Sperma auf der Fassade

Pappmaché-Felsen, stachelige Gebäude und Spermien: Einmal im Monat führt der Engländer Eugene Quinn interessierte Wiener und Touristen zu den grässlichsten Gebäuden Wiens.

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Wilde Stacheln ragen aus dem Dachfirst des Gebäudes. Die Fassade ist in zwei Richtungen gleichzeitig verzerrt. Das "Hungaricum" in der Hollandgasse 4 wurde von Tourguide Eugene Quinn zu einem der hässlichsten Häuser Wiens erkoren. Einmal im Monat führt der Engländer interessierte Touristen und Wiener zu den grässlichsten Gebäuden Wiens.

Nackte, disproportionierte Frauenkörper und Spermien

Die Gruppe trifft sich um halb elf Uhr morgens am Karmelitermarkt. Eugene Quinn, der Tourguide hat ein sehr hässliches Schild mitgebracht: Eine Astgabel auf der zwei Streifen Druckerpapier festgeklebt sind, auf die er mit Filzstift "Ugly Vienna" geschrieben hat. Das ist der Name seiner Tour, die den Engländer berühmt gemacht hat. Nicht nur österreichweit, sondern auch in internationalen Medien wurde über seine Stadtführung berichtet. Die erste Station ist ein Gebäude mit Aquarell-Malereien auf der Fassade: Man erkennt nackte, disproportionierte Frauenkörper ohne Gesicht und quallenartige Gebilde, die an Spermien erinnern. Auf dem Erker in der Mitte ist ein Auge gemalt, in dessen Pupille eine Regenrinne gesteckt ist. Der Erbauer des Gebäudes sitzt mittlerweile wegen dubioser Gewinnspiel-Geschäfte im Gefängnis.

Die nächste Station ist ein missratener Dachausbau am Karmelitermarkt: Ein klobiges goldenes Gebilde erstreckt sich über das neue Glasdach. Aufmerksam hört sich die Gruppe aus rund 40 Leuten die Ausführungen des Tourguides an. "Wir sind nicht nur aus Voyeurismus hier", erzählt eine ältere Wienerin, die mit ihrem Mann an der Tour teilnimmt "…aber es ist schon schrecklich, was mit der Liberalisierung der Bauvorschriften in Wien passiert ist".

"Quinn sollte sich erstmal für den Penis und den Toaster entschuldigen"

Das Hässliche fasziniert, so scheint es, am meisten diejenigen, die in der Stadt wohnen. Aber nicht alle sind von Eugene Quinns Tour begeistert: "Als Brite sollte man jeden Artikel zu Architekturthemen grundsätzlich mit einer Entschuldigung für den Penis und den Toaster in London beginnen. Too soon, mate, you know. Too soon", postet ein User im Zeit-Forum. Als Eindringling und Fremder hat man eben nicht über diese Stadt zu urteilen, die doch ansonsten so ein großes Herz für zelebrierten Selbstekel hat.

"Ich würde mich über eine Gerichtsverhandlung freuen"

Auch bei der Wirtschaftskammer ist man laut Quinn nicht glücklich über die Stadtführungen, die er eigenmächtig durchführt: Die Behörde schickte einen Mystery-Shopper vorbei, der den selbsternannten Fremdenführer sogleich meldete, erzählt er. Was dann passierte, könnte man wohl als typisch österreichische Lösung bezeichnen: Mit der Wirtschaftskammer, die professionelle Fremdenführer-Lizenzen vergibt, verständigt sich Quinn darauf, künftig "keine sehenswerten Dinge" mehr auf seiner Tour zu zeigen. "Ich würde mich eigentlich sehr freuen, wenn es zu einer Gerichtsverhandlung käme", sagt Quinn angriffslustig."Sie behaupten ja, dass ich nicht qualifiziert sei, eine solche Tour zu machen. Ich würde ihnen antworten, dass die offiziellen Tourguides kein Interesse an Führungen für die junge Generation haben. Sie präsentieren Wien wie ein verstaubtes Museum" Das romantische Wien mit Sachertorte und Fiaker, sei doch längst Vergangenheit, argumentiert er. "Die lizensierten Fremdenführer zeigen den Touristen aber nichts anderes", dabei sei Wien doch so viel mehr als die goldene K.u.K-Ära. Mit dieser Sichtweise auf die Stadt zu brechen, ist sein Ziel:

"Die Wien Tourismus macht die PR viel intelligenter und moderner. Ich mag es, wie sie meine Stadt präsentieren. Die Wirtschaftskammer hingegen, hat soeben den Tourismus-Preis 2015 vergeben an… den Wiener Prater. Nach 150 Jahren. Das zeigt, wie engagiert und up to date sie sind."

Pappmaché-Felsen und Wasserfall

Mittlerweile sind auch Unternehmen auf die Ugly-Tour aufmerksam geworden: Die PR-Managerin des "Marriott"-Hotels an der Wiener Ringstraße, lud Quinn auf einen Kaffee in ihr Hotel ein, das von außen wie ein liebloses Einkaufszentrum aussieht und von innen – tja, sieht es eben auch wie ein liebloses Einkaufszentrum aus. Das Hotel ist jetzt auch Teil der Tour, denn clevere Marketing-Menschen wissen, dass es immer besser ist, wenn Schlechtes über einen geredet wird, als wenn gar keiner über einen redet. Fasziniert bleibt die Gruppe vor der "Cascade Bar" in der Hotellobby stehen. Über die Pappmaché-Felsen im hinteren Bereich der Bar rinnt ein kleiner Wasserfall. Vor der künstlichen Felswand hängt ein Flachbildschirm, so dass man sich Sportübertragungen ansehen kann, während das Rinnsal leise vor sich hin plätschert. Als nächstes möchte Quinn den Wienern allerdings die schönen Seiten der Stadt zeigen: Am 28. November beginnt seine neue Tour mit dem Titel: "Why Vienna is the Best City in the World to Live in".

Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Praxis-Seminars am Institut für Journalismus & Medienmanagement der FHWien der WKW entstanden.

Die nächste "Vienna Ugly Tour" findet am 6. Feber statt. Informationen zur Tour gibt es hier.

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