»Meine Comfort Zone ist die Bühne« – Yasmo im Interview zu »Laut & lost«

Yasmo & die Klangkantine sind zurück. Auf »Laut & lost« wird die Welt zwischen Aufstand und Lost-Sein vertont. Yasmo spricht im Interview über die intensive Arbeit am Album, die Schönheit der Poesie und ihre Pläne für die Zukunft.

© Carina Antl

Sie rede schnell, warnt Yasmo zu Beginn des Interviews. Zu erzählen hat sie viel. Seit ihrem 15. Lebensjahr steht Yasmin Hafedh auf der Bühne, war zuerst im Poetry-Slam und später auch im Rap daheim. Mittlerweile wird sie von der Klangkantine musikalisch begleitet: Hip-Hop mit Blasmusik-Support und klarer feministischer Botschaft – warum nicht? Auch sonst ist Yasmo künstlerisch umtriebig: Sie schreibt und produziert mittlerweile für andere, sitzt im Organisationsteam des Slam 22, hält Workshops, kuratierte das Popfest 2019 (gemeinsam mit Mira Lu Kovacs) und lieh auch schon Lisa Simpson ihre Stimme.

Nun erscheint mit »Laut & lost« ihr drittes Studioalbum mit der Klangkantine. Gründe genug, um mal wieder mit Yasmo zu sprechen:

Kannst du uns kurz den Entstehungsprozess des neuen Albums erläutern?

Yasmo: Es ist das dritte Album mit der Klangkantine und der Entstehungsprozess war dieses Mal viel, viel intensiver. Das lag wohl daran, dass wir das Album während der Pandemie geschrieben haben. Wir haben uns oft getestet und sind dann ins Studio gegangen. Das waren tagelange Sessions. Wir haben extrem viel geschrieben und extrem viel ausprobiert. Wir hatten auch noch nie so viele Songs wie dieses Mal, aber natürlich sind nicht alle auf dem Album gelandet. Es waren ca. 30 Songs, aber nicht alle fertig produziert, Skizzen eben. Wir wollten den Sound verändern, das machen wir bei jedem neuen Album. Eigentlich total widersinnig, denn davor findet man ja schon eine Struktur und dann ändert man wieder alles, aber das hält das Ganze auch spannend. Wir haben uns mit verschiedenen Produzent*innen getroffen. Nach langen Writing-Sessions hatten wir ebenso lange Sessions im Studio. Wir haben wirklich alles gegeben, haben viel probiert, auch mit meiner Stimme – und dann gab es schließlich ein Album. Wir haben auch tolle Gäste mit dabei: etwa Mira Lu Kovacs oder W1ze, auch Eva Prosek von Dream Noir hat einige Songs eingesungen. Wir waren sehr glücklich, als das Album schließlich fertig war.

Mit wem willst du künftig noch gerne zusammenarbeiten?

Beyoncé fände ich super, da wäre ich voll dafür. (lacht) Sonst gibt es viele tolle Leute in Österreich, die Szene blüht so auf. Ich mache ja nicht nur Musik, sondern auch viel Arbeit im Hintergrund. Ich sitze in verschiedenen Gremien und bekomme mit, was der neueste heiße Scheiß ist.

Was ist denn der heißeste Scheiß? Spill the beans!

Aze sind gerade ziemlich der heißeste Scheiß, die finde ich so super. Wenn ich kurz angeben darf: Ich kannte die beiden schon vor zwei Jahren. Ich bin auch großer Fan von Farce, die ich einfach so cool finde. Bipolar Feminin feiere ich ebenso. Grunge-Punk mit einem gewissen Schmäh. Ich bin immer offen für neue Musik.

Das Album heißt »Laut & lost«. Was bedeutet der Titel für dich?

Wir haben noch nie so lange nach einem Titel gesucht wie bei diesem Album, weil im Album so viel drinsteckt. Ich habe noch nie öffentlich – außer vielleicht auf Instagram – über eine Zeit in meinem Leben gesprochen, in der ich Angstzustände hatte. Es ist eigentlich nicht meine Art, so ganz schwer und betroffen zu sein, denn wenn ich über mich selber rede, dann muss ich auch Schmäh führen. Im Album steckt also das Thema Mental Health, wie auch Kritik am Neoliberalismus. An ganz vielen Stellen ist das Album laut und schreit »Oida!«. An vielen anderen Stellen ist es wiederum so, dass ich auch keine Lösung habe; ich stelle nur Fragen. Wir haben also lange nach einem Titel gesucht. Irgendwann bin ich auf meinem Balkon gesessen, habe eine geraucht und auf einmal kam mir »Laut & lost« in den Sinn. Ich dachte sofort: Das ist es. Wir sind laut, wir begehren und wir schreien auf und ich werde nicht müde, eine intersektionale Feministin zu sein und die Kämpfe zu führen. Es heißt nicht, dass ich aufgebe, gleichzeitig ist es aber ein Gefühl des Lost-Seins. Es passiert so viel gerade. Corona war erst der Anfang – wer hätte das gedacht? Krieg in Europa, Inflation, Klimawandel. Es ist ein bisschen auch der Zeitgeist: Meine Generation wird es sich wohl nicht mehr leisten können, einen Kredit aufzunehmen und ein Haus zu bauen und dann das Geld zurückzuzahlen. Es sei denn, wir erben oder so.

Das Album behandelt unterschiedliche Themen: Das Leben als Arbeiter*innenkind, kostenlose Arbeit von Frauen, Selbstermächtigung, Leben mit Social Media, aber auch Nostalgie, Liebe und Selbstbefreiung. Wie kommst du zu deinen Themen?

Das ist ganz unterschiedlich – je nachdem ob ich einen Text für einen Slam, eine Literaturzeitschrift oder einen Song schreibe. Bei Songs kommt natürlich diese musikalische Ebene ins Spiel, die macht schon etwas aus. Anfangs ist vielleicht ein Akkord da oder ein Satz, das ist dann der Ausgangspunkt. Es gibt schon Themen, die mich immer wieder beschäftigen, wie etwa Care-Arbeit und Mental Load. Darum geht es etwa in »Rich«. Eigentlich ist es völlig absurd zu rappen »Ich mach mich rich, ich bin that bitch«, weil es ein neoliberaler Schmäh ist, aber andererseits ist es ja nicht anders. Es sind Themen, die mich in meinem Alltag beschäftigen, die dann in Texten vorkommen. Dann gibt es auch andere Situationen: Bei »100K« haben wir eine Stunde Videos von Xatar geschaut, den ich nie höre und von dem ich nichts wusste. Wir haben uns Interviews von diesem Gangsta-Rapper angesehen. Der Typ hat anscheinend Gold gestohlen und es irgendwo vergraben, beste PR-Story ever. Daraus ist dann ein Denkprozess entstanden. »100K« ist meiner Meinung nach einer der verkopftesten Songs des Albums. Der Schmäh ist aber immer, dass es nicht so rüberkommt. Ich habe das Gefühl, dass Rap-Songs ganz oft mit dieser uralten Sehnsucht spielen: Du kannst alles werden, wenn du nur hart arbeitest. Mit dieser neoliberalen Lüge, die eine Lüge ist, weil die Startbedingungen unterschiedlich sind. Diese Lüge bringt einen dazu, dass man an sich glaubt. Aber dann arbeitet man viel, ist enttäuscht, weil es nicht so klappt, und hat sich abgerackert für das Kapital anderer und nicht das eigene. Ich möchte eben auch so einen Song schreiben, aber ich will zugleich die Lüge dahinter enttarnen. Schließlich fanden wir die Lösung, den Song im Konjunktiv zu schreiben. Ich bin noch immer stolz darauf, dass wir das geschafft haben: Pierre Bourdieu und Rap basically.

Kannst du dir vorstellen, auch für andere zu schreiben und zu produzieren?

Das mache ich seit der Pandemie bereits. Es macht extrem viel Spaß. Es ist extrem cool, denn du bist viel freier. Ich schreibe zwar auch für andere nichts, hinter dem ich nicht stehen kann, aber ich kann mich austoben – denn als Yasmo würde ich eher keinen Lovesong schreiben.

Du bist als Rapperin und als Poetry-Slammerin bekannt. Ich würde gerne über deine Lyrics bzw. deinen Umgang mit Sprache sprechen. Wie bist du zum Schreiben gekommen? Und macht es für dich – da du schon einige Jahre im Geschäft bist – überhaupt noch einen Unterschied, ob du einen Rap-Text oder einen Slam-Text verfasst?

Ich habe schon immer gerne gelesen und mit elf Jahren habe ich beschlossen, Künstlerin zu werden. Ich wollte bereits damals keinen Nine-to-five-Job. Meine Verwandtschaft schenkte mir viele Bücher über Menschen wie Andy Warhol. Ich las diese und begann zu malen, merkte aber schnell, dass mir dafür das Talent fehlt. Damals konnte ich nicht sofort erkennen, dass Kunst mehr als Malerei bedeutet. Mit 13 bzw. 14 Jahren habe ich angefangen, Gedichte zu schreiben. Nur für mich, für die Schublade. Zeitgleich war das Schiller-Todesjahr und ich begann, Schiller zu lesen – ich war völlig hin und weg, weil da sprachlich so viel Geiles da war. Ich mag vor allem die Frühphase von ihm. Ich war voll Schiller-Fangirl und so dachte ich mir: Ich will das auch. Dann reichte ich Gedichte bei Wettbewerben ein, ging oft ins Theater, kam dort mit vielen Leuten ins Gespräch. Später fand ich Poetry-Slams. Ich fand es dort so toll – du kommst einfach hin und es ist wurscht, wer du bist, du kannst einfach mitmachen. Man braucht keinen besonderen kulturellen Background oder einen Akademiker*innen-Haushalt. Von dort bin ich dann quasi nicht mehr weg. Mieze Medusa hat diese Szene ja quasi aufgebaut, sie hat immer junge Leute gefördert – da fühlt man sich gleich willkommen. Schließlich habe ich auch zu rappen begonnen, denn Slam und Rap haben viel gemeinsam: Es ist mündliche Literatur und durch diese Mündlichkeit entwickelt sich sofort eine Form von Rhythmus. Man fängt an, Sprache als Instrument zu hören.

Die Slam-Szene war ja damals sicher nicht so groß wie heute.

Slam ist riesig geworden, auch hier. Die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften gibt es seit 26 Jahren, die haben noch nie in Österreich stattgefunden – außer dieses Jahr. Das ist schon eine Adelung, diese Veranstaltung ausrichten zu dürfen. Es ist auch ein gutes Zeichen für die Szene. Ich bin im Organisationsteam dabei, das Feedback bisher ist super. Also ja, die Szene ist total gewachsen und das ist sehr schön.

Denkst du auch, dass grundsätzlich Gedichte bzw. Poetry-Slam, dass diese Art von sprachlicher Arbeit in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt hat? Man denke an internationale Beispiele wie Amanda Gorman oder Rupi Kaur. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass kurze Formen von Prosa durch Social Media einen Aufschwung erlebt haben, weil man sie etwa besser teilen kann.

Ich sehe das auch so. Poesie gibt es seit Anbeginn der Menschheit, das hat schon einen Grund. Wenn man in poetische Gefilde wandert, merkt man, wie viel mit Sprache ausgedrückt werden kann. Es ist die Essenz von dem, was man sagen oder mitteilen will. Dieser Austausch, den Sprache schaffen kann, der ist Gold wert. Bezüglich Social Media fällt mir Folgendes auf: Jemand teilt vielleicht eine Zeile, die einen voll erwischt, danach mag es vielleicht eine weitere Zeile geben, bei der man sich denkt: Naja, berührt vielleicht andere. Es hat aber alles Platz.

Was ist zuerst da: Der Beat oder die Message?

Ich glaube, Akkorde machen viel aus. Die Musik schreibe ich nicht alleine, die Impulse setzen Ralph und Tobi. Wenn da mal ein Grundgerüst steht, dann geht es los, und zwar schnell. Durch die Arbeit mit der Klangkantine habe ich gelernt, Sprache als Musik zu verstehen und Musik auch per se zu verstehen. Wirklich auf die verschiedenen Layer zu achten und darauf, wie man rhythmisch arbeiten kann. Da ist für mich ein Quantensprung passiert. Ich konnte ganz viel lernen von ihnen. Und wenn es nur zwei Akkorde sind: Bei »Bleib im Guten« war das zum Beispiel so. Und von da an habe ich geschrieben. Ich fange bei diesem Song an einer komischen Stelle zu rappen an. Ralph meinte, er verstehe das nicht. Worauf ich ihm antwortete: »Ich weiß, es ergibt überhaupt keinen Sinn, aber es fühlt sich richtig an.« (lacht)

Wie schaffst du es, die Balance zwischen Flow, Sprache, Feeling und dem Inhalt zu finden – auch hinsichtlich deiner sozialkritischen Themen?

Das ist eine gute Frage. Ich glaube, da habe ich viel durch Poetry-Slam gelernt: Dort beginnt man zu verstehen, wann Platz für Pathos ist, wann Platz für einen Witz ist. Timing ist wichtig. Ich bin schon ein Mensch, der viel Schwermut haben kann, der auch sehr ernst sein kann – aber das bin ich lieber alleine; ebenso bin ich ein Mensch, der super leicht sein und Spaß haben kann.

Ähnlich ist es ja bei manchen Comedys, wo durch Humor ernste Themen vermittelt werden.

Ja, voll. Man sollte sich schon ernstnehmen, aber nicht zu sehr – sonst wird es cringe worthy. Ich möchte Verhältnisse und Zusammenhänge verstehen und beleuchten. Da passiert schon so viel Wahnsinn im Vorfeld, dass eigentlich nur übrigbleibt, es mit Schmäh zu probieren.

Weiter zu: Genres und deren Grenzen, Kreativität und Lockdowns, die Zukunft und »Geht scho, gemma!«

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