You & Me Porn

Joseph Gordon-Levitts hinreißendes Regiedebüt »Don Jon« ist nach »The Look Of Love« und »Lovelace« ein weiteres Beispiel für das aktuelle Kokettieren des Indie-Kinos mit Porno. Schon wittern Filmfestivals und das Feuilleton einen Trend. Aber wie neu ist der Ausflug in die Tabuzone wirklich?

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Ein weiterer Höhenflug der Porno-Industrie ereignete sich in den 90er Jahren: Die Erfindung des Internets ermöglichte es, die Ware in Windeseile rund um die Uhr weltweit an den Mann und nun verstärkt auch an die Frau zu bringen. Die 2000er Jahre lösen das Versprechen des flächendeckenden, allgegenwärtigen (Porno-) Konsums in allen Schichten dann tatsächlich ein. Wer auf sich hält, sieht Porn. Mehr noch, er macht ihn selbst. Online-Plattformen wie YouPorn, Blogs und Apps ermöglichten im Zeitalter des DIY- und Customized-Lifestyles eben auch hierbei völlig neue Betätigungsfelder und trieben bisweilen bizarre Blüten.

Dabei wurde Mitte und Ende der 90er Jahre von an sich klugen Köpfen die Idee des Cybersex noch als vernünftige, neue Chancen bietende Variante des menschlichen Sexuallebens und erstrebenswerte Utopie diskutiert. Den technikaffinen Lustgewinn stellt allerdings schon David Cronenberg in „Crash“ (1996) zur Diskussion. Darin versucht eine saturierte höhere Mittelschicht mittels einer Maschine, symbolisiert durch das Auto, etwas zu erlangen, das ihr von Designer-Lifestyles und erstarrten Beziehungen vorenthalten wird.

Rund um die Millenniumswende ließ sich dann das Aufkommen sogenannter Arthouse-Pornos beobachten. Während Virginie Despentes mit „Baise-moi“ (2000) und Gaspar Noé mit „Irréversible“ (2002) ihr intellektuelles Publikum mit der Thematik detaillierter sexueller Gewalt schockten, beklagten andere den Verlust der Lust und Intimität. In Catherine Breillats „Romance XXX“ (1999), Patrice Chéreaus „Intimacy“ (2001) und Michael Winterbottoms „9 Songs“ (2004) versuchten die Protagonisten die zunehmende Isolierung des Einzelnen und die Libido- und Kommunikationslosigkeit zwischen den Geschlechtern mit dem anscheinend einzig probaten Mittel zu überbrücken: intensivem, wortlosem Sex.

Rund ein Jahrzehnt später hat man es sich vielerorts bereits in der fortschreitenden Durchsexualisierung und -pornografisierung gemütlich und affirmativ eingerichtet. Sexsucht gilt als neue Modekrankheit und ist zugleich das Symptom und die Diagnose dieser Entwicklung. Bravourös schonungslos schildert Steve McQueen in „Shame“ (2011) die Ausweglosigkeit aus der ritualhaften Leere. Anders als in „Taxi Driver“ 35 Jahre zuvor war darin kein noch so diffuser Ausbruch möglich, denn die Hauptfigur war nun mal kein antisozialer, entwurzelter Working-Class-Guy mehr, der sich nicht artikulieren kann, sondern ein angepasster und funktionierender Business-Man – so, wie man es erwartet.

Weitere explizite Arthouse-Pornos der letzten 10 Jahre:

Vincent Gallo „The Brown Bunny“ (2003): mit einem echten Bowjob von Indie-Darling Chloe Savigny

John Cameron Mitchell „Shortbus“ (2006): besetzt als einziger konträr zum Genre Realsex als positiv

Lars von Trier „Nymphomaniac“ (2013): expliziter erotischer Reigen mit Charlotte Gainsbourg, ShiaLeBeouf und Uma Thurman

Bild(er) © Lovelace © Dale Robinette Millenium Entertainment, Don Jon © Relativity Media, Look of Love © Charlie Gray, Shame © Fox Searchlight, Nymphomaniac © Magnolia Pictures,
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