1986 vereinigten sich die Vereinten Grünen mit der Alternativen Liste. Übrig blieben, nicht nur als Namenskürzel, eher die Grünen. Brauchen wir also Alternativen zu den Alternativen?
Das Donaufestival setzte uns einen Floh ins Ohr. Von /failed revolutions/ hat es angeblich gehandelt. Aber welche Revolutionen nun genau zum Nachhören dargeboten wurden bzw. welche dieser Revolutionen dann obendrein auch noch als gescheitert betrachtet werden müssen, das blieb dann doch ungeklärt. Was sich wohl durch den knalligen Slogan vermitteln sollte, war eine Art fröhliche Game-over-Atmosphäre, die aus der Verflüchtigung von Verbindlichkeiten und der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im Pop. 2.0 eine Konsequenz ohne Konsequenz zieht: Pop ist tot, es lebe Pop. Und zwar im Plural und in all seinen Nischen, Verfeinerungen und Mischverhältnissen, aber ohne messianischen Anspruch auf einen Dissidenz-Monopolismus oder gar ein richtiges Leben im falschen. Solche funktionalen Überfrachtungen wurden Pop (im Gegensatz zur Kunst, deren Funktion laut Adornos schönem Satz in ihrer Funktionslosigkeit liegt) ja noch allzu gern zu Zeiten attestiert, als man noch zwischen Uni-Plenum, WGs, besetzten Häusern und Demos gern von alternativen Weltentwürfen sprach.
Heute lese ich in einem kleinen Katalog zu einer Ausstellung im Kunstraum Niederösterreich von 2009 einen Titel, der mich neugierig macht. „Postalternativ“ steht da. Mehr nicht. Postalternativ, was könnte das meinen? Das, was heute unter veränderten Vorzeichen als alternativ weitergelebt und weitergedacht wird – vom Ökofundamentalismus bis zum Credo „ Eine andere Welt ist möglich!“ der globalisierten Globalisierungskritiker? Oder, im Gegenteil, die Verabschiedung der Alternativkultur, die, aus welchen Gründen auch, immer ihre Attraktivität verloren hat? Und worauf bezieht sich die Abweichung von Leben und Denken heute eigentlich, wo einerseits alternative Wohn- oder Kleidungsstile längst zur Individualismus-Grundausstattung geworden sind und das Musikgeschäft Begriffsmonster wie „Alternative Mainstream“ durchgesetzt hat?
Der 1962 geborene Künstler und „Postalternativ“-Kurator Hubert Lobnig weist in seinem Katalogbeitrag jedenfalls auf die „ironische“ (oder soll man besser sagen ambivalente?) Verwendung des Begriffs hin. Er skizziert seine Jahren der Abweichung, die im Nachhinein fast wie ein Eintrag in den Kanon der österreichischen Alternativbewegung wirken, die von Robert Foltrin in seinem Buch „Und wir bewegen uns doch“ kenntnisreich aufgearbeitet wurde: von der Hausbesetzerszene über das WUK-Gemeinschaftsatelier über die Besetzung der Hainburger Au bis hin zum Aktionismus gegen Schwarz-Blau um 2000. Schließlich im Hier und Jetzt angelangt, resümiert er: „Konsumverzicht gilt im Moment wohl so ziemlich als die einzige Möglichkeit der Nicht-Vereinnahmung.“
Nun hat aber der Antikapitalismus, verkürzt zum Antikonsumismus, selbst schon eine längere Geschichte. Das ritualisierte Wettern gegen die „Konsumgesellschaft“ erschien schon in den späten 70er Jahren als weltfremder Hippie-Kitsch. Die revolutionären Heilsbotschaften von K-Gruppen hatten sich verflüchtigt und erschienen als „gelebter Realitätsverlust“ (Herbert Lachmayr). Gegen den Selbstverwirklichungsmief, den Authentizitätsterror und die neuen Zwänge der Alternativkultur formierten sich nun eigene Gegenwelten und Subkulturen, die auf Schein statt auf Sein setzten, mit dem Mainstream flirteten und ein ironisches bis frivoles Spiel der Subversion durch Affirmation initiierten. Konsum, Mode und das Freiheitsversprechen des Gelds standen hoch im Kurs zwischen New Wave, Neo-Dandyismus, Yuppietum und der ersten Welle des in einem ganz anderen Sinn politisierten HipHop. Alternativ war in diesen Zusammenhängen unsexy, man wollte lieber teilhaben als draußen bleiben.
In den 90er Jahren bahnte sich in der Kunst nach dem Crash der Ego-Malerei eine verstärktes Interesse an den verschütt gegangenen Schnittstellen an die Neuen Sozialen Bewegungen der 70er Jahre an. Die Kunst wurde politischer und begann wieder, nach Alternativen zum hegemonial werdenden Neoliberalismus zu suchen. Heute fällt es schwer (wie auch die Ausstellung „Postalternativ“ selbst zeigt), die Gemeinsamkeiten alternativer Entwürfe auszumachen. Zum einen gibt es ganz konkrete Bemühungen um autonomes Leben und Handeln (vom Antifolk bis zum /urban gardening/) und um autonomen Lebensraum (von den Wagenburgen in Wien bis zur Leerstandsbesetzung im Gängeviertel in der Hamburger Innenstadt durch einige hundert Künstler). Zum anderen um zukunftsgerichtete Vorschläge für die (Welt-)Gesellschaft. Der in „Postalternativ“ vertretene Künstler Oliver Ressler bemüht sich etwa seit Jahren um die Dokumentation und Verbreitung alternativer Wirtschaftskonzepte zum Kapitalismus, während seit einigen Jahren auf Biennalen und in Kunstvereinen das Thema Kunst und Klimawandel boomt.
In manchen Literatur- und Theaterzirkeln von Berlin erlebt die klassische Alternativkultur, die dort längst in ein folkloristischen Abziehbild für Bustouristen verwandelt ist, hingegen nach wie vor keine Renaissance. Zumindest, wenn man Helene Hegemann vertraut. Denn bei ihr hört das postalternative Milieu rund um die Berliner Volksbühne eher auf den Namen linksresignativ.