… nennt sich eine Künstlergruppe, die am binären Code einen Narren gefressen hat, aber selbst ganz gern vorgebliche Künstler aus Fleisch und Blut ins Rennen um Aufmerksamkeit schickt. Über den Reiz erfundener Biografien.
Die einen jammern über Parallelgesellschaften, die anderen jammern über Parallelaktionen innerhalb unserer postkakanischen Regierung, und beim Steirischen Herbst begeistern sie sich dieses Jahr für Parallelwelten. Ein eigentümlicher Bewohner dieser Paralleluniversen ist die fiktive Künstlerfigur. Nehmen wir zum Beispiel einen gewissen Darko Maver. Er ist eine Erfindung der selbst anonymisierten, 2003 auch durch den Hoax der Umbenennung des Wiener Karlsplatzes zum Nikeground bekannt gewordenen italienischen Künstlergruppe 0100101110101101.org. Maver fungierte als ein Stresstest für die Öffentlichkeit. In seinem Namen wurden blutige und realistische Mordszenarien mit Schaufensterpuppen an öffentlichen Orten inszeniert, während die Dokumentation dieser Performances wiederum aus echten Verbrechensfotos gespeist wurde und im Internet kursiert. Aufgrund antipatriotischer Umtriebe wurde Maver dann im Kosovo verhaftet und später, am Höhepunkt seiner zweifelhaften Popularität als Provokateur, im Gefängnis ermordet. Der Narr hatte seine Schuldigkeit getan. Der Anspruch auf die »Wahrhaftigkeit« dessen, was hier als Aporie einer Mediengesellschaft zwischen Schein und Sein demonstriert werden sollte, konnte und wollte sich paradoxerweise nur über den Umweg einer erratischen Fiktionalität erweisen.
Konzeptioneller Spaßismus
Auch das österreichisch-deutsche »Bastelkollektiv« Monochrom hatte seinen medienkritischen Karl mit erfundenen Schwadroneuren. Georg Paul Thomann hieß deren fiktiver Tausendsassa, eine bauernschlaue Kreuzung von Martin Kippenberger mal Peter Weibel hoch drei plus den sieben Leben einer copycat. Diese »zentralste aller öffentlichen Randerscheinungen« wurde auf Einladung von Monochrom (und natürlich unter Mitwisserschaft der damaligen Kuratorin Zdenka Badovinac) als Phantom zur Biennale 2002 nach Sao Paulo eingeladen. Dorthin wiederum »schickte« Thomann reale Künstlerkollegen aus dem Monochrom-Umfeld, die Werke in seinem Auftrag hinklatschten. Thomann freute sich als großer Abwesender wohl wie ein Schneekönig über das eigentliche Kunstwerk, den massiven Katalogziegel, mit dem man ihn zum Leben erweckt hatte. Mit Thomann im Gepäck konnte Monochrom nicht nur eine Art kritische Revision der neueren Kunstgeschichte in Umlauf bringen; zudem eignete sich die Figur auch hervorragend als komisches Korrektiv in den Diskursrevierkämpfen der Gegenwart.
Übermalen nach Zahlen – aber bitte sehr! Ein »diminituvistisches Manifest« zur Verniedlichung der Wirklichkeit – schon da! Ein Techno-Poem mit Sven Väth – danke sehr, noch ein Bier! Oder, Mitte Januar 2002, am Höhepunkt der tschechisch-österreichischen Auseinandersetzungen rund um das von der FPÖ initiierte Anti-Temelin-Volksbegehren, die Affichierung eines Anti-Temelin-Plakats über dem Eingang eines Wiener Bordells, betitelt mit einem Buchtitel des Ex-FPÖ-Parteiobmanns Jörg Haider. »Die Freiheit, die wir meinen«, dazu in Klammer »aber bitte mit Gummi«.
Lässt sich aus solchen Bocksprüngen so etwas wie eine künstlerische Handschrift klassifizieren? Offensichtlich verhielt es sich bei Thomann so: Je behender er sich Festschreibungen entzog, desto wurschter wurde die Fluchtrichtung. Been there, done that. Dabei sein ist alles, Dagegensein noch mehr – weshalb auch Thomann 2005 leider sein Leben verwirkt hatte und nur mehr als (allerdings ganz schön fette) Fußnote des konzeptionellen Spaßismus mit institutionskritischen Geschmackverstärkern weiter existiert.
Momentan ist in der »Animismus«-Ausstellung in der Wiener Generali-Foundation eine mit abgründigem Humor gesegnete Gouachenserie eines fiktiven russischen Künstlers namens Maxim Komar-Myschkin zu sehen. Dessen Biografie hat’s auch in sich: Der Mann wird nicht nur als Alter Ego eines zweiten erfundenen Künstlers vorgestellt. ER fühlt sich auch von Wladimir Putin höchstpersönlich bis in den Schlaf verfolgt – besonders, seitdem »Maxim« als immigrierter russischer Jude in Israel lebt und dort den elitären und hyperkritischen Künstlerzirkel Buried Alive Group gegründet hat.
Angeblich, sagt Maxims Erfinder, der israelische Künstler Roee Rosen, habe er den Russen 2009 knapp vor dessen Selbstmord kennengelernt. Auch in diesem dritten Beispiel muss also die Fiktion sterben, damit die Idee eines komplexen Kommentars zur historischen Undergroundkunst der Sowjetunion und zum Spielraum des Unheimlichen gedeihen kann. Rosen hatte übrigens schon einmal ein ähnliches Spiel gespielt: Als »Justine Frank« (1900-1943) setzte er eine Provokation der männlichen Surrealisten wie auch des zionistischen Selbstbilds durch sexuell offensive Malerei und Pamphlete in Gang. Diese Frau, rein sprachlich eine Verballhornung von De Sades Justine und Anne Frank, porträtierte sich beispielsweise selbst als schwarze Frau oder als weibliche Version von Fantomas und warf so das verdrängte Bild der sexuell aggressiven, degenierten Frau auf den Betrachter im Hier und Jetzt zurück. Und so wurden die Maxims und die Justines, zumindest im Rückspiegel Roee Rosens, zu vielschichtigen Projektionen nicht nur über die Geschichten von Formen und Kanonisierungen, sondern über die Möglichkeiten von Dissidenz und Identitätsverwerfungen schlechthin. Ja, es ist wahr: Eine andere Welt ist möglich.