Der ehemalige Geschäftsführer des Filmfonds Wien im Gespräch über die Filmstadt Wien, den österreichischen Film und die Probleme des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Sie waren 12 Jahre Geschäftsführer des Filmfonds Wien. Was hat sich in dieser Zeit entwickelt? Was war ihr Triumph?
Von Triumphen möchte ich nicht sprechen. Das klingt immer so nach Sportveranstaltung oder Militarismus. Wichtig war die Internationalisierung des österreichischen Films. Als ich 1999 beim Filmfons Wien begonnen habe (Das Jahr, in dem „Nordrand“ von Barbara Albert in Venedig gezeigt wurde), zeigte sich ein italienischer Journalist davon überrascht, dass im nördlichen Nachbarland neben guten Mehlspeisen auch ausgezeichnete Filme gemacht werden. Es ergab sich eine Aufbruchsstimmung. Internationale Erfolge waren wichtig für das Selbstbewusstsein im eigenen Land. In den 90er Jahren hat man in Österreich kaum gewusst, was Weltvertriebe sind und was diese machen. Erst Ende der 90er Jahre haben einheimische Produzenten mit Weltvertrieben zusammengearbeitet. Der österreichische Film wurde in den letzten zehn Jahren zu einer Brandmark.
Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Österreich hat im Verhältnis zu seiner Größe einen unglaublichen Reichtum an künstlerischen Talenten. Es gibt internationale Statistiken darüber, aber kaum Erklärungen dafür, warum der prozentuelle Anteil an Künstlern und Kulturschaffenden höher ist, als in anderen Ländern. Es ist ein Faktum, das wir zur Kenntnis nehmen müssen. Außerdem hat kein anderes Land so viele Fördermittel zur Verfügung, wie Österreich. Es gibt circa 50 Mio. Euro Fördermittel für Film. In Deutschland müsste es hochgerechnet 500 Mio. Euro geben – tut es aber nicht.
Was sind die Hauptaufgaben des Filmfonds Wien?
Die grundsätzliche Aufgabe ist es, jedem Projekt, das die Herstellung noch nicht begonnen hat, die gleichen Chancen zu geben. Das System ist eigentlich ungerecht, weil in jeder Jurysitzung Filme und Projekte als Konkurrenten aufeinander treffen, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben.
Die Aufgabe eines regionalen Fonds ist es, das Filmschaffen an einem bestimmten Standort zu fördern. Das entscheidende Kriterium für die Förderung ist: Was hat das Projekt kulturell mit der Stadt Wien zu tun, werden Wiener Filmschaffende beschäftigt, wird eine Wiener Kultur sichtbar?
Umgekehrt ist es aber auch wichtig, dass man sich an Koproduktionen beteiligt, die vielleicht gar nicht in Wien gedreht werden.
Zu ihrer Arbeit beim Filmfonds Wien: Gab es vereinzelt Konflikte in der Jury?
Der Geschäftsführer des FFW hat zwar eine Stimme in der Jury, es ist aber nur eine von fünf. Persönlich schwierige Situationen sind dann entstanden, wenn die Jury mehrheitlich etwas abgelehnt hat, dem ich zu 100% eine Förderung zugesprochen hätte. Es kann genauso passieren, dass die Mehrheit einem Antrag zustimmt, den ich abgelehnt hätte. Vielleicht war dies sogar öfter der Fall, als umgekehrt. Das vermutet aber außerhalb niemand. Wenn die Antragsteller fragen, ob es denn mehrheitlich oder einstimmig war und man sagt, es wurde 4 zu 1 abgelehnt, glauben die dann meistens, dass ich derjenige war, der die Pro Stimme gegeben hat. Aber das ist Bestandteil des Jobs, dafür wird man bezahlt und das muss ich auch aushalten. Der wirkliche Konflikt, der einem das Leben schwer macht, ist der, der er es der gesamten Branche schwer gemacht hat.
Was hat es der Branche in den letzten Jahren schwer gemacht?
Der verspätete Generationenstreit zwischen den Etablierten, die in den 80ern angefangen haben, Kinofilm zu produzieren und der neuen jungen Generation, für die symbolisch die Coop99 steht. Anfang der 80er wurden kaum Kinofilme produziert. Und wenn, dann hatten sie eher eine Fernsehästhetik. Erst im letzten Jahrzehnt begann der Streit um die Ressourcen. Und da funktioniert die österreichische Filmbranche mehr wie ein Wolfsrudel, als wie eine geordnete Gesellschaft, in der Menschen ab einem gewissen Zeitpunkt daran denken, wie es weitergeht. Es gibt zu viele Filmproduktionen, die in den nächsten Jahren zusperren, oder schon zugesperrt haben, weil sie keinen Nachfolger haben. Der Konkurrenzkampf war wichtiger, als die Suche nach Nachfolgern. In anderen Ländern ist das anders, und der Vergleich macht mich da sicher.
Fördern die inländischen Fernsehproduktionen den österreichischen Film?
Ja. Die Leute finden eine Beschäftigung und erlernen Knowhow. Die österreichischen Serien sind international sehr beliebt und gefragt. Kommissar Rex ist eine der erfolgreichsten Serien, die in anderen Ländern ausgestrahlt wurde. Sie läuft bis heute. Das wirft ein gutes Licht auf die österreichische Filmlandschaft.
Gibt es noch einen Bildungsauftrag des ORF? Kommt er diesem noch nach?
Der Auftrag steht im Gesetz. Die Krise des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gibt es in Europa seit den 90er Jahren. Der ORF hat einen Fehler gemacht, den andere Sender auch gemacht haben. Er hat versucht wie die Privaten zu agieren. Er wird aber nie das bessere private Fernsehen machen, da die Strukturen nicht vorhanden sind. Interessant ist es, dass Servus TV mit einem Programm anspricht, dass auf den ersten Blick aussieht wie das eines öffentlich-rechtlichen Senders, und klassische ORF-Seher zu Servus TV wechseln. Es ist schwierig einen öffentlich-rechtlichen Auftrag zu vertreten, wenn der Großteil des Programmes aus amerikanischen Filmen besteht. Wenn gute österreichische Filme zu besseren Zeiten gesendet würden, sähen sich die Menschen sie auch an. Den Film spät zu zeigen, ist eine schlechte Voraussetzung für einen Erfolg.
Wie reiht sich ihrer Meinung nach die österreichische Festivallandschaft im internationalen Vergleich ein?
Die Festivallandschaft ist im Kleinen sehr vielfältig, da es viele neue Festivals, wie seit vorigem Jahr das „Slash Festival“ in Wien, gibt. Wirklich groß und international ist aber nur die Viennale, die auch erstaunliche Besucherzahlen macht. Die Diagonale wird auch immer größer, aber das war es dann eigentlich, wenn man von Crossing Europe in Linz absieht, das von zunehmender interregionaler Bedeutung ist. Für die Größe Österreichs ist das aber durchaus ausreichend. Ausländische Festivals, auf denen österreichische Filme gezeigt werden, sind für die Awareness der Filme eigentlich am wichtigsten.
Die Forderungen nach mehr Subventionen für Filmschaffende sind nach wie vor groß. Wie kommt es, dass österreichische Filme trotzdem international sehr große Erfolge haben?
In den Augen mancher gibt es nie genug Geld, auch weil sie dem Irrtum erliegen, dass nur ein teurer Film ein guter Film sein kann. Tatsache ist: Es gibt kein anderes Land vergleichbarer Größe in Europa, wo man im eigenen Land Produktionsbudgets bis zu 2,5 Millionen Euro finanzieren kann. Das ist unmöglich in anderen Ländern. Der Erfolg eines Filmes hat aber nichts mit seinen Kosten zu tun. Das Erfolgsspektrum des österreichischen Films im Ausland reicht von Haneke bis zu kleinen Filmen, denen im Ausland von einem gebildeten Publikum oft mehr Aufmerksamkeit entgegen gebracht wird als in Österreich, wo Film ja nicht unbedingt mehrheitlich zu den anerkannten Künsten gezählt wird.
Die Bundesregierung hat angekündigt, dass es in den nächsten Jahren weniger Gelder für Subventionen geben wird. Betrifft dies auch den Filmfonds Wien?
Den Filmfonds Wien wird es nicht betreffen, da er sein Geld nicht vom Bund, sondern von der Stadt Wien bekommt. Wien hat 1,8 Millionen Einwohner und die Stadt investiert jedes Jahr fast 16 Millionen Euro in Film. Davon sind knapp 12 Millionen beim Filmfonds angesiedelt. Mir ist keine andere Stadt in Europa bekannt, die das macht. Wenn man sich das gesamte Kulturbudget Wiens ansieht, wird man auch keine andere Stadt in Europa finden, die so viel in Kultur investiert. Die Kultur ist Wiens wichtigstes Exportgut. Wenn jemand anfängt in der Kultur zu sparen, dann ist es ein Zeichen dafür, dass es einem schlecht geht. Und wenn jemand merkt, dass es der Stadt schlecht geht, wendet sich jeder von ihr ab. Jemand der signalisiert, mir geht es gut, der ist attraktiver. In Wien hat man das verstanden, ohne teure Studien in Auftrag zu geben.
Sehen sie Wien als eine attraktive Stadt für internationale Produktionen?
Wiens Standortbesonderheit ist, dass es keine Studios gibt. Es würde keinen Sinn machen Studios in Wien zu errichten, da es in Europa und auch in der unmittelbaren Nachbarschaft zu viele Studios gibt, in Prag, Budapest, München. Genau aus diesem Mangel heraus, haben die österreichischen Filmschaffenden ein persönliches Knowhow beim On-Location Drehen entwickelt. Daraus entwickelte sich auch, dass österreichische Spielfilme oft dokumentarisch wirken. Der Mangel an Studios zwang die Menschen hinaus zu gehen. Wien hat als Drehort alles anzubieten. Auf der einen Seite wirkt die Stadt ein bisschen wie ein Freilichtmuseum, auf der anderen Seite gibt es ein sehr modernes Wien. Hinzu kommt die Umgebung, die von der pannonischen Tiefebene bis ins Hochgebirge geht, alles innerhalb von 1,5 Stunden erreichbar.
International wird Wien nach wie vor mit dem „Dritten Mann“ und in einer jüngeren Generation mit „Before Sunrise“ assoziiert, die haben auch einen relevanten Tourismus verursacht, so wie „Kommissar Rex“. Wien hat lange Zeit eine Bedeutung als Drehort für amerikanische B-Movies und Agententhriller gehabt, weil die Stadt zu der Zeit als Ostblockstadt durchgegangen ist. Bis Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre war Wien eine graue Stadt. Man konnte mühelos Szenen auf der Straße drehen, die man dann als Szenen aus Ostberlin oder Warschau verkaufen konnte. Heute ist Wien großflächig saniert, also sterilisiert.
Welche Seite Wiens hätten sie noch gerne in einem Film gesehen?
Wenn sich jemand, der Wien nicht kennt, die Hauptakteure im österreichischen Film und Fernsehen ansieht, könnte er leicht meinen, wir leben hier in einer monokulturellen Einklassengesellschaft. Die kulturelle Vielfalt, die vielen Migranten wurden bis jetzt nicht gezeigt, und wenn, dann meistens als Klischee. Dass Wien z.B. die viertgrößte serbische bzw „ex-jugoslawische“ Stadt ist, bildet sich kaum wo ab. Ich habe sehr hartnäckig daran gearbeitet, die Aufmerksamkeit auf diese Dimension Wiens zu lenken. Warum spielen so viele Filme in der Provinz? Wo ist das urbane Leben? Wo kommt das vor? Das zu sehen, ist wichtig für die Identität einer Stadt, für den Diskurs über eine Stadt.
Bei meinem Antrittsgespräch 1999 bei der damaligen Finanzstadträtin, hat sie mir eine einzige Botschaft für meine Arbeit gegeben. „Wenn es ihnen gelingt, dass in Filmen ein anderes Bild transportiert wird, als jenes, das die Fiaker um den Stephansdom fahren und dazu die Sängerknaben singen, wäre ich ihnen sehr dankbar, denn mit diesem Wien-Bild werden wir nicht in die Zukunft kommen.“ Wie Haneke mal gesagt hat, wir müssen den Menschen die Mozarts unserer Zeit geben, nicht nur der Vergangenheit nachhängen.