Eine Ästhetik des Zugangs – Eva Egermann und Cordula Thym über Inklusion und Film

Der Film »C-TV (Wenn ich Dir sage, ich habe Dich gern …)« von Eva Egermann und Cordula Thym wurde im Rahmen der letzt­jährigen Diagonale mit dem Preis für Innovatives Kino prämiert. Er zeigt eine utopische Welt, in der Inklusion gelebt wird. Heuer zeichnen die beiden Kunst- und Film­schaffenden sowohl für den Festival­trailer als auch für eine begleitende Aus­stellung verant­wortlich. Wir baten sie zum Gespräch.

© Marija Šabanović

Ein Hamster im TV-Studio, ein Zombiesoldat am Spenden­telefon, kreative Performances und Menschen mit Behinderungen, die jenseits von Mitleid und Inspiration Porn von ihrem Leben erzählen – »C-TV (Wenn ich Dir sage, ich habe Dich gern …)« von Eva Egermann und Cordula Thym wusste bei der Diagonale 2023 zu überzeugen und erhielt den Preis als »Bester innovativer Film, Experimental- oder Animations­film«. Egermann und Thym sind seit Jahren befreundet, leben in derselben Straße und befassen sich in ihren künst­lerischen Arbeiten mit den Perspektiven margina­lisierter Personen und Gruppen – wie etwa Menschen mit Behinderungen.

Die visuelle Gestaltung von »C-TV« ist durchaus ungewöhnlich. Hattet ihr diesbezüglich Vorbilder?

Cordula Thym: Wir orientierten uns – vor allem hinsichtlich des Studio­settings – an der Ästhetik von Camp. Glitzer, ein bisschen Kitsch. Viele bunte Farben. Und viel DIY-Charakter.

Eva Egermann: Und 70er-Jahre-Kostüme! Wir hatten so ein Mood­board, wo auch die »Golden Girls« drauf waren, Vorbilder aus dem Punk, Glitzer­stoffe usw. Vieles hat uns inspiriert, etwas Lustiges und Utopisches zu machen. Ein Film, den ich auch immer erwähne, ist »Spring Break Zombie Massacre«, in dem zwei Jungs mit Trisomie 21 Super­helden sind. Er ist äußerst lustig und es gibt viele DIY-Spezial­effekte. Diese Produktion hat mich fasziniert. Wir wollten eine ebenso ermächtigte Geschichte erzählen.

Der Diagonale-Trailer 2024 zeigt unveröffentlichtes Material aus dem Kurzfilm »C-TV«. (Bild: Eva Egermann / Cordula Thym)

In den Film habt ihr auf mehreren Ebenen Texte der bereits verstorbenen Autorin und Künstlerin Ianina Ilitcheva integriert – sowohl in Text­form als auch in Gebärden­sprache, hinterlegt mit Bild­motiven.

Egermann: Wir wählten Texte aus, die humor­voll sind und zu dieser entrückten Welt passen, die wir im Film zeigen wollten. Die Texte haben eine unheim­liche Facette: Es geht um Blut, Infusionen mit Maus-DNA, die Lebens­realität mit ihrer Krankheit. Sie sind total tiefgründig und witzig. Die Gebärden­sprach­dolmetscherin Barbara Schuster ist selbst gehör­los und inter­pretiert Ianina Ilitchevas Texte im Film auf sehr poetische Weise.

Thym: Uns war es wichtig die Aesthetics of Access, also die Gestaltung der Zugäng­lichkeit zu thematisieren. Das spiegelt sich auch bei der Gebärden­sprache wider. Es ging uns darum, die Inter­pretation nach vorne zu holen, es ist nicht nur eine Über­setzung, sondern auch eine poetische Adaption der Texte. Das wollten wir sichtbar und prominent machen.

Eva Egermann (Bild: Marija Šabanović)

Mitleid ist ein häufiges Motiv im medialen Umgang mit Behinderung. Ist Mitleid notwendig, um Empathie zu ermöglichen? Oder dient es nur dazu, Rollen zu festigen und Ungleich­heiten zu mani­festieren?

Egermann: Ehrlich gesagt, Letzteres. Es ist einfach zu viel Mitleid – überall. Es gibt einen Slogan aus der Behinderten­rechts­bewegung: »Piss on pity«, also quasi »Scheiß auf dein Mitleid«. Die damalige Kritik war: Vermeintliche Wohl­täter*innen tun so, als könnten sie für Menschen mit Behinderungen sprechen, dabei entziehen sie diesen Menschen ihre Stimme und infantilisieren sie. Empathie klingt ja grundsätzlich gut …

Thym: … aber ich denke, Empathie und Mitleid sind auch nicht das Gleiche.

Egermann: Genau! Es wäre besser, wenn wir auf Augen­höhe verhandeln. Es gibt viele tolle Behinderten­rechts­aktivist*innen, die dazu publiziert haben – eben auch dazu, welche Funktion Mitleid für nicht behinderte Menschen hat. Diese fühlen sich besser, wenn sie eine Art von Leid­projektion auf Menschen mit Behinderungen betreiben und das vermeintliche »Schicksal« der Behinderung nicht haben. Stella Young spricht in diesem Zusammen­hang von »Inspiration Porn«.

Ihr habt dieses Jahr den Diagonale-Trailer gestaltet. Was könnt ihr uns dazu erzählen?

Egermann: Im Trailer gibt es unveröffentlichtes Material aus »C-TV« zu sehen. Iris Kopera beschreibt die Art, wie Menschen mit Behinderungen unter­gebuttert werden, weil sie nicht einem gewissen »Image« entsprechen. Wir fanden das ein starkes Statement. Medien, Film, Kunst und Kultur reproduzieren gewisse Ideal­bilder und normschöne Ideal­körper. Wir fanden es cool, die Kritik daran gerade bei einem Film­festival in den Fokus zu rücken, denn dort geht es ja um das Schaffen von Bildern und darum, welche Bilder gezeigt werden. Wenn Bilder gewalt­förmig wirken, wie es unser Trailer beschreibt, braucht es eine Gegen­bewegung, die diesen gängigen Bildern etwas ent­gegensetzt.

Und was erwartet die Besucher*innen in der Ausstellung »C-TV: Close Encounters of the Hamster Kind«, die ihr für die Diagonale zusammen­gestellt habt?

Thym: Man kann noch tiefer in die Welt des Films eintauchen und ihn außerdem in einem schönen Setting ansehen. Es gibt eine Menge an Hinter­grund­material zu sichten, auch von anderen unserer Arbeiten, die in Beziehung zum Film stehen. Zudem gibt es ein breites Vermittlungs­programm u. a. für Schulen.

Cordula Thym (Bild: Marija Šabanović)

Wie kann inklusives Film- bzw. Kunstschaffen aussehen?

Thym: In Bezug auf Behinderung muss man sich fragen, wie gewisse Ausschlüsse funktionieren. Menschen sind nicht aufgrund ihrer individuellen Beeinträch­tigung behindert, sondern durch die Art und Weise, wie die Gesell­schaft und das tägliche Leben organisiert sind. Man muss sich fragen, wie man damit bei den eigenen Projekten umgeht. Das betrifft alle Phasen der Produktion. Menschen müssen von Anfang an in Projekte involviert werden, nicht erst am Schluss. Alles sollte zugänglich sein – bis hin zum Endergebnis. Und es ist zentral, welche Geschichten man wie erzählt. Will man wirklich immer die Geschichte einer Tragödie erzählen?

Egermann: Es wäre wichtig Pufferzeiten, eine gewisse zeitliche Flexibilität, wie auch Budget für Assistenz­leistungen und für Barriere­freiheit einzuplanen. Außerdem muss man sich eingestehen, dass man nicht alles kontrollieren, wissen und voraus­sehen kann. Wir haben versucht, eine fehler­freundliche Kultur zu praktizieren – vor allem auch gegenüber uns selbst, denn das Projekt war auch für uns neu. In »C-TV« haben wir uns sehr stark an das Konzept der »Ästhetik des Zugangs« angelehnt. Barrierefrei-Tools und Dinge, die Film zugänglicher machen, müssen nicht versteckt werden, sondern sie sind zusätzliche Mittel der Gestaltung und werden spielerisch eingesetzt.

Die Ausstellung »C-TV: Close Encounters of the Hamster Kind« von Eva Egermann und Cordula Thym ist im Rahmen der Diagonale 2024 von 6. April bis 5. Mai im Kunsthaus Graz zu sehen.

Die Diagonale 2024 findet von 4. bis 9. April in Graz statt. Nähere Informationen zum Programm sind unter www.diagonale.at zu finden. Unsere gesammelte Diagonale-Bericht­erstattung findet ihr hier.

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