HipHop kämpft um seine Werte, durchstöbert seine Schattenseiten, vorbei ist die Zeit von Raubtier-Rap. Und J. Cole findet Liebe an einem hoffnungslosen Ort.
J. Cole ist kein Einzelkämpfer am untersten Ende der Gesellschaft, der sich Moral auf dem Weg nach oben nicht leisten kann, sondern einer, der zumindest über sein schlechtes Gewissen redet, wenn er jemand vögelt und dann kalt abserviert. Verglichen mit früher ist das richtig lieb. Nicht nur er macht sich heute im HipHop Gedanken um Übermorgen. Das ist natürlich nicht ganz neu. Spätestens seit Grandmaster Flashs „The Message“ wurde gepredigt, angeklagt oder positiv gegen die Knarrenfraktion getextet. Das hatte manchmal schwer genervt, wirkte naiv und führte zu einem flachen Graben zwischen den integeren Rappern und ihren richtig erfolgreichen Kollegen.
Heute ist der Ton anders. Ja, es ist verdammt schwer, das Richtige zu tun und sich in einer Gesellschaft zu behaupten, für die es dazu gehört andere abzuzocken und ihnen hinterher zu erklären, dass sie doch wussten wie es läuft. Wir lassen uns also volllaufen, aber wissen, es muss sich etwas ändern. Diese spezielle Perspektive, ich bin nicht besser als ihr, will denselben Scheiß wie ihr, macht „Born Sinner“ so zugänglich. HipHop steckt sich realistischere Ziele, wird langsam nüchtern, scheint es. Leute wie J. Cole, Kendrick Lamar, Ab-Soul, Macklemore oder Lupe Fiasco reden über den zerstörerischen Spaßalltag, sind dadurch aber keine Spur weniger kunstvoll und aufregend.
Messias-Komplex
J. Coles zweites Album wurde einige Male verschoben, „Power Trip“ war schon vor einigen Wochen eine der Singles des Jahres, besoffen, verbissen, wie im Taumel, also cirka das Gefühl, das Kendrick Lamars „Swimming Pools“ schon so fantastisch gemacht hat. Dass „Born Sinner“ am gleichen Tag wie „Yeezus“ von Kanye West veröffentlicht wird, ist dabei mehr als nur ein Köder für Medien. Beide greifen biblische Bilder auf, produzieren ihr Material selbst, haben eine ähnliche Art mit Samples und ihrem Ego umzugehen. J. Cole hat nur keinen Messias-Komplex. Komplex, das ist er. Gleich zu Beginn zeigt ihn „Villuminati“ auf der Höhe seines Könnens, dunkel, mit blitzartigen Wechseln der Themen, Lautmalerei, Aufschneiderei, Gazellenflow, wie auf einer Verfolgungsjagd durch die Gegenwart. Mehr Geld ist natürlich ein Problem, Beyoncés Bugatti Veyron allein schon mehr wert als er, sagt J. Cole selbst. Oder weiter, für das größere Gut wandle er unter den Bösen. Statt mit afrikanischen Trachten oder Kung-Fu-Trash verwendet er christliche Metaphern, lässt einen Gospelchor aufheulen und zapft damit den Gefühlshaushalt und die Mythen seiner US-Zeitgenossen an, tut das, was Martin Luther King schon erfolgreicher als Malcolm X gemacht hatte, stellt sich als einer von ihnen vor.
Am Ende klart das Bild auf. Soulige Glocken, Rasseln, billige Pianos erinnern an J. Coles harmlose Single „Work Out“, die ihm schon den Hass seines Vorbilds Nas eingebracht hat. Da wird J. Cole zum braven Buben aus seiner gut integrierten Nachbarschaft, mit schiefen Zähnen, buschigen Augenbrauen und patschertem Blick. Seltsamerweise kommt ihm damit auch der Wortwitz abhanden. Die Stärken liegen eindeutig weiter vorn. Da sind auch die Beats zugleich erdig und wolkig, mit sanft eingewobenen Texturen, kein Eurotrash, sondern ziemlich idealer Untergrund für seine erstklassigen Geschichten. Und trotzdem ist es gut möglich, dass dieses Album hinterher von Kanye West, Wale und Joey Badass gleich drei Mal übertrumpft wird. Hoffentlich.
"Born Sinner" von J. Cole erscheint am 18. Juni.