211.000 Euro wird Italiens Premier Mario Monti nun in Zukunft pro Jahr verdienen. Das geht aus einer Veröffentlichung der Steuererklärungen der italienischen Minister hervor. Auch im Berlusconi-Reich regiert nun der Imperativ der Transparenz.
Angesichts des sich im Umgang mit Griechenland offenbarenden EU-Demokratiedefizits, der korrupten Seilschaften und der fast täglichen Untersuchungsausschussenthüllungen ist es auch hierzulande schon zum Mantra geworden: ein Transparenz-Look für Politiker muss her bzw. am besten gleich eine Transparenzdatenbank nach der anderen. Gleichzeitig laufen aber viele, etwa die von den langen Jahrzehnten sozialpartnerschaftlerischer Munkelei hinter verschlossenen Türen geprägten, transparenzorientierten Grünen auch gegen die »Überwachungsgesellschaft« Sturm. Anti-Piraterie-Abkommen wie Acta werden zum Feindbild der Netzfreibeuter mit ihren hochgerüsteten Festplatten, und viele der potenziellen Grün-Wähler reagieren auf Facebooks Umgang mit privaten Daten mit Dot.com-Allergie. Man fordert also den gläsernen Politiker und fürchtet sich vor dem gläsernen Bürger. Ist der Politiker aber nicht auch ein Bürger? Muss ein Politiker sein Leben nach Vorbild des Berliner Reichtags wie eine blickdurchlässige Hülle fürs Wahlvolk anlegen oder darf er sein Innerstes auch in einer opaken Bunkerarchitektur á la MUMOK verschanzen?
Reichstag oder MUMOK-Bunker?
Der in Seoul geborene und an dieser Stelle schon im letzten Heft diskutierte Philosoph Bjun-Chul Han hält nicht viel von dem reflexhaften Wunsch nach Durchsichtigkeit. In seinen Augen ist die Transparenz nicht eine Vorgabe von Demokratie, sondern ein Platzhalter für all das, was wir unmöglich wollen können: eine Gesellschaft, in der der Ausstellungswert von Körpern und anderen Waren zur Leitwährung geworden ist und in der kein Platz mehr bleiben soll für all jene Zwischentöne, die Kommunikation zu mehr machen als zu penetrantem Voyeurismus, der sich mal an der Beichte der Gefallenen, mal an der Verkaufsshow der Aufsteiger ergötzt. Hans jüngster Essay »Transparenzgesellschaft« plädiert daher für die Erotik des dunklen Geheimnisses und gegen die Gewalt der Ausleuchtung, für das Recht auf Entzug und gegen den Terror von Evidenz, für den interpretierenden, aus der Lücke herausgeschabten Sinn und gegen die Blindheit der additiven Information. In kurzen Sätzen mit selbstbewusstem Behauptungsgestus wird die Transparenzsucht kurzerhand zum neuen Popanz unserer Zeit erklärt, die sich an bekannte düstere Gegenwartdiagnosen von der tief ins Selbst versenkten Geißel der »Kontrollgesellschaft« bis zum Sennett’schen Terror der Intimität anschließen lässt. Sie symbolisiere »die Hölle des Gleichen«, sie negiere das Spielerische und das Andere, Nicht-Identische, sie sei distanzlos, obszön, pornografisch, inhuman und laufe letztlich auf die perfideste Form von Totalüberwachung hinaus: »Jeder kontrolliert jeden.«
Auch einige der hochgelobten neueren US-Fernsehserien rücken die Praktiken einer unter Transparenzdruck stehenden Gesellschaft in den Fokus. »The Wire« etwa spielt nicht nur die technologische Palette der Überwachungsformen und der prophylaktischen, immer raffinierter werdenden Gegenmaßnahmen der organisierten Kriminalität durch (von den Telefonautomaten über Wegwerfhandys bis zur Einweg-Kommunikation über visuelle Codes auf den Displays). Die Serie zeigt auch, wie das aus der Transparenz gewonnene Wissen über jemanden anderen immer auch Macht bedeutet und selbst zur Ware wird, die man gegen andere Gegenwerte eintauscht – zum Beispiel in Gerichtsprozessen oder in Konkurrenzkämpfen um wichtige Posten. »Breaking Bad« kostet den Horror einer von einem unberechenbaren Drogenboss veranlassten Totalüberwachung in einem illegalen Drogenlabor aus. »Homeland«, eine seit Oktober in den USA laufende Serie über einen aus achtjähriger Gefangenschaft im Irak heimgekehrten Ex-Marine und das Klima der kulturellen Desorientierung im endlosen Wirrwarr des war on terror, lässt sich nach den ersten beiden Folgen wie eine sinistre Illustration zu Hans Thesen lesen. Die selbst psychisch angegriffene, möglicherweise paranoide CIA-Agentin Carrie Mathison (Claire Danes) setzt eigenmächtig das um, was die Bush-Administration jahrelang gepredigt hat: Verdächtig ist, was wir für verdächtig halten. Im Glauben, dass der gefeierte Kriegsheld im Irak von Al-Quaida umgedreht und zum Terroristen ausgebildet wurde, lässt sie die Wohnung des Mannes verwanzen. Die 24-Stunden-Schnüffelei führt zu verstörenden Bildern: Mathison beobachtet den Ex-Soldaten beim ersten Sex mit seiner Frau, bei seltsamen Gesten und Blicken und bei seinen (gespielten oder echten?) psychischen Zusammenbrüchen. Noch verstörender dabei ist aber, dass die gebannt am Sofa vor ihrem Überwachungskamera-Split-Screen kauernde Agentin daraus nichts ableiten kann. Ihr Zielobjekt ist dauerüberwacht und trotzdem undurchsichtig. Hinter dessen Fassade lauert nichts als der Abgrund der Betrachterin, die in ihrem Kontrollwahn zwar eine Information nach der anderen notiert, aber nichts deuten kann. In ihrer hellwachen, auch stellvertretend für eine Gesellschaft verstehbaren Paranoia weiß sie nicht, ob sie irgendwann einen Schlüssel für das Rätsel des Anderen finden wird. Inzwischen wird sie freilich für sich selbst mehr und mehr zum intransparenten Rätsel werden.