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37 Jahre nach Pink Floyd wagen sich die Flaming Lips erneut auf die dunkle Seite des Mondes. Die „Dark Side Of The Moon“-Annäherung hat zweifellos Atmosphäre – bloß welche und warum?

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Von der 1973 bombastisch herausgeputzten Progressive Rock-Schmiere für heranwachsende Hifi-Anlagen-Tester mit zuviel Taschengeld bis zur kunstvoll verräudeten Rekonstruktion des Trip-Potenzials der Alten anno 2010 ist es möglicherweise gar nicht so weit. Pink Floyd, damals studiotechnisch ganz auf der Höhe der Zeit, fuhren dazu noch einen ganzen Gerätepark auf, experimentierten mit Analog-Synthies, Klangcollagen und diversen Psychoeffekten. Die Flaming Lips hätten theoretisch mit diversem digitalen Tand aus der Soundbibliothek ihre dunkle Seite parfümieren können, entschieden sich aber für eine dräuende Nachstellung des attestierten Geistes des Albums, nicht seines Sounds. In beiden Entwürfen aber geht es wohl ganz wesentlich um verdichtete, eindringliche Atmosphären, um konzeptuelle Stimmungslagen, die es hauptamtlichen Psychedelikern nun mal seit jeher angetan haben. In der (Über-)Betonung des Atmosphärischen sind beide Bands freilich nicht gerade allein auf weiter Flur. Von Wagners Gesamtkunstwerk bis zum totalen Trip von Andy Warhols totaler Dröhnung Exploding Plastik Inevitable Theater in New York, von Schlingensiefs dröhnenden Theatertollhäusern bis zum Kulissenkitsch im Designer-Fantasy-Blockbuster „Inception“, von Multi- bis Intermedia, von der Trance im Berghain bis zur Andacht im Kloster: Atmosphäre wird geschaffen. Immersion, also das Eintauchen bzw. das Eingetaucht-Werden, ist das neue, neoschamanistische Zauberwort. Sei es in Richtung synästhetischer Taumel (durch ein Zuviel), sei es in Richtung Konzentration auf das sinnlich Isolierte (durch ein Zuwenig). Und wir sind mittendrin statt nur dabei. Im Clubleben, in der Shopping Mall, an der Spielkonsole, in der Wellness-Oase. Wir müssen nur wollen!

Wer Räumen mit von anderen erzeugten und gesteuerten Stimmungen ausweichen will, den muss man offenbar bis in die Wüste schicken. Gibt es also überhaupt Räume ohne Atmosphäre? Oder leben wir ohnehin alle wattiert in Blasen bzw. eingehüllt in „Sphären“, wie das der große Sphärenmusiker unter den Philosophen, Peter Sloterdijk, vermutet? Die Atmosphäre ist sowohl ungreifbar wie auch allgegenwärtig. Im Unterschied zur Aura ist sie aber anscheinend etwas bewusst Herstellbares und damit kulturindustriell Wiederholbares. Das lässt uns auch die Wahlverwandtschaft zwischen Pink Floyd und den Flaming Lips hören. Wiederholt in einem anderen Kontext wird die Atmosphäre aber eben anders wiederholt; also zu etwas Anderem. Deshalb kann man die Atmosphäre von „Dark Side Of The Moon“ heute nicht mehr wiederholen. Würde man sie 1:1 nachstellen, wäre sie verschwunden. Man kann sie nur als anderes zurückholen. Das wissen die Flaming Lips.

Niklas Luhmann, der große Systemtheoretiker mit einem feinen Sinn für Ironie, die als distanzierender Modus Operandi in seiner Architektur einer Gesellschaftstheorie obendrein auch noch Sinn macht, weiß noch etwas anderes. In seinen Beobachtungen über Beobachtungen zweiter Ordnung von Beobachtungen namens „Die Kunst der Gesellschaft“ schreibt er: „Bezogen auf die Einzeldinge, die die Raumstellen besetzen, ist Atmosphäre jeweils das, was sie nicht sind, nämlich die andere Seite ihrer Form; also auch das, was mitverschwinden würde, wenn sie verschwänden.“ Mit anderen Worten: Die Atmosphäre ist die paradoxe Präsenz von etwas Abwesendem. Sie ist gewissermaßen in das Zusammenspiel der einzelnen atmosphärenversprechenden Elemente eingelagert, ohne sich auf die einzelnen Elemente zurückführen zu lassen.

In der Rezeption der (ohnehin schon zur Fetischisierung der Werke neigenden) Kunst spielt die Atmosphäre natürlich seit jeher eine entscheidende Rolle. Allein schon durch die Rahmung der Werke in Kirchen oder in den musealen Weihestätten – wobei der vorgeblich neutrale, sich selbst ausblendende und nur auf die Präsentation der Werke selbst abstellende White Cube längst zum Fetisch einer antiornamentalistischen Moderne geworden ist. Auf (oft auch leider in den Kitsch mündende Effekte einer unkritischen) „Stimmigkeit“ bauen wohl auch die heute in jeder zweiten Ausstellung üblichen, multimedialen Installationen, die im Unterschied zur historisch vorgängigen Skulptur den Betrachter als Körper involvieren und auf dessen mobile Wahrnehmung inmitten der oder im Bezug auf die Installation rechnen.

Heurigengemütlichkeit

Mit atmosphärischen Erwartungen arbeitet heute aber auch jeder Designer von Environments ohne expliziten künstlerischen Anspruch. Sei es ein Heurigenbesitzer, der sich um eine „gemütliche Atmosphäre“ sorgt, sei es ein Clubbesitzer oder ein sonstiger Wellnessbetreiber, der seine Klientel in einer „Lounge“ mit „Lounge Music“ zum „Chillen“ animieren will, sei es ein Innenarchitekt, der sich um Arbeits- und/oder Freizeiteffizienz kümmert. Alle diese Gestalter künstlicher Welten (und nichts anderes sind Atmosphären in diesen Fällen) bemühen sich laut Luhmann um eine „Sichtbarkeit der Unsichtbarkeit des Raums“ ohne seine Raumbesetzungen durch Objekte her. Wir nehmen in Form der Atmosphäre im Heurigen, in der Lounge und an unserem Arbeitsplatz also etwas wahr, was nicht sichtbar ist. Und um auf die Flaming-Lips-Idee einer Entzerrung von Pink Floyd durch ein Zerrbild zurückzukommen und Luhmanns Formulierung der Sichtbarkeit der Unsichtbarkeit des Raums ein wenig zu missbrauchen: Vielleicht führt uns der Sound als akustische Atmosphäre ja „die Hörbarkeit der Unhörbarkeit der Zeit“ vor.

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