70. Berlinale, ade! – Die Highlights des diesjährigen Festivals

Die Berlinale begeistert zum Jubiläum mit frischem Wind und einer guten Filmauswahl. Ein Resümee.

© Christian Schulz / Schramm Film

Am Sonntag sind die Internationalen Festspiele Berlin zum 70. Mal zu Ende gegangen. Es war ein Jahr voller Neuerungen. Der langjährige Chef und 71-Jährige Dieter Kosslick hatte sich im Vorjahr zur Ruhe gesetzt. An seine Stelle war eine neue Doppelspitze getreten. Carlo Chatrian, der zuvor Leiter des Locarno Film Festival war, als Künstlerischer Direktor, und Mariette Rissenbeek, die ehemals die Geschäfte bei German Films und European Film Promotion leitete, als Geschäftsführerin. In Folge wurde auch die bisher sehr zugestopfte Berlinale entschlackt. 

Statt den sonst rund 24 Filmen konkurrierten diesmal nur 18 Filme aus ebenso vielen Ländern im Wettbewerb um den Goldenen Bären. Darunter waren auch 16 Weltpremieren. Preisträger ist der iranische Film »There Is No Evil«, der sich mit dem Thema Todesstrafe auseinandersetzt. 342 Filme aus 71 Ländern wurden insgesamt gezeigt. Unter anderem in der neu eingeführten Sektion »Encounters«, die sich provokanteren Themen verschreiben will. Der Alfred-Bauer-Preis, der für ungewöhnliche neue Sichtweisen vergeben wird, wurde dieses Jahr ausgesetzt. Bauer, erster Leiter der Filmfestspiele, wird derzeit auf eine tiefergreifende Nazivergangenheit untersucht.

Doch so viel zu den Fakten. Wie lief es zwischen den Zeilen auf der Berlinale ab? Als wiederkehrende Besucherin muss ich sagen: entspannt. Das Trimmen des Programms war durchaus spürbar, die Atempausen dazwischen länger. Auch für den Besuch der Pressekonferenzen war wieder mehr Zeit – ein Luxus, der sich in den letzten Jahren immer mehr reduziert hatte. Die BesucherInnen waren ebenfalls motiviert. In meinem Hostel teilte ich mir mit einem Journalisten und zwei akkreditierten Studierenden das Zimmer. Wenn diese extra jeden Tag um 5 Uhr aufstanden, nur um sich anzustellen, dann war eindeutig die Begeisterung und das Angebot da. 

Das Programm hatte jedenfalls einige Highlights zu bieten. Einem Film absolut verfallen bin ich heuer leider nicht, aber ich habe viele starke Beiträge gesehen, die das Publikum auch begeistert aufnahm. Hier ein paar Beispiele, wonach alle die kommenden Monate die Augen offenhalten sollten.

aus »The Viewing Booth« © Zachary Reese

The Viewing Booth

»The Viewing Booth« ist das filmische Experiment des israelischen Filmemachers Ra’anan Alexandrowicz. In seinem Bestreben, andere über die Besatzungspolitik Israels im Westjordanland zu unterrichten, lies er sieben StudentInnen einer amerikanischen Universität Videos konservativer israelischer PolitikerInnen und des Militärs, sowie der Human Rights Organization B’Tselem anschauen. Sein Fokus blieb schließlich auf der amerikanisch-jüdischen Maia Levy hängen. Die junge Pro-Israel-Studentin durchläuft in dem Film einen faszinierenden Prozess von anfänglicher Neugier bis hin zur kompletten Ablehnung des Gesehen. Eine spannende Auseinandersetzung damit, wie wir Bilder interpretieren und Wahrheiten konstruieren.

aus »First Cow« © Allyson Riggs

First Cow

»First Cow« ist eine Romanadaption Jonathan Raymonds unter der Regie Kelly Reichardts. Eine wunderschön bebilderte Antithese zum amerikanischen Traum und der Idee, dass alle es mit den gleichen Mitteln zu etwas bringen könnten. Irgendwo im wilden Oregon des 19. Jahrhunderts schlagen sich der mittellose Cookie, ein Koch, und sein chinesischer Weggefährte King-Lu mit dem Nötigsten durch. Erste Erfolge stellen sich ein, als sie von der ersten Kuh der Region, die dem Anführer gehört, Milch stehlen, um Ölgebäck zu backen. Das Ganze läuft zunächst auch sehr erfolgreich. Aber Besitz und Territorium werden die Pioniere bald wieder in Elite und Fußvolk splitten lassen. Wenn nötig mit eisernen Methoden.

aus »Undine« © Christian Schulz / Schramm Film

Undine

Christian Petzold lässt sich von der Sagenwelt inspirieren und verlegt den Undinen-Mythos ins moderne Berlin – eine Stadt, so ganz ohne eigene Legenden. Paula Beer spielt darin die rothaarige Undine, die als Historikerin im Stadtamt unter Menschen wandelt und ihrem untreuen Freund unter Tränen droht, sie müsse ihn umbringen, wenn er sie verlasse. Doch dann lernt sie Christoph, verkörpert von Franz Rogowski, dem letzten Mitglied des wiederkehrenden Transit-Triumvirats, kennen. Doch die Wassergeister lassen einen nicht ruhen. Das Happy End, dass man sich für die beiden wünscht, scheint immer unerreichbarer. Mit ruhigen Bildern und viel Zauberei hat Petzold ein kleines Juwel geschaffen. Romantisches Kino, das man nicht mehr oft in so bewegender Form zu sehen bekommt.

aus »Gunda« © Egil Håskjold, Larsen Sant & Usant

Gunda

Tiere haben Emotionen. Und Intelligenz. Regisseur Victor Kossakovsky zeigt im monochromen Stil wie die titelgebende Sau ihre Ferkel von der Geburt bis zu jenem Tag großzieht, an dem sie sich von ihnen trennen muss. Unaufgeregt, mit gestochen scharfen und Emotionen emittierenden Bildern gibt er diesen Tieren ihre Würde zurück. In einer Zeit, wo wir den Massenkonsum ohne weiteres hinnehmen, und in denen Fleisch oft mehr wie ein Fließbandprodukt als das Todesopfer eines anderen Lebewesens auf uns wirkt, eine wichtige Botschaft. Produziert wurde der Film übrigens von Hollywoods Vorzeigeveganer und Oscargewinner Joaquin Phoenix. Und der will sicher gehen, dass der Film noch seine Runden um den Globus ziehen wird.

aus »Never Rarely Sometimes Always« © Focus Features

Never Rarely Sometimes Always

Der britisch-amerikanische Film von Eliza Hittman ist keiner dieser pseudo-feministischen Filme jüngerer Zeit, die mit dauer-erhobenem Zeigefinger oder glitzernder »Girlpower« einen Punkt machen wollen. »Never Rarely Sometimes Always« erzählt die Geschichte einer 16-Jährigen aus der Provinz, die feststellt dass sie schwanger ist und mir ihrer Cousine heimlich nach New York fährt, um abzutreiben. Hittman schönt in ihrem Film nicht, noch kommentiert sie. Der Punkt Null dieser Thematik, die immer wieder aufgeworfene Frage nach der Ethik einer Abtreibung, kommt bei ihr nicht vor. Ihre Autumn, wunderbar verkörpert von Sidney Flanigan, weiß, was sie will – und, dass sie daheim keine Unterstützung erhält. Gefragt wird nicht nach ihrer Gebärmutter, sondern nach ihrem eigenen Seelenwohl. Und damit gräbt sich der Film tiefer ins Gedächtnis ein als so manch anderer seiner Gattung.

Susanne Gottlieb war für The Gap auf der Berlinale 2020 unterwegs. Weitere Atikel von ihr, die sie dort verfasste, findet ihr hier.

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