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Schön oder hässlich? Ästhetisch oder nicht? Moderne Architektur oder störender Klotz? Das Hotel InterContinental in Wien ist 50

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2008 fragt der Falter zwei Architekten, Stadtplaner, Autoren und Theoretiker, welche drei Gebäude in Wien sie gerne abreißen würden. Der eine beginnt seine Aufzählung mit dem Hotel InterContinental, denn dieses sei „weder von der Typologie noch vom Maßstab her an seinem Ort jemals richtig“ gewesen. Der zweite stimmt ihm im Wesentlichen zu.

Umstanden von den Altbauten am Heumarkt, dem Wiener Konzerthaus (erbaut 1911-1913), dem neugotischen Akademischen Gymnasium (erbaut 1863–1866), der Jugendstil-Wienflussverbauung von Friedrich Ohmann (erbaut 1906) und der ebenfalls im Jugendstil gehaltenen Stadtgartendirektion (erbaut 1907) sieht das InterContinental tatsächlich aus wie ein Alien. Es erinnert – obwohl es zur Zeit seiner Erbauung als Inbild der westlichen Moderne und der westlichen Welt überhaupt galt – an jene monumentalen Gebäude, die die Sozialistische Moderne in den 1960ern und 70ern zwischen Ost-Berlin und den Tiefen der Sowjetunion hervorgebracht hat. Bloß, dass diese einen Tick spannender und/ oder abgefahrener als das InterContinental in Wien aussahen und aussehen.

Abgebrannt, abgerissen, umgebaut

Erbaut wurde das Hotel von Carl Appel, der als einer der wichtigsten Architekten des österreichischen Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg gilt. Appel war einer der Planer des zweiten Haas-Hauses gegenüber dem Stephansdom (1985 abgerissen), er errichtete das Kaufhaus Neumann (das heutige Steffl, dessen Inneres und Äußeres nun wenig bis nichts mit Appels Original zu tun hat), das Steyrhaus (abgebrannt und in Folge 1990 abgerissen) oder den Opernringhof (der heute noch einen Hauch des Originals vermittelt). Was heute architektonisch uninteressant und im schlimmsten Fall hässlich wirkt, war im Originalzustand durchaus chic und mondän. Das gilt für Außen wie für Innen: Betrachtet man zeitgenössische Aufnahmen von von Appel gestalteter Inneneinrichtung, so wirkt diese schlicht, schnörkellos und elegant.

Das gilt auch für das 1964 eröffnete Hotel InterContinental, von dessen Originalausstattung einzig ein sehr großer Kristallluster oberhalb einer Bar übriggeblieben ist. Das InterContinental war das erste Hotel einer internationalen Kette (betrieben von der Amerikanischen Fluglinie Pan American World Airways) in Wien, Schauplatz großer Modeschauen, Bälle, Werbeshows aller Art, politischer und wirtschaftlicher Verhandlungen und großer Kongresse. Es galt im verschlafenen Wien der Nachkriegsjahre als sichtbares Zeichen des Erwachens, des Aufbruchs, des Wiederanschlusses an das Weltgeschehen.

Schildkrötensuppe mit Eidotter und gratiniertem Obers-Curry-Häubchen

Zum 50er des InterContinentals im Jahr 2014 ist der mittlerweile preisgekrönte, großformatige Bildband „Seit 1964 Tor zur Welt“ erschienen. Der Einstieg mit einem Namedropping berühmter Gäste – Johnny Cash, Margret Thatcher, Michail Gorbatschow, Ella Fitzgerald, Grace Kelly –, mit Anekdoten und Klatsch und Tratsch über die prominenten Besucher ist imposant. Die Dichte an Celebrities und Prominenz wird aber in anderen Wiener Luxushäusern auch nicht anders gewesen sein und ist daher nur bedingt interessant.

Dann aber wird es richtig gut: Severin Corti streut in seinen Beitrag über Bars, Restaurants, Küchenchefs und Kulinarik im Hotel auch Details aus der Geschichte der Gastronomie Wiens ein. Witziges Detail: Auch in der Luxusküche des InterContinentals dominiert in den 1960ern nicht Frisches, sondern eingeflogenes Tiefgefrorenes und Essen aus der Dose. Michael Fleischhacker legt dem Leser die technischen, politischen, kulturellen und zeitgeschichtlichen Begebenheiten aus den Eröffnungsjahren dar und stellt gewohnt provokante Fragen – wie zum Beispiel, ob denn das InterContinental aufgrund eines latenten Antiamerikanismus, „der sich aus der dumpfen Überzeugung speist, dass wir nicht befreit, sondern besiegt wurden“, auch heute noch auf bloß „begrenztes Verständnis“ stoße.

Man erfährt viel über die Entstehungsgeschichte des Hotels, auch mit Blick auf andere Wiener Hotels und weltweit, weitere Bauten des Architekten und seines Umfelds und die Geschichte des Stadtparks – in den 1950ern wurde etwa ernsthaft überlegt, ein Großhotel im Stadtpark zu errichten. Man erfährt über Stadtentwicklung, Verkehrs-, Zeit- und Architekturgeschichte. Und sieht sehr, sehr viele bunte und schwarz-weiß-Bilder, Skizzen, Pläne, Plakate und Reprints aus den letzten 150 Jahren. Die dann am Besten sind, wenn sie Bekleidung und Frisuren, Design und Original-Inneneinrichtung, Werbeplakate oder moderne Architektur der ersten Jahre des Hotels zeigen.

Dem Bildband gelingt es, die Geschichte des Hotels in einen historischen Kontext zu stellen, der weit über das bloße Bauwerk hinausgeht: hier werden – sehr gelungen, sehr informativ, sehr kurzweilig – über 100 Jahre Geschichte in einem Bauwerk gespiegelt dargelegt.

P.S.:

Spannend bleibt die Frage, was die Zukunft bringen wird, denn der geplante Umbau des Areals vom Hotel über den Eislaufplatz hin zum Wiener Konzerthaus ist heftig umstritten: Zerstört die geplante neue Fassade den Charakter des Hotels als Zeugnis der Nachkriegsmoderne? Hat das geplante Hochhaus Einfluss auf den Weltkulturerbe-Status der Stadt? In 50 Jahren wäre dazu ein weiteres Buch dieser Art wünschenswert.

„Seit 1964 Tor zur Welt. InterContinental Wien“ ist im Amalthea Signum Verlag erschienen.

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