Das Theater Drachengasse ist in die neue Spielzeit gestartet. Den Anfang macht das Gastspiel »Red« vom englischsprachigen Verein »Vienna Theatre Project« über eine sich entwickelnde Freundschaft zwischen Künstler Mark Rothko und seinem Assistenten. Eine Nachtkritik.
Der neuen Spielzeit am Theater Drachengasse hat man den klingenden Übertitel »Wir Selektionsbeauftragte« gegeben. Als Gesellschaft, die damit beschäftigt ist eifrig Likes zu vergeben und sich zu allem irgendwie positionieren zu müssen, scheitere das Streben nach Autonomie mit dem Zementieren herrschender Maßstäbe. Am Theater Drachengasse erzähle man »Geschichten von Menschen, die Halt und Orientierung suchen in einer Gesellschaft, die geprägt ist einerseits durch das Versprechen auf Selbstbestimmung und andererseits die Realität sozialer Kontrolle«, erklärte die Ko-Leiterin Katrin Schurich die künstlerische Leitlinie der kommenden Spielzeit, bei der gestrigen Spielplanpräsentation.
Neben der Wiederaufnahme des Publikumserfolges »All das Schöne« zeigt das Theater Drachengasse in der Saison 2019/20 sieben Uraufführungen. Insgesamt sind vier Eigen- und acht Ko-, beziehungsweise Gastproduktionen zustande gekommen, die neben AutorInnentheater auch die Bereiche Musiktheater, Improvisation, Literatur und Comedy abdecken. Dabei steht beim Theater Drachengasse (ähnlich, wie beim Kosmostheater) die feministische Maxime im Zentrum, im Besonderen Künstlerinnen und Regisseurinnen zu fördern.
Rothko in der Sinnkrise
Für den Auftakt in die neue Spielzeit wurde das Gastspiel »Red« in einer Inszenierung des Vienna Theatre Project ausgewählt. Regie führt Joanna Godwin-Seidl. Das Stück des amerikanischen Autors John Logan behandelt das Verhältnis zwischen Mark Rothko und seinem neu angestellten Assistenten Ken und wurde 2010 mit Alfred Molina und Eddie Redmayne ziemlich starbesetzt in London uraufgeführt. Ausgelegt für zwei Personen spielt »Red« in einem einzigen Setup: dem schwummrig beleuchteten Atelier von Rothko.
In Wien übernimmt der amerikanische Schauspieler Dennis Kozeluh die recht dankbare Rolle des Künstlers Rothko. Er darf sich selber sehr wichtig nehmen, über Kunst sinnieren, streiten, schreien, keifen, zweifeln, resignieren. Kozeluh spielt diese Rolle durchgehend souverän.
Walle! Walle! Manche Strecke,…
Mark Rothko – so der Stückinhalt – (für die Kunstbanausen unter euch: Rothko ist der mit den Farbflächen, aber ohne die schwarzen Mondrian-Trennlinien, schaut einfach selbst) hat den Auftrag, ein Restaurant in einem Four-Seasons-Hotel mit seiner Kunst zu bestücken. Viel entscheidender als diese Arbeit an neuen Malereien, ist hingegen die Interaktion mit seinem neuen Angestellten Ken. David Rodriguez-Yanez darf für Wien diese Rolle des Assistenten übernehmen, der natürlicherweise die Wandlung vom Zauberlehrling zum meinungsstarken Kameraden vollzieht. Er fungiert dabei nicht zuletzt als Sympathieträger, wenn die Ausführungen des Rothko allzu prätentiös und selbstherrlich werden. Und so bekommt auch er Momente beschert, in denen er zu brillieren vermag: Wenn er seinem »Meister« Heuchelei vorwerfen kann, als der sich über die Strömung der Pop Art echauffiert; aber eigentlich noch mehr dann, wenn er sich beginnt freier im Atelier zu bewegen und leichtfüßig zu Jazzmusik über den Bühnenraum tänzelt.
In all dem Gerede über Kunsttheorie, Philosophie und Befindlichkeiten ist »Red« ein Stück, bei dem es ganz zentral um Sinnsuche und Vergänglichkeit geht. Um die Angst, vergessen zu werden. Dass das künstlerische Schaffen letztlich bedeutungslos ist. Um die Angst, dass man abgehängt wurde und die nächste logische Station nurmehr der Tod sei. Dass das Rot auf der Leinwand nicht mehr rot ist, sondern in Gänze in schwarz verschwindet.
»Humbled by a Canvas«
Die Probleme, die das Stück hat, haben dabei mehr mit dem zugrundeliegenden Text zu tun. So können die theoretischen Ausführungen mitunter gegen Ende kurz ein wenig ermüdend wirken; das geht einem beim Lesen von »Red« nicht anders.
Was jedoch vom Theaterabend hängen bleibt, ist die Leidenschaft, mit der an das Stück herangegangen wird. Für die Inszenierung wurde eigens eine »Art Consultant« engagiert. An die gemeinsame Arbeit mit ihr, erinnert sich Regisseurin Joanna Godwin-Seidl mit einer Portion Ehrfurcht: »Since that day when her eyes lit up and sparkled – ‚look how the paint is reacting on the canvas’ – we too became humbled by it, and enthralled«. Ein Moment, der sich noch immer auf die Aufführungen auszuwirken scheint. Am schönsten ist es den beiden Darstellern bei ihrer Arbeit (ihrer Arbeit im fiktiven Stück, dem Handwerk der Malerei) zuzusehen, in der diese Leidenschaft für Kunst noch immer mitzuschwingen scheint. Und natürlich ebenso schön ist das Beobachten der Leidenschaft am Spielen (ihrer Arbeit »in echt«, dem Handwerk des Schauspielens), die in einer so intimen Räumlichkeit, wie der kleinen Bühne beim Fleischmarkt 22, besonders gut zur Geltung kommt.
»Red« wird noch vom 24. September – 5. Oktober je um 20 Uhr aufgeführt. Weitere Informationen über das Stück und den aktuellen Spielplan des Theater Drachengasse gibt es hier.