Yasmo & die Klangkantine sind zurück. Auf »Laut & lost« wird die Welt zwischen Aufstand und Lost-Sein vertont. Yasmo spricht im Interview über die intensive Arbeit am Album, die Schönheit der Poesie und ihre Pläne für die Zukunft.
Du bedienst mit deiner Kunst verschiedene Genres. Musikalisch enthält deine Musik Anleihen von Hip-Hop, aber auch von Pop und Jazz. Kannst bzw. willst du dich musikalisch überhaupt einschränken?
Remixen und Samplen sind die Urformen des Hip-Hop und dieser bediene ich mich auch. Das Genredenken finde ich veraltet, das wird es nicht mehr lange geben. Ich verstehe den Grundgedanken hinter Genres, aber ich denke nicht, dass diese immer so streng sein sollten. Grenzen verschieben sich und ich finde es gut, wenn alles in Bewegung bleibt. In diesem Zusammenhang denke ich auch an die Unterscheidung zwischen ernster Musik und Unterhaltungsmusik: Diese wird etwa bei Verwertungsgesellschaften getroffen und da wird auch anders verrechnet. Das sehe ich nicht ein. Wir haben genauso Partituren. Unsere Songs sind mit Noten auf Partituren geschrieben, von studierten Musiker*innen. Aber wir gelten als Unterhaltungsmusik. Es gibt zwei Arten von Mindsets: Das von Knappheit und das von Überfluss. Ich glaube, das Mindset vom Überfluss führt und bringt uns weiter. Wenn ich sage, dass ich etwas mache, und das darf dann niemand machen, dann beschneide ich mich schon selbst. Wenn ich jedoch sage: Ich mache das und das und der macht ebenso das und das – das passt vielleicht zusammen! Aus mehr wird mehr. Das ist auch mein Mindset und ich habe überhaupt keinen Bock, mich in irgendeiner Form zu beschneiden.
Hast du das Gefühl, dass es in Österreich schon angekommen ist, dass diese Trennungen bzw. Unterscheidungen nicht mehr sinnvoll sind?
Es gibt ein paar Menschen, die ich als Visionär*innen bezeichne, die auf den Privilegien sitzen. Dass die Subkultur daherkommt und sagt: Hey, nehmt uns ernst, wir sind auch da, das geht ja schnell. Aber es gibt auch in der sogenannten Hochkultur Menschen, die das sehen und die wissen, dass es auch ihnen nutzt, wenn alle mehr Sichtbarkeit bekommen. Es gibt manche, die das schon machen, andere brauchen noch ein bisschen. Manche laufen schon noch mit diesem Mangel-Mindset herum und glauben, dass ihnen etwas weggenommen wird. Das wird noch eine Zeit dauern, aber es geht schon in die richtige Richtung. Mit Poetry-Slam versuchen wir das ja auch: Wir gehen an die Stätten der Hochkultur und sagen: »Servus, wir sind jetzt auch da.« In dieser E- und U-Debatte ist ja auch ganz oft die Frage, wer die Gatekeeper sind. Wo ist Inklusion? Wer möchte Elite bleiben? Da muss man halt teilweise dreist sein und Türen öffnen.
Du arbeitest an verschiedenen Projekten. Wie sieht dein kreativer Prozess aus? Was braucht du, um kreativ zu sein? Und ist es dir in den letzten Jahren durch Pandemie & Co leichter oder schwerer gefallen, kreativ zu sein?
Während der Lockdowns, als es keine Auftritte gab, keine Termine, keine Mails und keine Reisen zu buchen usw. – das hat mir so einen Freiraum geschaffen: Dadurch wurde mir erst klar, unter welchem Druck ich davor gearbeitet hatte. Es war plötzlich alles reduziert. Ich bin zu Tobi oder zu Ralph gegangen und wir schrieben gemeinsam Songs. Das war voll interessant und gut, das möchte ich mir gerne auch für die Zukunft behalten, zumindest in bestimmten Phasen. Diese Freiheit und Zeit hat mir gutgetan in meiner kreativen Arbeit und ich habe nun eine Assistentin, ein Management, ich habe mein Team erweitert. Da ich mir dachte, dass ich gewisse Aufgaben auslagern muss, wenn ich mich mehr um meine kreative Arbeit kümmern will.
Deine Liebe zu Hip-Hop ist bekannt. Einige sind ja der Ansicht, dass Hip-Hop sich vor allem im 21. Jahrhundert sehr geändert hat. Stand anfangs noch das Aufzeigen sozialer Missstände im Fokus, rückte nach und nach das eigene Ich und die Selbstdarstellung in den Mittelpunkt. Siehst du das auch so bzw. denkst du, dass Hip-Hop inhaltlich wieder zurück zu seinen Wurzeln kommen kann, gerade in krisengeprägten Zeiten, wie wir sie aktuell erleben?
Ich weiß nicht mehr, wer es gesagt hat, aber es war das Wahrste, das ich seit Langem gehört habe: »Früher hast du Hip-Hop gemacht und vielleicht kam ein anderes Genre dazu, weil du etwas gesampelt hast, heute kommt kein Genre ohne Hip-Hop aus.« Überall findet man die klassischen Hip-Hop-Drum-Loops, es gibt Rap-Features usw. Das ist eine tolle Bewegung, die Hip-Hop vorangebracht hat. Du kannst am Handy einen Beat produzieren oder keine Ahnung was. Hip-Hop war auch immer Selbstermächtigung. Hip-Hop hat nie gefragt, ob du gewisse Abschlüsse hast. Du machst es einfach, stellst dich in einen Kreis und beginnst zu rappen. Das ist Hip-Hop. Was das betrifft, war Hip-Hop immer back to the roots. Dazwischen kam eine Industrie, die gemerkt hat, wie sie sich daran bereichern und daraus Profit schlagen kann. Diese Industrie muss sich aber neue Strategien einfallen lassen, weil die alten nicht mehr zünden. Den Protz- und Ich-bin-so-geil-Rap wird es immer geben, weil es diese Charaktere auch immer geben wird. Dennoch glaube ich, dass Rap, der conscious ist und Geschichten erzählt, weiterhin Bestand haben wird. Im Musikbetrieb ist viel mehr politisches Bewusstsein und Solidarität da, zumindest sagt das mein Bauchgefühl. Einen reinen, glatten Popsong darüber, dass dein Herz gebrochen wurde – das gab es eh schon so oft. Wahrscheinlich sind da ein paar Songs aus den 1980ern einfach besser. Wir haben sicher auch genug politische Songs gehört, aber Politik ist ein Prozess, der immer weitergeht – das ist Musik auch.
Da kommen auch wieder deine beiden Standbeine ins spielen: Sowohl Hip-Hop als auch das Schreiben sind beide relativ voraussetzungslos.
Ich glaube fest daran, dass Kunst das ist, was alle können, aber nicht alle machen. Wir können alle singen, wir können alle tanzen, wir können alle malen, wir können alle schreiben und selbst, wenn wir nicht schreiben können, beherrschen wir die Mündlichkeit, und auch Gebärdensprache ist eine Sprache. Das sind alles grundlegende Sachen, die alle können, von Kindheit an.
In den letzten Jahren gab es vermehrt Diskussionen darüber, wie unsere Arbeitswelt sich verändern wird. Glaubst du, Menschen könnten gegebenenfalls ihre Zeit besser nutzen – etwa für kreative Projekte?
Absolut. Ich glaube auch, dass die Menschheit das braucht. In diesen neoliberalen Rädern muss alles immer produktiv sein – und da muss man für sich selbst sagen: Ruhe und Runterkommen ist auch Produktivität. Denn du kannst nicht die ganze Zeit im Hamsterrad laufen, sonst bekommst du Burnout. Ich möchte die Krankheit nicht verharmlosen, aber man muss sich fragen: Woher kommt das? Das kommt daher, dass alle ins Prekariat gestürzt werden und dass alle die ganze Zeit laufen und hustlen. Das geht auf Dauer nicht. Dafür ist die Menschheit nicht gemacht. Ich glaube, dass es Menschen guttun würde, wenn sie ihre Kreativität ausleben könnten. Ich gebe auch Workshops und höre immer wieder: »Ich kann ja nicht schreiben, ich weiß nicht, wie das geht.« Aber ich sage: »Doch, das kann jeder Mensch.« Ich habe leider nicht Buch geführt in den letzten 15 Jahren, in denen ich nun Workshops gebe, aber hätte ich, dann hätte ich empirische Daten, die belegen, dass jeder Mensch etwas schreiben kann, dass jeder Mensch sich kreativ ausleben kann. Das muss ja nicht immer in die Professionalisierung führen. Man darf auch etwas machen, nur um es zu machen und weil es Spaß macht. Man darf sich auch als Individuum wieder schätzen lernen und sich nicht nur als Maschine sehen, die im Dienst des Kapitalismus steht.
Zum Abschluss möchte ich noch gerne einen Blick zurück und einen Blick nach vorne werfen: Du stehst seit mehr als zehn Jahren auf der Bühne und hast viele Projekte realisieren können. Mittlerweile bist du regelmäßig auch mit deiner Band auf der Bühne, vor allem anfangs bist du aber alleine da oben gestanden. Würdest du dich als mutig bezeichnen? Und welchen Tipp würdest du einer jüngeren Version von dir geben?
Ein bisschen weniger zweifeln und es wird sich alles ausgehen, das würde ich meinem jüngeren Ich raten. Ob ich mutig war? Wahrscheinlich schon, aber ich habe es nie als mutig erachtet. Irgendwie war mir schon als Kleinkind klar, dass ich eine Bühne brauche. Ich liebe die Bühne. Die Bühne ist mein Zuhause. Vor ein paar Monaten habe ich einen Workshop gegeben, an dem meine beste Freundin teilnahm: Sie redet nicht gerne vor Menschen. Ich kenne das überhaupt nicht, ich bin nicht so. Sie traute sich dann aber, in der Workshop-Gruppe vorzulesen und ihr Text war super. Für sie war das ein Verlassen der Comfort Zone. Meine Comfort Zone ist die Bühne. Das war schon immer so. Das war total interessant, zu sehen, wie nervös sie war. Für mich ist sie eine meiner engsten Bezugspersonen, sie machte es super, aber ich dachte mir: Ich kenne sie so gut, aber ich habe sie noch nie so aufgeregt gesehen und ich kann es nicht nachvollziehen. Für mich war das schon immer anders, so nach dem Motto: »Ab auf die Bühne, geht scho, gemma!« Wenn ich zurückblicke, sehe ich schon einen gewissen jugendlichen Übermut, auch bei einigen Meldungen, die ich geschoben habe, die super radikal waren, weil natürlich, ich bin 16, da verändere ich natürlich die Literaturgeschichte, ganz klar. (lacht)
In Interviews hast du etwa Beyoncé als eines deiner Vorbilder genannt. Auch sie ist bekannt dafür, nicht nur großartige Shows abzuliefern, sondern sich ständig neu zu erfinden. In den letzten Jahren zeigte sie sich zudem mehr von einer politischen Seite. Worauf können wir uns noch freuen, welche Ideen treiben dich noch an?
In den nächsten Jahren werde ich noch viele Sachen machen, die ich schon immer machen wollte. Mich hat stets auch der Hintergrund der Kultur interessiert und während der Pandemie habe ich mich viel mit Kulturpolitik befasst. Klar, ich bin Künstlerin, das ist das eine, aber ich sehe mich auch – in einem gewissen Grad – als Kulturmanagerin bzw. -politikerin, wobei ich jetzt kein politisches Amt anstrebe. Die Hintergründe finde ich genauso spannend wie die Vordergründe. Was mir auch ganz wichtig ist: Ich finde, man darf Kunst als Gesamtheit sehen. Ich finde das so schwierig, sich auf einzelne Genres zu beschränken, das mache ich nicht. Was mich extrem nervt, v. a. als Frau: Wenn eine Frau mehr als ein Genre bedient, dann heißt es immer, sie müsse sich auf eine Sache konzentrieren. Wenn ein Typ jedoch vieles probiert und macht, dann ist er ein Renaissance Man. Alle sagen dann: »Wow, er ist gebildet und macht so viel.« Daran möchte ich sehr hart arbeiten – dass es den Begriff Renaissance Woman auch gibt. Man ist ja in seiner künstlerischen Entwicklung so drinnen: Wenn ich ein Album mache, dann bin ich vom ersten Satz des ersten Songs über die anderen Songs, das Cover bis hin zum Video überall involviert. Das ist nicht nur: Mah, ich habe ein Gedicht geschrieben und es gibt einen Beat dazu. Es ist so viel mehr. Das heißt aber auch, wenn ich Texte schreibe, wenn ich andere Kunstsparten bediene, dass ich überall tief drinnen bin und involviert bin. Ich möchte eine Renaissance Woman werden.
Wenn du in – sagen wir einmal – zehn Jahren wieder ein Interview gibst: Was wirst du dann über dich zu sagen haben?
Ich habe einmal überlegt, wie ich meine Autobiografie nenne, wenn ich alt bin, und zwar: »I Can’t Remember Everything«. Ich will so viel erlebt und so viel gemacht haben, dass ich mich nicht an alles erinnern kann.
Das Album »Laut & lost« von Yasmo & die Klangkantine ist heute, also am 7. Oktober 2022, bei Ink Music erschienen. Die nächsten Konzerttermine der Band lauten: 11. November, Klagenfurt, Kammerspiele — 12. November, St. Pölten, Freiraum — 17. November, Dornbirn, Spielboden — 18. November, Innsbruck, Treibhaus — 23. November, Salzburg, ARGE Kultur — 26. November, Purkersdorf, Die Bühne — 1. Dezember, Wien, Porgy & Bess — 2. Dezember, Wien, Porgy & Bess — 14. Dezember, München (DE), Milla — 15. Dezember, Freiburg (DE), E-Werk.