Sind Hollywoods Superheldenfilme sexistisch? Mehr als das übliche Hollywood? Und ändert sich das gerade?
Der einzige plausible Grund, die 3D-Version von »Marvel’s The Avengers« ihrem zweidimensionalen Pendant vorzuziehen, ist der in schwarzes Leder gehüllte Hintern von Black Widow, der den Zuschauern im zweiten Akt des Films förmlich ins Gesicht springt. Nicht, weil dieser Hintern so spektakulär wäre oder weil er der einzigen Protagonistin des Films gehört, die mehr als fünf Sätze zu sagen hat. Nein, es handelt sich schlichtweg um die einzige Einstellung in knapp zwei Stunden, der man das dritte D tatsächlich ansieht …
Im Grunde stellt Black Widow (Scarlett Johansson) die ideale Identifikationsfigur für ein junges, weibliches Publikum dar. Die Frau ist taff, smart und streitbar, verfügt über stahlharte Nerven und einen mörderischen rechten Haken. Das Gegenteil einer hilflosen Maid in Not also. Doch Widow hat auch einen Makel, einen wortwörtlichen Schönheitsfehler: Ihre traditionell männlichen Superheldeneigenschaften stehen in krassem Gegensatz zu ihrem betont weiblichen, per 3D zum maximalen Hingucker gepushten Äußeren. Dass Widow im zweiten Teil der Franchise zu einer Art liebestrunkenem Hulk-Sidekick wird, sorgt für zusätzlichen Zündstoff. Ebenso die zweifelhafte Entscheidung des Marvel-Managements, die Widow-Fan-Artikel weitgehend aus der offiziellen »Age Of Ultron«-Merchandise zu entfernen, um Platz für die Plastik-Konterfeis männlicher Nebenfiguren zu schaffen.
Die Internet-Community reagierte mit Spott und Entrüstung und die seit geraumer Zeit vor sich hin schwelende Sexismus-in-Hollywood-Debatte loderte mal wieder auf. Sind »The Avengers« nun sexistisch? Ja, das sind sie. Das bedeutet aber weder, dass die Filme keine starken Frauen-Figuren enthalten, noch, dass sie in puncto Sexismus an einen durchschnittlichen Blockbuster heranreichen. Hollywood reproduziert seit knapp 100 Jahren dieselben eingestaubten Formeln.
Deshalb steht Tom Cruise auf einem Hocker, wenn er seine Filmpartnerin küsst. Deshalb fährt Will Smith in »I, Robot« Sci-Fi-Autos, Bridget Moynahan aber nur Aufzug. Deshalb unterhalten sich Frauen im Film am liebsten über Männer. »Marvel’s The Avengers« bricht nicht mit diesen Formeln. Viele Fans der Franchise zeigen sich davon enttäuscht. Zum einen, weil Sexismus in seiner soften Form immer noch Sexismus bleibt, zum anderen, weil sich die Kino-Konsumenten von einer Comicverfilmung mehr erwarten als von einem Michael-Bay-Actioner, in dem sich Megan Fox auf einem Motorrad räkelt. Schließlich sind die Vorlagen der Streifen doch praktisch subversives Außenseitertum in Gedankenblasenform.
Der Anspruch, anders zu sein
Werfen wir einen kurzen Blick auf den Comic-Zweig der US-amerikanischen Filmindustrie. Bis 2020 werden über 30 Werke aus den Pressen der Markt-Giganten Marvel und DC fürs Kino adaptiert sein – die logische Konsequenz eines anhaltenden Trends, der mit den Erfolgen von »X-Men« (2000), »Spider-Man« (2002) und »Batman Begins« (2005) seinen Anfang genommen hat. Hollywood liebt Comics, weil ihr Fundus an Storys und Figuren schier unerschöpflich ist. Sie erfinden sich in regelmäßigen Abständen neu (sind somit perfekt auf Remakes und Reboots zugeschnitten) und verfügen über eine gigantische kaufkräftige Fanbase. Vor allem aber erzählen sie universelle Geschichten, wie etwa die von Gut vs. Böse, ohne im schalen Mainstream-Entertainment abzusaufen.
Comic-Helden sind großteils Außenseiter, Minderheiten, tragische Figuren. Charaktere, die um ihre Identität ringen, die sich mit Hass und Häme konfrontiert sehen, die Normen sprengen und Klischees negieren. Die Anders-, die Fremdartigkeit der Figuren macht ihren Reiz aus. Hollywoods Filmemacher transponieren diese Andersartigkeit – der englische Begriff »otherness« ist ein wenig schmackhafter – nicht nur in das neue Medium, sie machen sie häufig zum zentralen Thema.