6 Fragen an Elke Rauth

Das Urbanize Festival versteht sich als urbanes Entdeckerfestival für Wien. Was darf man sich von so einem vielversprechenden Konzept erwarten? Die Kuratorin Elke Rauth ist uns Frage und Antwort gestanden.

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Verknappt gesagt lädt Urbanize zum Stadterkunden ein. Braucht man dafür ein eigenes Festival?

Nein und Ja. Auf eigene Faust los zu ziehen, möglichst abseits der Reiseführer-Routen und ohne vorher viel zu wissen, ist sicher eine der besten Arten, sich einer Stadt zu nähern. Um aber einzutauchen in Phänomene und Zusammenhänge, die Stadt als gesellschaftspolitischen und sozialen Raum formen, braucht es eine vielschichtige Auseinandersetzung. Urbanize wurde im Jahr 2010 als „Festival für urbane Erkundungen“ gegründet, weil wir nach 10 Jahren Herausgeberschaft für das Stadtforschungsmagazin Dérive Lust hatten, Theorie mit Praxis zu verbinden und eine Plattform zu schaffen, wo Wissenschaft, Kunst und Zivilgesellschaft zusammentreffen. Städte weltweit erfahren enorme Veränderungsprozesse, die gemeinsamer Lösungen bedürfen. Mit Urbanize wollen wir Alternativen und Ideen für den Lebensraum Stadt aufzeigen und Lust auf Engagement machen.

Muss man Städter sein um das Festival zu verstehen oder hat es auch für Leute vom Land Sinn?

Good question. Next question.

Könntest du das Programm kurz umreißen? Was erwartet einen beim Urbanize Festival?

Urbanize widmet sich von 5. bis 14. Oktober unter dem Motto »Stadt selber machen« der mittlerweile enormen Bandbreite an Forderungen nach Mit- und Selbstbestimmung im urbanen Lebensraum. Weltweit entstehen in den Städten neue soziale Bewegungen, die gesellschaftliche Alternativen entwickeln und ein anderes Miteinander einfordern: Vom arabischen Frühling, über das internationale „Right to the City“ Movement bis zur Occupy Bewegung – Stadt wird immer mehr zum Spiegel gesellschaftlicher Konflikte und Fragestellungen, der öffentliche Raum wieder verstärkt zum Protest- und Versammlungsraum.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Festivalgeschehen erwartet eine facettenreiche Auseinandersetzung mit Fragen von Teilhabe und Gestaltung des urbanen Raumes, quer durch die Disziplinen von Wissenschaft bis Kunst und in vielfältigen Formaten: Wir wollen in Vorträgen, Diskussionen, Workshops und Führungen, mit Spaziergangsforschung und künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum, mit Ausstellungen, Filmen und Literatur der Frage nachgehen, wie unsere Städte lebendige und attraktive Lebensräume für alle Bewohner sein können.

Dabei geht es um ganz individuelle Fragen, wie die persönliche Aneignung von öffentlichem Raum, indem ich einen Stuhl vor mein Haus stelle, um in der Sonne Kaffe zu trinken, bis zu komplexen Zusammenhängen wie etwa alternative Ansätze für eine städtische Grund- und Wohnpolitik, jenseits von Profitmaximierung und Immobilienspekulation.

Das Festival bietet sowohl theoretische Auseinandersetzung, als auch vielfältige Angebote, die Stadt und ihre Möglichkeiten ganz praktisch anders und abseits der Alltagsnutzung wahr zu nehmen. Gemeinsam mit den Besucherinnen, Besuchern und vielen internationalen Gästen wollen wir uns "schlau machen" und neue Wege hin zu einer aktiven Stadtgesellschaft erkunden. Damit der Austausch so richtig in Gang kommen kann, richten wir heuer auch erstmals eine Festivalzentrale in einem leerstehenden Gebäude ein, mit einem täglichen Nightline-Programm ab 21 Uhr und vielfältigen Informations- und Vernetzungsmöglichkeiten. Der Ort ist noch geheim, aber es wird ein großartiger Raum, der nur für die zehn Festivaltage seine Pforten öffnen wird.

Forscht ihr bloß oder handelt ihr auch?

Wir verstehen uns weder als Forschungsinstitut noch als AktionistInnengruppe, sehen aber auch gar keine scharfe, exakte Trennlinie zwischen diesen Bereichen. Eine unserer selbstauferlegten Aufgaben ist die Vermittlung von Wissen zu urbanen Fragen – nicht ohne Grund machen wir die Zeitschrift dérive –, sowie die Kritik und die Diskussion von Standpunkten. Wir nutzen unsere Möglichkeiten als unabhängiger Verein, um mit dem Ziel eines möglichst umfassenden Erkenntnisgewinns frei zwischen den Disziplinen, Methoden und Formaten zu surfen.


Freiraumschaffung ist in jeder Stadt ein heißes Thema, wie sehr hapert es in Wien daran?

Grundsätzlich ist Wien im internationalen Vergleich eine Stadt mit einem hohen Anteil an öffentlichem Raum, man denke nur an Parks und Grünräume – Prater, Donauinsel, Wienerwald, Lobau, Laaerberg, Steinhofgründe. Speziell bei den innerstädtischen Parks hat sich ebenfalls viel getan in Sachen Öffnung hin zu Freizeit- und Entspannungszonen. Insgesamt ist der öffentliche Raum in Wien aber sehr stark reguliert – ein Zurückschrauben der Bestimmungen wäre ein echter Gewinn für die Stadt. In Berlin ist das sehr schön zu beobachen – dort gibt es eine weitaus höhere Selbstverständlichkeit der Nutzung von Gehsteigen, Baubrachen, Plätzen oder Hinterhöfen. Das schafft Lebensqualität für den Einzelnen und auch mehr Toleranz und soziales Miteinander.

Schwierig wird es in Sachen Freiraum oft beim Wohnbau: Der Nutzungsdruck auf den Raum ist durch die starke Nachfrage am Wohnungsmarkt hoch, das Verwertungsinteresse seitens der Immobilienerrichter und -betreiber enorm: Da kommen Aufenthaltsbereiche, die nicht unmittelbar zu Geld gemacht werden können, wie Spielplätze oder Grünräume, schnell zu kurz.

Echten Aufholbedarf hat Wien auch beim Thema Verkehr: Lange Zeit bildete das Credo der autogerechten Stadt den Maßstab der Planungen. Parkplätze in Wien nehmen heute eine Fläche von 8,4 km2 ein, das entspricht der Größe der Bezirke 4, 5, 6, 7 und 8 zusammen, wie der VCÖ heuer erhoben hat. Die Fahrbahnflächen der 2.800 km Straßen sind dabei noch nicht einmal eingerechnet. Die Notwendigkeit einer Ausrichtung hin zur menschengerechten Stadt mit einem deutlich höheren Anteil des Radverkehrs, wie das Amsterdam oder Kopenhagen seit vielen Jahrzehnten betreiben, wird in Wien erst jetzt forcierter angegangen – mit entsprechenden Verteilungskämpfen, die man in den Medien nahezu täglich verfolgen kann.

Feinstaubbelastung, Umweltschutz- und Klimafragen und die stark steigenden Bevölkerungszahlen machen es aber zur absoluten Notwendigkeit, den Autoverkehr einzudämmen. Weniger Auto in der Stadt bedeutet ein Mehr an Lebensqualität für alle.

Ein internationaler Trend, bei dem auch Wien nicht zurücksteht, ist leider auch die Verwandlung des öffentlichen Raumes zum Konsumraum in Form von Bars, Cafes und Shoppingzonen. Wer sich daran nicht beteiligen kann oder will, wird abgedrängt, unerwünschten Personengruppen wird der Aufenthalt schwer gemacht. In Wien haben das z. B. die Punks auf der Mariahilferstraße sehr stark zu spüren bekommen, oder aktuell die Straßenkünstler, für die es immer weniger Raum gibt.

Bettelverbote sind in den österreichischen Städten ebenfalls seit längerer Zeit breit eingeführt. Städte sind aber nun einmal Zonen unterschiedlichster sozialer Gruppen und vielfältiger Lebensweisen, verdichtet auf engem Raum. Wer Lebendigkeit will, muss Platz für alle schaffen, denn Urbanität entsteht erst durch Möglichkeiten des Neben- und Miteinanders für alle.

Ein gutes Beispiel für Freiraumschaffung?

Große, neue Freiräume wurden in den letzten Jahren in Wien nicht wirklich geschaffen. Bei der Bebauung des ehemaligen Nordostbahnhofgeländes wurde zumindest ein Park von Anfang an mitgeplant, da hat man aus Fehlern der Vergangenheit gelernt. Dann gibt es Räume wie das Museumsquartier, das im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit ein Freiraum darstellt und das in gewisser Weise auch gut funktioniert. Wer aber schon mal versucht hat, Flyer oder Flugblätter im MQ zu verteilen, merkt sehr schnell, dass es sich dabei um Privatraum handelt, in dem z. B. kein Demonstrations- oder Versammlungsrecht besteht.

Interessant wird sicher die Gestaltung des Donaukanals. Obwohl im Moment vieles in Richtung Kommerzialisierung mit einer Aneinanderreihung von Lokalen und Beach Bars weist, existieren dafür spannende Nutzungs-Konzepte – es bleibt zu hoffen, dass die Stadtplanung die richtigen Schritte setzt.

Großartige internationale Beispiele sind der Park Madrid Río, bei dem Teile der Stadtautobahn für die Errichtung des Parks unter die Erde verlegt wurden oder der High Line Park in New York, wo sich eine alte Hochbahntrasse zum Park wandelte. Die Herausforderung für Wien in den kommenden Jahren wird aber die Sicherung von leistbarem Wohnraum sowie der Lebensqualität für alle Bewohner sein – und da spielt der öffentliche Raum eine zentrale Rolle.

Urbanize Int. Festival für urbane Erkundungen

»Stadt selber machen«

5. – 14.10.2012, Wien

www.urbanize.at

Elke Rauth ist Mitbegründerin und Leiterin von Urbanize Int. Festival für urbane Erkundungen, das heuer zum dritten Mal in Wien stattfindet. Gemeinsam mit dérive-Herausgeber Christoph Laimer kuratiert sie seit 2010 das Festivalprogramm.

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