Soziale Netzwerke sind nicht nur in aller Munde, sondern auch auf richtig vielen Endgeräten installiert. Dass sie nicht nur Vorteile haben, ist hinreichend bekannt. Fritz Jergitsch über die Probleme durch Social Media und mögliche Lösungsansätze.
Fangen wir ganz plakativ an: Zerstören Social Media unsere Demokratien?
Fritz Jergitsch: So pauschal würde ich das nicht sagen, das wäre eine grobe Vereinfachung. Aber: Gewisse Aspekte der Funktionsweise sozialer Medien stören im demokratischen Prozess. Ich hüte mich davor, Social Media pauschal als negative Erscheinung abzustempeln. Sie bringen auch Positives in unsere Welt, weil sie das Urbedürfnis nach zwischenmenschlicher Kommunikation erfüllen – deshalb sind sie so erfolgreich. So verhält es sich mit vielen neuen Technologien; es gibt prinzipiell auch negative Aspekte und Probleme, die man vorher nicht antizipiert hat. Über diese Probleme sollten wir sprechen.
Welche Probleme sind das konkret?
Soziale Medien sind private, profitorientierte Unternehmen. Per se ist das nichts Schlechtes, sie sind sehr innovativ und erfüllen ökonomische Zwecke, allerdings scheren sie sich wenig um die gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Produkte. Als Werbeunternehmen möchten sie uns durch Newsfeed-Algorithmen möglichst lang an den Bildschirm fesseln. Diese Algorithmen kuratieren für uns Inhalte nach Maßgabe des emotionalen Gehalts: Content, von dem beispielsweise Facebook denkt, dass er mich unterhält und emotional berührt. Das kann lustig oder traurig sein, aber auch polarisieren und Angst machen. Darum grassieren Fake News und Desinformation auf sozialen Netzwerken. Dahinter stecken starke Emotionen – so werden unwahre, aber emotionale Inhalte vom Algorithmus bevorzugt ausgespielt. Soziale Medien wie Facebook, Twitter und Youtube unterliegen einer Fake-News-Epidemie.
Das klingt sehr drastisch.
Corona hat die negativen Seiten der Demokratisierung der Medien aufgezeigt. Es glauben heute 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung, dass nur Geimpfte auf den Intensivstationen liegen. Du kannst dir auf dein Smartphone genau die Nachrichten holen, die deine Gefühlslage bestätigen und dein Weltbild untermauern. Das war vor 30 bis 40 Jahren nicht so. Wenn mich heute eine FFP2-Maske nervt, finde ich in Sekunden eine Meldung, die mir erklärt, dass die Maske ungesund sei und nicht vor Corona schütze.
Warum kam die Demokratisierung der Medien mit dem Internet nicht einer Demokratisierung der Gesellschaft gleich?
Demokratisierung klingt so gut. Die Demokratisierung der Medien ist brutal positiv konnotiert, in Wahrheit ist sie aber ambivalent: Es ist eine super Sache, dass heute jede*r ein eigenes Medium gründen kann, aber das heißt eben auch, dass wirklich jede*r ein Medium gründen kann – auch Attila Hildmann mit seinen kruden, rechtsextremen Verschwörungstheorien.
Autokratien profitieren davon wesentlich. Kurz vor diesem Gespräch haben russische Gerichte Facebook und Instagram verboten. Wie geht das zusammen?
Das Problem für Autokratien ist, dass sie nicht kontrollieren können, was ihr Volk per Social Media von außen erfährt. Der Kreml hat versucht Facebook vorzuschreiben, welche Inhalte es zeigen darf. Um die eigene Propaganda im Ausland zu verbreiten sind soziale Medien dann aber wieder nützlich. Russland hat das jahrelang geschickt gemacht und nun auch in Europa Propagandakanäle wie Russia Today oder Sputnik installiert und dort konspirative Fake News über den Westen verbreitet. Es gibt einen spannenden Bericht von General Gerassimow, der 2013 in einem russischen Militärmagazin schrieb, wie soziale Medien den Zugang zu einem Protestpotenzial in einem anderen Land schaffen. Das ist einfach eine Waffe der hybriden Kriegsführung. Bloß im eigenen Land schmeckt das Putin überhaupt nicht.
Warum funktionieren konspirative Fake News für manche Menschen so gut? Wie kann man das verändern?
Es gab schon immer Menschen, die empfänglich für bestimmte Verschwörungstheorien waren. Ich glaube, gewisse Charaktereigenschaften begünstigen das. Schon in meiner Klasse gab es einen lieben Kerl, der total wütend wurde, wenn man ihm sagte, dass 9/11 nicht von der US-Regierung geplant wurde. Verschwörungen verkehren die philosophische Erkenntnistheorie ins Absurde, indem sie sagen: »Alles, was derzeit erwiesen ist, ist falsch.« Es soll also alles genau so sein, wie es eigentlich nicht scheint. Dabei ist Skepsis gegen Machthabende prinzipiell nichts Schlechtes. Verschwörungstheorien gibt es jedenfalls schon immer und es werden wohl immer 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung dafür anfällig sein.
Das klingt so naturalisierend und irreversibel. Sprechen wir nicht auch von einem Bildungsproblem?
Es ist bei jedem Thema anders, aber es ist ein natürliches Phänomen. Das Coronavirus beispielsweise ist kompliziert, abstrakt und beschränkt unser Leben irrsinnig. Bildung und die Fähigkeit zu kritischem Denken helfen selbstverständlich, konspirative Erzählungen zu hinterfragen. Wenn man sich mit Weltgeschichte auskennt, versteht man, wieso 9/11-Verschwörungstheorien ein Schwachsinn sein müssen. Versucht man Impfgegner*innen mit Kampagnen abzuholen, steigt die Animosität aber nur noch mehr. Wir sollten vor diesem Problem natürlich nicht kapitulieren, hätten es aber besser schon vor 30 Jahren in Angriff nehmen sollen. Wir haben in Österreich eines der schlechtesten Bildungssysteme in ganz Europa. Dafür gibt es keine einfachen Lösungen.
Dann die komplizierte Lösung: Was muss passieren, um das Ruder rumzureißen?
Wir müssen im ersten Schritt verstehen, wie Algorithmen funktionieren, und sie offenlegen, damit wir die auftretenden Mechanismen regulieren können. Wir müssen Wege finden, wie wir extrem emotionale Inhalte abschwächen können. Man könnte beispielsweise verbieten, Inhalte nach dem Gesichtspunkt der Interaktionsrate auszuspielen und stattdessen andere Metriken wie Lesezeit und Qualität entwickeln. Der Google-Suchalgorithmus zeigt, dass das ginge.
Warum fällt es der Politik so schwer, den Raum des Internets zu kontrollieren und regulieren?
Der technologische Fortschritt geht mittlerweile so schnell, dass die Politik nicht mehr nachkommt. Mark Zuckerberg musste bei seiner Befragung im US-Kongress über die teils blauäugigen Fragen der 70-jährigen Männer lachen. Unsere Volksvertreter*innen werden gewählt, weil sie den besten Wahlkampf führen und nicht weil sie ihr Fach am besten verstehen. Jetzt kommen Metaverse und künstliche Intelligenz und wir haben noch nicht mal die sozialen Medien richtig verstanden. Ich bin froh, dass in der EU-Kommission intelligentere Leute arbeiten und nicht vordergründig Lobbyist*innen. Mit der DSGVO hat die EU auch auf den Tisch geklopft – warum sollte das nicht auch bei sozialen Medien funktionieren?
Am Ende des Tages muss sich jeder Mensch vergegenwärtigen, dass, wenn ein Medium oder eine soziale Plattform gratis ist, man nicht Kunde, sondern das Produkt ist. Guter, qualitativer Journalismus kostet Geld, und wenn ich ein umfassendes, ausgeglichenes Bild über meine Umwelt bekommen will, muss ich Geld dafür bezahlen. Es ist ein Problem, dass Propaganda überall gratis zu finden ist, aber guter Journalismus hinter der Paywall versteckt bleibt. Medien sind angehalten zu vermeiden, dass nur noch reiche Leute ihre Inhalte sehen können und dass Armut gleichbedeutend wird mit einem Ausschluss von gutem Journalismus.
Fritz Jergitsch ist Gründer und Chefredakteur des Satiremediums Die Tagespresse und Autor des im Residenz Verlag erschienenen Buches »Die Geister, die ich teilte – Wie soziale Medien unsere Freiheit bedrohen«.
Anlässlich unseres 25-Jahr-Jubiläums haben wir uns in The Gap 192 »25 Fragen zur Gegenwart« gestellt. Dieser Beitrag beantwortet eine davon.