Katharina Mücksteins Film »L’Animale« erzählt von Figuren zwischen Angst und Mut, inneren Widerständen und dem Schein und Sein menschlicher Lebens- und Beziehungsentwürfe. The Gap traf die Regisseurin und Drehbuchautorin zum Gespräch.
Es brummt, kracht und rattert mitunter in Katharina Mücksteins neuem Film »L’Animale«, wenn Mati, gespielt von Sophie Stockinger, und ihre besten Freunde auf getunten Mopeds die Landschaft hinter sich lassen. Ansonsten bewegt sich Matis Leben zwischen Maturastress, Nächten in der Dorfdisco und Tagen, die geprägt von Anforderungen ihrer Mutter, der Tierärztin Gabi (Kathrin Resetarits), und dem Erkunden eigener Lebenspfade sind. Als Clara (Julia Franz Richter) in Matis Leben tritt, ist sie gezwungen, ihre Stelle in der Burschenclique zu hinterfragen. In der Zwischenzeit stehen auch ihre Eltern vor der Frage, in welche Richtung sich ihre Beziehung entwickeln soll. Mit The Gap hat Katharina Mückstein unter anderem über ihre wiederholte Zusammenarbeit mit der Hauptdarstellerin Sophie Stockinger, das Motiv der Tiere und der Natur im Film sowie über Frauen in der österreichischen Filmbranche gesprochen.
Du meintest einmal: »Als Autorin interessiert mich das Menschsein an jenen Stellen, an denen Wollen und Sollen aufeinanderprallen und Figuren, die zwischen Angst und Mut schwanken.« Wie zeigt sich dies in »L’Animale«?
In »L’Animale« trifft dieses Statement auf jede meiner Figuren zu, da sie alle zwischen Vorgaben der Gesellschaft und eigenen Vorstellungen darüber, wie ihr Leben auszusehen habe, schwanken. Mut und Angst sind meiner Meinung nach das klassische Paar für Emanzipation.
In »Talea« hast du bereits mit Sophie Stockinger zusammengearbeitet. Was macht ihr Schauspiel für dich so besonders?
Sophie war bei »Talea« 14 und bei »L’Animale« 18, aber bereits bei meiner ersten Zusammenarbeit mit ihr habe ich in ihr schnell eine vollständige Schauspielerin gesehen. Sie lässt sich total ein, bereitet sich sehr gut vor und ist zudem sehr intelligent. Sie versteht Szenen, ist aber ebenso sehr offen in ihren Gefühlen. Sie gibt sich einfach für eine Rolle her und ist dabei so arbeitswillig wie eine Erwachsene.
Sophie absolvierte sowohl Körpertraining als auch Dialektcoaching und Mopedtraining. Wie seid ihr an die Erarbeitung der Figur – besonders in Hinsicht auf deren Mimik und Gestik – herangegangenen?
Es war von Anfang klar, dass die Rolle der Mati sehr weit weg ist von Sophie als Person, daher war es war für mich eine besondere Herausforderung, mit einer Schauspielerin eine Rolle zu erarbeiten, die eben so gar nicht an ihr eigenes Leben anknüpft. Bezüglich der Körperlichkeit der Rolle: Es war klar, dass Mati ein Mädchen ist, das Motocross fährt, das viel mit Jungs unterwegs ist, das einen »maskulinen« Habitus hat. Daher haben wir mit der queeren Performance-Künstlerin Stefanie Surreal zusammengearbeitet, da sie sehr gut zeigen kann, wie sich männliche Körpersprache manifestiert. Außerdem gab es eine Art Kampftraining, bei dem es auch darum ging, einen Kontakt zur eigenen Aggression und Macht zu finden. Ich wollte ein Mädchen zeigen, das sich körperlich Platz nimmt.
Gab es Vorbilder für die Figur der Mati? Welches Frauenbild wolltest du transportieren?
Eigentlich nicht. Für mich war der Kern dieser Figur immer, dass sie zwar den Anforderungen ihres Umfelds gerecht wird, jedoch innerlich einen gewissen Widerstand spürt. Je mehr sie im Laufe der Geschichte ihrer Intuition folgt, desto mehr tut sie das Richtige. Das ist auch ein Aspekt meines Lebens, denn als Heranwachsende hatte ich immer das Gefühl, dass es ja nicht von mir verlangt werden könne, auf diese und jene Art und Weise eine Frau zu sein. Es gibt also diesen inneren Widerstand, den viele in sich spüren, aber ebenso den gesellschaftlichen Druck, in ein bestimmtes Umfeld zu passen. Mein Wunsch ist, Menschen Mut zu machen, diesem Widerstand nachzugehen. Zudem wollte ich eine Geschichte über eine zeitgemäße Mutter-Tochter-Beziehung erzählen, die einen gewissen Coming-of-Age-Aspekt in sich trägt. Über Väter und Söhne wurde schon viel erzählt, Frauenbeziehungen wurden bisher in unserer Kultur nicht so ernst genommen.
Tiere sind besonders bedeutend in »L’Animale«. Matis Mutter ist Tierärztin, es gibt die Szenen im Stall oder mit Carlas Katze. Sophie Stockinger meinte in einem Interview, dass auch die Motorräder etwas Animalisches an sich haben. Woher kommt dieser Tieraspekt für dich und war er von Anfang an vorhanden?
Der Aspekt war immer da und in den ersten Drehbuchentwürfen sogar noch ausgeprägter. Mir ging es darum, anhand des Bildes von Tieren die Frage der Natürlichkeit zu verhandeln: Gibt es für uns Menschen – besonders in Bezug auf Geschlechterrollen – so etwas wie einen Naturzustand? Als Gesellschaft empfinden wir zwar die ungleiche Stellung von Männern und Frauen als ungerecht, wenn wir jedoch nicht weiterwissen, fallen weiterhin Argumente, wie die, dass es in der Natur liege, dass Männer führen und Frauen schwach seien und daher gerne bei den Kindern bleiben. Ich denke, wenn man über Natur nachdenkt, dann sollte man auch über anderes nachdenken: über Intuition, darüber, was in uns steckt – jenseits von gesellschaftlicher Prägung. Wenn wir über Instinkt sprechen, dann bemerken wir, dass wir eben nicht Opfer unserer Hormone sind; wir bemerken, dass Vernunft durchaus einen Teil unseres Instinkts ausmacht. Zudem geht es in »L’Animale« auch sehr stark um Männlichkeit, genauer gesagt um eine toxische Form von Männlichkeit, die sich bei Paul und auch bei Matis Freunden zeigt. Das ist ein Abbild davon, wie Männlichkeit in unserer Gesellschaft gesehen wird, und wie schädlich diese Form von Männlichkeit ist – etwa in Form von Geschlechterstereotypen, die Männern genauso schaden wie Frauen.
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