Dinge, die zu Festivals gehören, haben bei mir schon immer Unbehagen ausgelöst: gezwungenes Gut-drauf-Sein, besoffene Teenager, eingeschränkter Zugang zu Sanitäranlagen und Schlafen im Zelt – umgeben von Müllbergen. Beim Melt bin ich die letzten sechs Jahre trotzdem immer wieder gelandet.
Rave mit Storch im Morgenrot
Viele der gängigen Festivalübel sind hier nämlich weniger schlimm oder werden von den Pluspunkten einfach überboten. Zum Beispiel gibt es das Green Camping, eine Area, in der Müll getrennt und gesammelt wird. Auch sonst ist alles irgendwie besser. Die 20.000 Menschen sind nicht nur kaum ungut, sondern verteilen sich auch auf die vielen Stages und Bereiche – anstehen muss man so gut wie nie. Die Securitys sind entspannt und außerdem hat es in all den Jahren, soweit ich mich erinnern kann, nur ein einziges Mal geregnet. Deshalb ist das Melt als Festival aushaltbar.
Dann gibt es noch die Dinge, die es zu einem der besten überhaupt machen. Und an dieser Stelle kann ich nicht ohne die Worte Magie und Romantik auskommen. Das Ganze findet nämlich in Ferropolis, auf einem stillgelegten Kohleabbaugelände zwischen gigantischen Stahlbaggern statt, wegen denen ich jedes Jahr wieder komplett perplex bin. Manchmal spucken sie sogar Feuer. Man ist hier sowieso ständig von den Elementen überwältigt. Industrie und Natur bilden zusammen die schönste Kulisse überhaupt. Die Bühnen befinden sich in einem Biosphärenreservat: In einem Moment verliert man sich im Rave, im nächsten fliegt ein Storch wenige Meter über den Kopf hinweg ins Abend- oder Morgenrot, vorbei an einer der riesigen Discokugeln. Und es gibt einen See, der das Festival für urbane Millennials quasi zum jährlichen Lignano-Urlaub macht.
Aber kommen wir zum Wichtigsten: Das Booking ist großartig. Eine Mischung aus Techno, Avantgarde und auch Mainstream hat mich mit Anfang 20 zum ersten Mal elektronische als »echte« Musik begreifen lassen, mir erste Berührungspunkte beschert und so definitiv zu meiner Sozialisation beigetragen. Die Running Order ist auch gut durchdacht. Unvergesslich etwa die brutale Intensität von Portishead als Closing Act im Kontrast zum puren Hedonismus der vorausgegangenen Tage. Neben Musik gibt es Panels, Spielplätze, viel Liebe zur optischen Gestaltung und Kunst. Nicht umsonst zeichnet der Kultursender Arte einige der Shows auf.
Das Melt ist wegen seiner Kontraste so besonders und hat mir viele schöne Erinnerungen beschert. Es ist wahrscheinlich das einzige Festival, für das mein Körper die Strapazen noch auf sich nehmen will. Vermutlich wird es mich auch diesen Juli in den Norden ziehen. Ist schon Tradition so.
Melt Festival, 19. bis 21. Juli 2019, Gräfenhainichen (DE)
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