Der türkische Künstler Yüksel Arslan ist schon seit den 50er Jahren in der Kunst tätig, bezeichnet sich selbst aber als Amateur. Im The Gap-Interview spricht er über die unsympathische Klassifikation von Kritikern, Urin als Arbeitsmaterial und die Essenz des Lebens.
Seit über 50 Jahren sind Sie nun als Künstler tätig. Wieso wurde man erst jetzt auf Sie aufmerksam?
Nach einer Ausstellung 2008 am Drawing Center in New York stellte ich während der 11. Biennale 2009 in Istanbul aus. Dort haben viele künstlerische Leiter meine Ausstellung gesehen. Zu dieser Zeit scheint etwas passiert zu sein.
Reagiert das Publikum je nach Stadt unterschiedlich auf Ihre Kunst? Bisher stellten Sie in Istanbul, Paris, New York, Zürich, Düsseldorf und bald in Wien aus.
Prinzipiell reagiert das Publikum in den Städten sehr ähnlich. Was ich aber sagen kann ist, dass die deutschsprachigen Besucher viel philosophischer sind. Sie versuchen immer zu verstehen was ich kreieren oder sagen wollte. Vielleicht ist das eine Eigenschaft der deutschen Sprache. Es ist immer dasselbe: die Menschen wollen den Künstler klassifizieren und ihn in eine Schublade stecken. Mich nannten sie beispielsweise „Poetischer Maler“, „Maler des Schreibens“ oder in Paris bin ich der „Philosophische Maler“. Ich selbst bin gegen solche Klassifizierungen.
Ist das der Grund warum Sie Ihre Kunst „Arture“ nennen? Art für Kunst und das Suffix -ure für peinture, litérature, nature, creature etc, wie es in der Info zu Ihrer Ausstellung heißt?
1962 wurde ich vom Galeristen Raymond Cordier eingeladen. Er versuchte meine Bilder zu beschreiben, weil er sie verkaufen wollte. Er wusste aber nicht wie. Er meinte, es sei keine Malerei und auch keine Zeichnungen. Ich vertröstete ihn auf den nächsten Tag und sagte, dass ich mir etwas einfallen lassen würde. So habe ich Arture erfunden. Und seitdem haben meine Bilder Nummern.
Werden Sie nach dieser Definition heute trotzdem noch nach der Bedeutung Ihrer Kunst gefragt?
Ja, die Leute fragen noch immer. Sie ja auch gerade eben.
Wie gehen Sie in Ihrer Arbeit vor?
Ich arbeite immer in Serien und an Themen. Nie arbeite ich, um zu arbeiten. Manchmal kommt etwas Anderes heraus als vorher und manchmal vervollständige ich eine frühere Arbeit. Vielleicht haben die Leute ja recht, die mich als Philosoph klassifizieren: meine Arbeit entwickelt sich ständig.
Wie stellen Sie ihre Farben her? Welche Materialien verwenden Sie dafür?
Als ich zu malen begonnen habe, habe ich herum experimentiert. Zum Beispiel mit Blut. Das verwende ich heute aber nicht mehr – nur bei meinem ersten Bild „First Essay“. Ich wollte die prähistorischen Materialien der Höhlenmalerei auf Papier adaptieren und las viele Bücher darüber. Seither verwende ich Erde, Eier und Urin – alles das in dem Buch steht. Ich brauchte ein bis zwei Jahre, um meine Technik zu perfektionieren. Heute verwende ich immer dasselbe.
Wie lautet zum Beispiel das Rezept Ihres letzten Werks?
Es ist eine Art Suppe. Die Grundbasis ist Erde, dann Eiweiß zum Binden und Urin damit es auf dem Papier hält, aber nur ein bisschen. In der Prähistorie wurde Tierfett benutzt – ich verwende stattdessen Butter. Dann verteile ich die Suppe auf dem Papier und warte einen halben Tag bis es trocknet. Dann verwende ich einen harten Stein, einen Silex, um die Papieroberfläche zu schleifen. Danach hat jedes Papier eine einzigartige Farbe und ich beginne mit meiner Arbeit. Um die Farben herzustellen, verwende ich verschiedene natürliche Steine, um meine eigenen Pastelle herzustellen. Nur die Farbe Blau konnte ich in der Natur nicht finden. Jedenfalls arbeite ich nur mit natürlichem Material. Alles andere fühlt sich künstlich an und das mag ich nicht. Die Leute früher haben ja auch nie etwas gekauft, sondern handelten instinktiv.
Apropos Instinkt: Sexualität ist ein sehr wichtiger Aspekt Ihrer Arbeit. Kommt der Grund aus derselben Ecke wie der für die natürlichen Farben?
Nein, Sexualität verbinde ich in meiner Arbeit nicht mit Instinkt. Sex ist einfach sehr wichtig unter Pflanzen, unter Tieren und unter Menschen.
Weil Sex Leben gibt?
Sex ist Leben, weil es Leben gibt. Wenn man ein Kind ist und seine Umgebung beobachtet, sieht man ständig Tiere, wie sie Liebe machen. Fliegen, Hunde, Pferde. Wir sind alle Menschen und seit unserer Geburt suchen wir nach den Brüsten unserer Mütter. Wenn wir älter werden, wollen wir Liebe machen, aber auch Krieg (lacht). So wie auch die Tiere miteinander kämpfen. Wieso sind die Menschen ständig in einem Krieg verwickelt? Das Schicksal der Menschheit ist zu essen, Liebe zu machen und Krieg zu führen. Wir werden keinen 3. Weltkrieg haben, den haben wir mit unseren unzähligen kleinen Kriegen schon.
In der Serie „L´Homme“ zum Beispiel habe ich viele Bilder mit geisteskranken Menschen gemalt, speziell Schizophrene. Die haben kein normales Sexualleben, was wichtig ist, um ihre Krankheit zu begreifen.
Warum sind Sie so fasziniert von Geisteskrankheiten?
Als ich mit der Serie „L´Homme“ begonnen habe, habe ich mich mit der Frage auseinander gesetzt, wie wir Menschen auf die Erde gekommen sind. Als ich dann ein normales Nervensystem zeichnete verband ich es mit geisteskranken Menschen. Die meisten Poeten und Schriftsteller waren geisteskrank. Seit ich eben selbst Künstler bin ist es absolut normal für mich, mir die Frage zu beantworten, wieso diese großartigen Poeten Selbstmord begingen. Ich wollte nichts über mich selbst herausfinden. Ich bin ja nur ein Amateur, kein Wissenschaftler. Ich wollte zuerst viel wissen bevor ich zu malen begann. Und in der Kunst bin ich auch ein Amateur. Eigentlich in allem. Aber vielleicht habe ich wenigstens schon die Essenz des Lebens begriffen.
Dann sind Sie vielleicht ein Experte des Lebens?
Nein, auch da bin ich ein Amateur (lacht). Ich erinnere mich an etwas, dass mein Freund, ein Arzt, einmal zu mir sagte: Du lernst nie aus.
Sie bezeichnen sich selbst als Amateur. Glauben Sie, dass geisteskranke Künstler talentierter sind als andere?
Nein. Genies und Geisteskrankheit existieren nicht. Obwohl ich akzeptiere, dass Menschen verrückt werden können. Nur die Geburt und der Tod sind die Essenz des Lebens. Doch die Gesellschaft braucht so Dinge wie Krankheit, verrückte Menschen, Ärzte und Spitäler. Auch der Krieg braucht Generäle und Soldaten. Es dreht sich immer im Kreis.
Die Ausstellung "Arture" von Yüksel Arslan findet vom 16. Jänner bis 24. Februar 2013 in der Kunsthalle Wien, Karlsplatz statt.