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Zwei Millionen und zweihundertzehntausend Netzeinträge zum Thema Anführungszeichen können nicht irren. Die Gänsefüßchen sagen: Alles, was wir sagen, müssen wir anders sagen. Zum Beispiel alles über Elvis, Shakira, Thomas Meinecke und Roman Polanski.

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Elvis war eine Frau. Oder was soll es sonst bedeuten, wenn the living Hüftschwung seine Gitarre vorzugsweise nicht zwischen seinen Beinen baumeln ließ, sondern lieber hinter seinem Rücken versteckte? Wenn aber Elvis schon irgendwie eine Frau war, was war dann die Rockabilly-Sängerin Janis Martin, auch bekannt als the female Elvis ?

Diskurs-Resonanzraum

In seinem CD- und Buch-Projekt »Lookalikes« dreht und wendet Thomas Meinecke wieder einmal die Identitäten, bis nichts mehr übrig bleibt als die Lust am Text. Seine Lookalikes üben sich im Hakenschlagen gegen eine verbohrte Wirklichkeit, der man am liebsten mit dem Comedy-Format der Intellektuellen – der Performance – den Stinkefinger zeigt. Der Autor und FSK-Musiker steigert diesmal die Verwirrung dessen, was einmal Geschlechter, Rassen oder Ethnien hieß, noch, indem er – gleichnamige! – Doppelgänger-Models von Josephine Baker, Shakira oder Elvis Presley in Kosmetikabteilungen und Filmfirmen arbeiten und sie sich dort über Schein und Sein den Kopf zerbrechen lässt. Fasziniert wird über den postsexuellen Status des Totengotts der afrobrasilianischen Religion Candomblé nachgedacht, der einen erigierten Schwanz hat, aber trotzdem auch mal seine/ihre Brüste in den Händen wiegen kann. Männer und Frauen haben in diesem mit afroaatlantischen Beats in Schwing versetzten Diskursresonanzraum längst ausgedient. Das Gattungswesen Frau bekommt hier nur unter dem Begleitschutz einer Kursivsetzung einen kurzen, milde belächelten Cameo-Auftritt.

Ich, das sogenannte

Interessant allerdings, dass Meinecke nicht den umgekehrten Weg geht – nämlich den Verweis auf altertümliche Gewissheiten wie Mann oder Frau unter die Quarantäne der Anführungszeichen zu stellen. Sein Buch wimmelt zwar vor Schrägstellungen, aber die Gänsefüßchen scheinen ausgestorben. Dabei überwuchern diese Banner der Distanznahme ansonsten wie Efeu die inhaltlich ähnlich wie Meineckes Meta-Antiromane gelagerten Abhandlungen über Literatur, Geschichte und Politik. Auch die Neger und Weiber von Schiller und Mark Twain will man heute nicht mehr einfach so im Raum stehen lassen. Ein tauber Zuhörer könnte die gewunkenen Gänsefüßchen dahingehend interpretieren, dass sich der Sprecher von sich als Person distanzieren möchte: Ich, das sogenannte.

Neben uns heute schon als Klassiker vorkommenden Begriffen wie Dritte Welt, Ostblock und Behinderte sind es auch hierzulande bislang unbelastete Begriffe, über die eine semantische Käseglocke gestülpt wird: »Amerika« kann als Übergriff der europäischen Eroberer für jene interpretiert werden, die vor ihnen da waren. »Israel« ist eine Konstruktion, die jene ausschließt, die lieber Palästina zu ihrer Heimat sagen wollen. Wenn eine Hand mit dem Halten eines Getränks beschäftigt ist, machen Redner vor kontaminierten Begriffen eine kurze Pause. »Ich begrüße besonders unsere … ausländischen Gäste.« Die Anderen sind so anders wie die Anführungszeichen, in denen sie stehen.

Kein Kulturwissenschaftler und keiner der Look- und Thinkalikes Meineckes würde es heute mehr wagen, von »der« Wirklichkeit zu sprechen. Weiß doch jeder, dass diese bloß ein Effekt der sie konstruierenden Diskurse ist! »Gefühle«, schnaubt die Wissenschaft, die Atemluft stoßartig durch die Nase blasend, »sind doch nur Effekte einer Rhetorik der Leidenschaften«. »Streng genommen kann man nicht sagen, dass die ›Frau‹ existiert«, souffliert die Literaturwissenschaftlerin Julia Kristeva. Und die Philosophin Judith Butler sieht in der »wirklichen Frau« eine zwanghafte gesellschaftliche Fiktion.

Roman Polanski versucht in seinem neuen, viel beklatschten Film »Der Gott des Gemetzels« genau diese wirkliche Frau (und den wirklichen Mann) dort zu zeigen, wo sie und ihn keine Anführungszeichen mehr vor seinem Innersten beschützen. Pikant wird seine Abrechnung mit der Political Correctness bzw. dem, was er wohl als die Bigotterie der Gutmenschen bezeichnen würde, auch durch seine Biografie. Der Holocaust-Überlebende Polanski darf wegen einer Vergewaltigungsanklage seit 1977 nicht mehr in die USA einreisen, wurde 2009 in der Schweiz kurzerhand inhaftiert und mit einem Auslieferungsantrag in die USA konfrontiert. Sein Kammerspiel zwischen PC-Moral und Yuppie-Amoral endet unentschieden. „I do whatever I want“ sagt der skrupellose Anwalt Alan Cowan, dem zum sensiblen Thema kultureller Respekt für Afrika die mordenden Kindersoldaten im Kongo einfallen. Mit so einem Zyniker und seiner zickigen Frau hat es das liberale Konsensstifterpaar Penelope und Michael Longstreet wirklich schwer.

Doch auch die Longstreets haben ihre Leichen im Keller. Michael, der Wolf im Schafspelz, hat einen Hamster ausgesetzt! Oh my god! Schon zu Beginn ihres Treffens registriert Nancy Cowan diese Beichte mit Irritation – und verwendet diesen Fall von Tierweglegung später als Vergeltungswaffe im eskalierenden Verfehlungswettstreit. Mal sind es für einen Augenblick die Frauen, die sich im feministischen Wunsch nach autonomer Alkoholvergiftung solidarisieren, mal sind es die zigarrenphallischen Männerfantasien, die in der rührenden Sorge um das Wohl des Handys zusammenfinden. Sekunden später sind wieder die jeweils anderen Ehepaare die »Bitches« und »Assholes«. Der »gute« Michael wird die verwegen in den Mund gesteckte Zigarre aber letztlich nie anzünden. Wer hat Angst vor Michael Longstreet?

Der Einzige, der in Roman Polanskis hate speech-Komödie tatsächlich mit sich im Reinen ist, ist das Ekelpaket Alan. Er ist von Anfang an ein Arschloch und weiß es auch. Er ist in diesem Sinn autonom – ein Ekel ohne Anführungszeichen. Der Preis dafür ist der Verzicht auf die Anerkennung der anderen.

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