24 Bände, die für manche klingen wie Shakespeare. Andere sagen Tim & Struppi dazu. Über das Suhlen im Unseriösen, den Ritterschlag des Seriösen und das Gegenteil von beidem.
Versteckt im Gedenk- und Erinnerungswulst von 9/11 erschien dieser Tage auch das 2002 erstpublizierte Comic »Im Schatten keiner Türme« von Art Spiegelman erstmals in Buchform. Der selbst in Soho in Manhattan vom Anschlag kalt erwischte Spiegelman versucht darin, die Fratze des Terrors und die manichäische Kreuzzugstimmung unmittelbar danach in kühnen Mehrfachcodierungen und Überlagerungen zu fassen. »Wilhelm Busch auf Speed« schrieb Die Welt begeistert und sah in dem zehnseitigen Werk mehr Bleibendes als in vielen hunderten Stunden TV-Doku-Footage, die uns den Epochenbruch durch den Einsturz der Zwillingstürme vor zehn Jahren verständlich machen wollten.
Die falsch verstandene Comic-»Kunst«
Spiegelman gilt, mehr noch als andere Heroen der ambitionierten Graphic Novel wie der mystizistische Brite Alan Moore, als wahrhafter Comic-Auteur, als innovativer Geist, der das Genre des Comics endgültig vom Geruch des Trivialen, Regressiven und Reduktionistischen befreit hat. Dafür brauchte Spiegelman nur ein einziges, vieldiskutiertes und vielgelobtes Werk: »Maus. Die Geschichte eines Überlebenden« ist ein zweibändiger Comic, der sowohl den Leidensweg seiner Eltern in Auschwitz als auch den Akt der Erinnerung als schmerzhafte Konfrontation des Vaters mit seinen Eltern schildert. Berühmt wurde das Comic aber vor allem wegen der Entscheidung, alle Juden als Mäuse und die Nazis als Katzen zu zeichnen. 1992 bekam »Maus« als erster und bislang einziger Comic sogar den begehrten Pulitzer-Preis.
Haben es Comics als neunte Kunst also endlich geschafft? Schließlich schien es ja auch der (Kunst-)Markt ähnlich zu sehen: Für die Erstausgabe des »Superman«-Comics wurde 2010 eine Million Dollar bezahlt. Das klingt ja fast schon ein wenig nach Damien Hirst. Muss man bei soviel Umarmungsgefahr das Undergroundcomic also bald wie die Undergroundmusik unter Artenschutz stellen?
Für den deutschen Kulturwissenschaftler Thomas Becker stellt sich die Geschichte der Anerkennung der intermedialen Originalität Spiegelmans allerdings viel verzwickter dar. Denn trotz aller behaupteten Anerkennung durch die seriöse Kultur sind etwa Comics nach wie vor nicht auf die gleiche Weise anerkannt wie High Art, Film oder Literatur. Auch und gerade wenn sich diese institutionell und wissenschaftlich abgesicherten Formen an den »unseriösen« Comics wie in einer Frischzellenkur bedienen und zum Beispiel Roy Lichtenstein Donald Duck als Zitat gewinnbringend in Pop-Art umwandelt.
Woher aber kommt diese »Lust am Unseriösen« – wie Becker schreibt? Die »legitimen« Künste, allen voran die Königsdisziplin der Literatur (in deren Register letztlich alle anderen »niederen« Formen wie eben Comics, Graffiti oder Rap konvertierbar sein müssen, um als »Text« intellektuell überhaupt nobilitiert werden zu können), drängen nach Entgrenzung und reiben sich an hohlen, erstarrten Akademismen. Die dadurch ermutigte Anerkennung des Unseriösen ist aber, wie Becker meint, eher eine Verkennung, weil sie die innere Ausdifferenzierung, den historischen Binnenbezug und die formale Referenzialität von Subkulturen und diversen hybrid-neuartigen, aber noch nicht zum Genre verfestigten, »dissidenten« Praktiken zwischen Fotoromanen, Street Dance und Gamer Culture notorisch negiert und so tut, als könnte man über diese naiv, gleichsam als Zeichenspender unter anderen Zeichenspendern verfügen. In dieser abwertenden Anerkennung erscheinen Computerspiele, Pornografie oder Horrorfilme usw. als codeloses, triviales und gerade deshalb so verführerisches Rauschen, obwohl hier natürlich, wie jedes Fanzine und jedes Spezialforum beweisen kann, hochgradig codierte und traditionsschaffende Formgebungen am Werk sind.
Der vorgebliche Rohstoff aus den Niederungen des Unseriösen wird aber gern für jene intellektuelle Tiefenbetrachtung nutzbar gemacht, deren Gewinn sich im Distinktionsverhältnis zum unverständigen, durch Affekt und bloße soziale Integration etwa beim Moshpit genießenden »Nichtleser« dieses Rauschens herstellt. Lady Gaga zum Mitgrölen ist etwas für die Elfjährigen, aber Lady Gaga zum Dechiffrieren als postfeministische Ikone hochsexualisierter sexueller Unverfügbarkeit ist etwas für die Cultural Studies. Stilanalysen von Splatterfilmen werten nicht nur das Abjekte auf, sondern dienen wiederum den ebenfalls nach Entgrenzung strebenden Geistes- und Kunstwissenschaften als neues Kanonenfutter, mit dem dann ironischerweise verbrauchte Methoden wie die Stilanalyse unter Hipnesszufuhr reanimiert werden sollen.
Die Lust am Seriösen im Trivialen
»Die Lust am Unseriösen«, die Becker als Produktivkraft kultureller Innovation seit dem 20. Jahrhundert nachzuzeichnen versucht, verläuft aber auch in die andere Richtung – von den »illegitimen« Künsten in Richtung der »legitimen«. Das ist tatsächlich eine bislang eher unterbelichtete Form des kulturellen Vampirismus. Bevor Walt Disney von Roy Lichtenstein verkunstet wurde, hatte Disney selbst die Ästhetik des 19. Jahrhunderts »trivialisiert«. Der Rückgriff auf das Populäre verfehlt also schon, dass es dieses Populäre als uncodiertes Gegenstück zum streng codierten Hochkulturellen gar nicht gibt. Andererseits verkennt auch die populärkulturelle »Lust am Seriösen« die Selbstreflektivität des »Seriösen«. Während im avancierten kulturellen Diskurs zum Beispiel der Autor schon einige Tode gestorben ist, geht ausgerechnet von der einst die Anonymisierung feiernden Technokultur die Neuverkultung des Autors aus – und wir sollen wieder Mal an next things wie Autorendubstep und den faulen Working Class-Zauber der Maskenmontur à la Zomby glauben. Wir müssen nur wollen.