dafür ein, den Umgang mit verwaisten und vergriffenen Werken auf EU-Ebene zu regeln. Darüber hinaus werden wir uns in Zukunft im Bereich "Open Data" engagieren, unsere Metadaten als Open Data in strukturierter und standardisierter Form zur Verfügung stellen und Projekte zur semantischen Anreicherung unserer Metadaten durchführen. Bettina Kann, 43, leitet seit 2008 die Hauptabteilung Digitale Bibliothek mit den Schwerpunkten Digitale Langzeitarchivierung und Management digitaler Sammlungen an der Österreichischen Nationalbibliothek.
Gerald Bäck, Blogger und Unternehmer (© Privat)
"Gegen Schutzfristen und Software-Patente" Kindergärten werden von Rechtsanwälten gezwungen, Mickey Mouse-Graffities zu entfernen, private Videos, auf welchen im Hintergrund irgendein Lied zu hören ist, werden von den Verwertungsgesellschaften gesperrt, Downloader werden von der Musikindustrie Verbrechern gleichgesetzt, ein Handyhersteller lässt sich die runden Ecken schützen und verklagt erfolgreich seine Mitbewerber … Die Liste, die zeigt, wie pervertiert unser Urheberrecht mittlerweile im Namen des sogenannten geistigen Eigentums ist, ließe sich noch sehr lange fortsetzen. Hollywood wurde gegründet, weil die Patentrechte rund um das Abspielen von Filmen an der Ostküste zu rigoros gehandhabt wurden. Ein paar "Piraten" machten sich auf den Weg zur Westküste und legten dort den Grundstein für ein Filmimperium. Vor dem Hintergrund, dass Hollywood neben der Musikindustrie heute der laustärkste Verfechter eines scharfen Urheberrechts ist, ist das ein besonders witziges Detail. Es zeigt aber eines ganz deutlich, Urheberrecht und geistiges Eigentum dient vor allem der Besitzstandwahrung und hemmt Innovation. Geistiges Eigentum schützt im übrigen selten die Urheber, sondern meistens die Verwerter und Verleger. So dienen zum Beispiel Software-Patente vor allem als Einkommensquelle für Patentanwälte, als Beschäftigungsquelle für Patentämter und als Erpressungsquelle für sogenannte Patent-Trolle, die Unmengen an Trivialpatenten horten, um dann innovative Unternehmen zu verklagen. Es muss sich also ganz radikal etwas ändern. Software-Patente und Gebrauchsmuster müssen ersatzlos abgeschafft werden, sie hemmen Innovation und Fortschritt. Das Urheberrecht soll nur noch dann durchsetzbar sein, wenn der Verwender damit kommerzielle Einnahmen erzielt, alles andere hemmt Kreativität. Und schließlich müssen auch die Schutzfristen fallen: Dass heute Werke bis zu 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers geschützt sind, finden lediglich die (steuerfreien) Erben toll.
Gerald Bäck, 41, ist Blogger und Unternehmer. Heute ist er Mitbegründer des Wiener und Berliner Softwareunternehmen Archify.
Mitte der 80er sitzt DJ Pierre vor seinem Bass-Synthesizer, einem Roland 303, spielt sich mit den Filtern und packt einen Beat drunter. Clubgeher sind begeistert. DJ Pierre erklärt jedem, der es wirklich wissen möchte, wie er diesen irren Sound zustande gebracht hat. Er wird nachgeahmt, moduliert und weiterentwickelt. Acid House hätte es also wohl nicht gegeben, wenn DJ Pierre nicht so freizügig mit seiner Idee umgegangen wäre. Er ist heute einer der Säulenheiligen der Clubmusik. Und wem sollte ein Sound, der Schlüsselsound einer Bewegung, auch gehören? Oder ein Groove? Oder eine Melodie? Und hier fängt das Problem an. Manche Leute besitzen ja Melodien. Denn in den letzten 200 Jahren wurde aus solchen Ideen immer mehr Geld herausgepresst. Heute nennen wir das Urheberrecht oder Copyright, das exklusive Recht auf einen Einfall – Und gerade wieder wurde so eine Frist verlängert – für Tonaufnahmen in Deutschland von 50 auf 70 Jahre –, innerhalb der so ein Einfall nicht allen gehört, sondern dem Urheber. Aber es regt sich Widerstand. Im Bereich von Musik, Büchern und Film schon seit Längerem, aber neuerdings auch bei Design, Pharma- oder Software-Patenten. Wem gehört eine Dachform oder eine Kameratechnik? Ein Pinselstrich? Vielerorts ist von einem »neuen Teilen« die Rede. Google stellt Wissen und Inhalte gratis zur Verfügung, um an anderer Stelle im Konzern massiv Geld damit zu verdienen. Apple besitzt bereits ein Patent auf abgerundete Ecken. Die erste Waffe wurde bereits auf einem 3D-Printer ausgedruckt. Die digitale Revolution wirbelt seit Jahren durch die Informationsströme, die früher noch kontrolliert werden konnten. Und so viel ist sicher: heute sind diese im Netz nur mehr mit massiven Eingriffen in die Privatsphäre zu zähmen. Die Frage wird uns noch lange beschäftigen, aber wir müssen sie stellen: was sollte also allen gehören?