Die Brüder Ketan und Vivan Bhatti haben Johann Sebastian Bach remixt. Gähn. Viel spannender ist das Wie.
Ketan Bhatti ist wirklich kein großer Fan von Pop-Klassik-Mischkulanzen. Zu oft geht es nur um erlauchten Gestus und einen gefälligen Stilmix, Kulturauftrag für das leitende Management, aber keine gegenseitige Annäherung. Und eigentlich beschäftigt sich Ketan Bhatti nicht einmal sonderlich intensiv damit … sagt er. Das ist erstaunlich, arbeitet er doch laufend an einer Synthese von zwei sehr unterschiedlichen Stilen. Als Stipendiat an der Kunst-Uni Berlin beschäftigt sich der mehrfache Preisträger, so seine Website, »mit dem ästhetischen Innovationspotenzial von mimetischen Prozessen zwischen einander fremden Ausdrucksformen«. Oha. Im persönlichen Gespräch spricht er dann von der »Bruchstelle zwischen E-Musik und Street-Kultur«. Mit sechs hat er mit Klavier begonnen, mit zwölf Schlagzeug, später spielte er HipHop, Soul und Jazz und kann dadurch sowohl einem Theater, einem Komponisten oder auch Breakdancern das richtige Werk abliefern, also eine Partitur, eine CD oder auch eine Partitur mit CD-Playbacks. Er kennt die Arbeitsweisen und ist in den verschiedenen Welten zu Hause; weil ihn Fachidiotie nie interessierte.
Für das multimediale Dance-Performance »Flying Bach« musste Ketan Bhatti gemeinsam mit seinem Bruder Vivan versuchen, die barocke Polyphonie der Stimmen von Johann Sebastian Bach und deren ständige, fließende Progression mit den in sich kreisenden Beatschleifen von HipHop zu verschränken. Sie mussten immer wieder neue Wege finden, diese laufenden Weiterentwicklungen der Vorlage – das Wohltemperierte Klavier – nachzuahmen, abzubilden oder zu variieren. Es gab aber zumindest ein sehr präzises Rhythmus-Korsett. Die Fuge in D-Dur sei in dieser Hinsicht relativ einfach mit HipHop-Sounds zu instrumentieren gewesen, während das bei der fast elegischen Fuge in Es-Moll schon komplizierter geriet. Vor allem aber stellte sich die Frage: Wie kann man eine barocke Fuge überhaupt mit HipHop zusammenbringen? Die Bassstimme mit einem HipHop-typischen Bass-Synth-Sound spielen, während die höchste Stimme von einem elektronischen Klavinett übernommen wird, unmittelbares Übersetzen, war da eine der einfachsten Lösungen. Aber auch eigene Bach-Neueinspielungen wurden gesampelt oder verfremdet, wurden gecuttet, gemixt oder mit analogem Vinyl-Kratzen angereichert – also mit ganz charakteristischen Techniken und Sounds aus dem HipHop bearbeitet.
Für die Arbeit an »Flying Bach« haben Ketan und Vivan Bhatti 2010 den Echo-Klassik Sonderpreis bekommen. Verdientermaßen, denn ihre Remixe sind klar der herausragendste Teil des Werks –sie schaffen punktgenau den Brückenschlag zwischen wertiger Barockmusik und hip-cooler Jugendkultur fast ohne Imageverluste. Die anderen zentralen Elemente der Performance – Breakdance und originale Bach-Live-Interpretationen auf Klavier und Cembalo – spielen sich hingegen nebeneinander ab. Die technisch einwandfreien Figuren der B-Boys der Flying Steps passen nur so irgendwie auf die Musik drauf, die getanzte Geschichte ist nicht immer nachvollziehbar, die Bach-Interpretationen nicht allererste Schaumware. Im Zusammenspiel aber ist »Flying Bach« mindestens ein sehr gelungenes Experiment: was bei der leicht bemüht wirkenden Mischung aus Barockmusik, Bach-Remixen, Visualisierung und Breakdance so ja kaum zu erwarten war. Wer’s braucht – hmm – fragt sich bei anderen crossmedialen Kunstformen wie Ballett, VJing oder postmodernem Regietheater ja auch niemand.
»Flying Bach« mit Breakdance der Flying Steps und Musik von Johann Sebastian Bach sowie Ketan und Vivan Bhatti gastiert am 5., 6., 12. und 13. November 2011 im Burgtheater Wien. Ermöglicht wurde das Projekt von Red Bull.
Erneut in Wien wird Flying Bach von 4. – 8. Mai 2016 in der Halle E des Museumsquartier Wien gastieren.