Auf den Wiener Schmäh dürfen wir uns weiterhin etwas einbilden. Musikalisch betrachtet hat sich das angeblich so verschlafene Wien aber angepasst. Vertreterinnen und Vertreter aller Genres haben Wien auf die wichtigste internationale Landkarte gesetzt: das Internet.
Es gibt immer gewisse Dreh- und Angelpunkte: Musiksendungen, gewisse Lokale, gewisse Plattenläden. Wie steht es darum?
Vera Kropf: Ich glaube, dass es diese Orte immer noch braucht, weil dort eine Konzentration stattfindet. Das Girls Rock Camp hat sich zu einer Art Branchentreffen von musikinteressierten Frauen entwickelt. Lokale wie das Rhiz sind wichtig, auch wenn es oft zu klein ist. Etwas wie die Flittchen Bar in Berlin mit dieser Durchmischung gibt es so nicht.
Trishes: Im Club-Sektor hat die Loud Minority etwas aufgezogen, was es in vielen anderen Städten nicht gegeben hat. Claus Prechtl muss man da positiv erwähnen: Der hat Hudson Mohawke gebracht, als der noch ein sehr verpickelter blasser Jüngling war.
Radio?
Pulsinger: Ich find’ den »Sumpf« nach wie vor extrem hörenswert. Wenn du 17 bist und HipHop hörst, werden’s die »Tribe Vibes« sein, wenn du Techno hörst »La Boum Deluxe«. FM4 hat eine Ausnahmestellung.
Cid Rim: Man sollte aber auch Superfly erwähnen.
Könnte das Popfest zu einem Kristallisationspunkt werden?
Pulsinger: Das kann es aus mehreren Gründen nicht sein, zumindest für mich als diesjähriger Kurator: Das Popfest sollte so breit wie möglich aufgestellt sein. Das Popfest ist null elitär. Szenen leben aber davon, elitär zu sein, sich abzugrenzen. Für Bands ist es cool, denn das Popfest ist ein Brandbeschleuniger: Wer dort war, kann nachher besser bezahlte und internationalere Gigs spielen. Und fürs Publikum ist es gut, ein Wochenende lang gratis Musik zu hören.
Clubs und Festivals könnten wichtige Spielwiesen für heimische Acts sein, da passiert allerdings gerade wenig …
Trishes: … Ist halt die Frage, ob das deren Antrieb ist. Ein normaler Disco-Club-Betrieb will ja kein Kristallisationspunkt sein. Die wollen Bier verkaufen und an der Kasse verdienen …
Cid Rim: …und im besten Fall gutes Booking machen.
Pulsinger: Die Aufbruchsstimmung ist lange vorbei, jetzt ist das knallhartes Business. Kaum jemand von denen wagt doch irgendwelche großen Experimente.
Trishes: Ich glaube eben auch nicht, dass es diese geografischen Punkte braucht. Das kann einfach in einer Soundcloud-Gruppe oder geschlossenen Facebook-Gruppe passieren, wo man Sachen austauscht.
Pulsinger: Das Clubprogramm hat aber auch einen schalen Beigeschmack. Viele spielen für immer das gleiche Publikum, immer den gleichen Sound. Man müsste ja nicht immer die ausgetreten Wege gehen. Man kann sich schon etwas trauen und die Leute finden das dann auch geil.
Waren 2011 und 2012 die besten Musikjahre in Wien seit den späten 90ern?
Vera Kropf: Na sicher. Da ist unsere Platte raus gekommen. Es gab davor echt wenig, wir wussten nicht, welches Label fragen, für uns war das eine andere Welt.
Pulsinger: Es gab auf jeden Fall in den späten 90ern und den frühen 2000ern einen massiven Durchhänger in Wien. Den alten Hasen ging die Luft aus und eine neue Generation war noch nicht da. Aber von dort weg, also sagen wir ab 2000, ging es massiv nach oben. Qualitativ und quantitativ. Eine wichtige Entwicklung ist, dass es seit ca. 2000 möglich ist, ausschließlich am Computer Musik zu produzieren; große Nutznießer davon sind zum Beispiel Frauen. Es gibt jetzt viel mehr Frauen, die Musik machen und selbst mischen, weilt der Zugang niederschwelliger geworden ist.
Cid Rim: Wenn es eine breitere Basis gibt, gibt es auch mehr mit hoher Qualität.
Der Gesamtmarkt ist aber speziell in Österreich im Vergleich zum Jahr 2000 unglaublich geschrumpft.
Pulsinger: Das ist aber eine Krise der Plattenindustrie. Über reinen Verkauf des Produktes kannst du heute kein Geld mehr verdienen, Leute müssen einfach wieder auf die Bühne…
Cid Rim: …und das find ich gut, denn das ist Musik im ursprünglichen Sinne: für Leute spielen.
Pulsinger: Die Musikindustrie hat sich selber abgeschafft und ich hoffe, sie stirbt morgen und nicht erst übermorgen. Die haben jahrzehntelang nichts für die Künstler getan.
Trishes: Das Problem ist aber, dass die Phänomene, die in den letzten Jahren aus dem Internet heraus groß geworden sind, nur groß geworden sind, weil sie ihre Musik verschenkt haben.
Cid Rim: Ich finde das nicht so schlecht, dass man sich am Anfang ein bisschen dem Publikum beweisen muss. Man denke an Hip Hop und diese ganze Mixtape-Traditon. Du brauchst eben am Anfang Aufmerksamkeit und das geht heute nur noch über Gratis-Sachen.
In „Wienpop“ kann man häufig lesen wie Leute früher von Indies und Major Labels und Managern abgezockt worden sind. Hat sich da etwas geändert?
Pulsinger: Du meinst der Mensch? Da bräuchten wir jetzt einen Abend dazu, um das zu besprechen.
Cid Rim: Ich kenn niemanden, der überhaupt mit Major Labels zu tun hat. Wieso sollte man da auch hinwollen? Du willst dich ja so positionieren, dass du am meisten Leute erreichst, denen deine Musik gefällt. Ich denke, das hat jeder verstanden, der heute Musik macht.
Majors haben sich komplett aus österreichischer Musik zurückgezogen …
Pulsinger: Experimente bei Majors: das gibt es heute nicht mehr. Glaubst du, dass da noch irgendwer am Abend unterwegs ist von den größeren Labels und sich ein Konzert von einer unbekannten Band anhört, die leiwand sein soll? Gute Musik entsteht nicht dort, wo das Geld ist. Das hat schon in den 90ern angefangen mit den kleinen Indie-Labels.
Und wann hat das eigentlich angefangen, dass der ORF bis auf FM4 aus österreichischer Musik ausgestiegen ist?
Trishes: Die Ö3-Reform in den 90ern: Bogdan Roscic wird da immer als der große Satan ins Feld geführt, das sag‘ jetzt aber nicht ich persönlich. Im Fernsehen gab es mehr Musikflächen, »Wurlitzer« zum Beispiel, und generell mehr Kulturflächen.
Gibt es die »Wiener Blase«? Damit ist gemeint, dass man schnell mal dazu neigt, in Wien zufrieden zu sein, aber nicht ganz den Mut hat, rauszugehen. Auch, dass man Wien in Wien überschätzt.
Vera Kropf: Ja, die Wiener Blase kenne ich nur zu gut. Ja, Panik haben ja gleich Wien ganz den Rücken gekehrt, auch für Clara Luzia war das hart, sich ihr Publikum zu erspielen. Man führt hier Interviews mit fünf oder sechs Medien und glaubt, man hat jetzt einen kleinen Star-Moment, aber in Berlin hat das natürlich niemand mitbekommen.
Pulsinger: Weltweit Reisen ist heute kein Privileg mehr. Du kannst genauso international sein, aber keinen Fuß aus der Tür setzen.
Cid Rim: Ich habe mir in den letzten Jahren oft gedacht, dass es der logische Schritt wäre, in die nächstgrößere Stadt zu gehen. Aber ich bin zu dem Fazit gekommen, dass es viel angenehmer ist, dreimal in der Woche Mails mit Leuten in London zu schreiben als mir dort jeden Tag 16 Stunden wie alle anderen den Arsch aufzureißen, um etwas zu essen zu haben. Solang ich die richtigen E-Mail-Adressen habe, kann ich mich auch nach Gramatneusiedl setzen.
Patrick Pulsinger ist Popfest-Kurator und seit den frühen 90ern als Musiker, Produzent und Diskutant essenzieller Teil Wiener Popmusik.
Stefan Trischler war heuer als 1773 x Trishes für den Amadeus nominiert, beobachtet bei FM4 als Host von Tribe Vibes und auf Supercity vor allem HipHop und Artverwandtes.
Cid Rim hat sein letztes Jahr sein Debüt auf dem schottischen Bass Music Label Luckyme (Hudson Mohawke, Baauer, Rustie, etc.) veröffentlicht.
Vera Kropf pendelt zwischen Wien und Berlin, singt bei Luise Pop und engagiert sich beim Girls Rock Camp.
Zum Thema Wienpop außerdem:
Coverstory zu Wienpop – Wie klingt Wien heute
Kleine Appendix zu den Büchern:
„Im Puls der Nacht – Sub- und Populärkultur in Wien 1955–1976“ von Heinrich Deisl
„Wienpop: Fünf Jahrzehnte Musikgeschichte erzählt von 130 Protagonisten“ von Walter Gröbchen, Thomas Mießgang, Florian Obkircher und Gerhard Stöger
„Schnitzelbeat – Handbuch zu Rock-N-Roll, Beat, Folk, Pop und Proto-Punk in Österreich (1956–1976)“ von Al Bird Sputnik
Einen jährlichen Querschnitt durch Wiener Musik bietet das Popfest, heuer von 25. bis 28. Juli rund um den Wiener Karlsplatz.