Vom Ausflug ins Theater, das sich in ein Korallenriff verwandelt hat, und von den Tierchen, die diesen farbenreichen Mikrokosmos bewohnen. Das Stück »Koralli Korallo« ist noch bis Samstag am Wiener Kosmos Theater zu sehen.
Stell dir vor, es ist Theater und plötzlich findet man anstatt des Theaterhauses ein schillerndes Korallenriff vor. So geschehen – zumindest anekdotisch so wiedergegeben – widerfuhr es den Figuren des Stücks »Koralli Korallo« von Milena Michalek, das am Kosmos Theater Wien uraufgeführt wurde. Ganz ähnlich geht es auch uns im Zuschauerraum. Die fünf Darsteller*innen huschen von einem Ende der Bühne zum anderen, dicht aneinandergedrängt bewegen sie sich durch eine wundersame Welt an einem großen angedeuteten Riff.
»Können Korallen kommunizieren?«, denke ich noch und finde die formale Entsprechung auf der Theaterbühne: Wenn Korallen kommunizieren, tun sie das chorisch (oder wie im Stück vorgetragen: »Koralle; Chor Alle«). Und was denken sich Korallen? In »Koralli Korallo« setzen sie sich mit der eigenen Traurigkeit auseinander – und das hat eine offensichtliche Dringlichkeit: Korallen sterben. Im Stück wie in der echten Welt. Schuld an der sogenannten »Korallenbleiche«, dem Phänomen bei dem die farbenprächtigen Nesseltiere aufgrund zu hoher Wassertemperaturen dekolorieren, ist der Klimawandel. Die Auswirkungen der Erwärmung der Ozeane sind dabei nicht nur ein trauriger Anblick, sondern gleichzeitig eine gefährliche Entwicklung. Korallenriffe gehören zu den artenreichsten Lebensräumen der Welt und ihre bedrohte Existenz ist schon lange kein Randphänomen mehr. Betroffen davon ist beispielsweise auch das weltgrößte Korallenriff, das australische Great Barrier Reef, über das 2020 von einem alarmierenden Ausmaß des Algensterbens berichtet wurde.
Take Me to My Beach!
Auch die Figuren von »Koralli Korallo« bewegen sich entlang eines großen Korallenriffs. (»Bitte nichts mitnehmen«, so die Anweisung im Stück.) Die bildliche Entsprechung für die Theaterbühne sind bunt bemalte aufgestellte Kartons – in ihrer Abstraktion effektiv. Doch nicht alle Figuren stimmen in das Erstaunen über das sich ihnen eröffnende Farbenspiel ein. Nichts als ein Friedhof sei hier zu sehen. Es stimmt: Anders als beim Menschen, wo dies höchstens metaphorisch der Fall wäre, wachsen Steinkorallen direkt auf ihren Ahnen. Wie ausgesprochen melancholisch.
Bei all der Ernsthaftigkeit der Materie ist »Koralli Korallo« aber vor allem ein sehr lustiges Stück. Zwischen witzigen Einfällen des Theatertextes (»Sitzen ist das neue Rauchen«) und Komik aus dem Spiel mit Gestik entspinnt sich ein Theaterabend, der wunderbar unterhält. Dankbar kann man dafür vor allem den Darsteller*innen sein, die ihre Sache durch die Bank sehr gut machen, das gemeinsame Sprechen, das Flüstern und Schreien mit gewisser Leichtigkeit transportieren.
Can’t We All Just Get Along?!
Im Antizipieren des Theaterabends fand ich mich in zwei Phasen wieder. Die erste bezog sich direkt auf das gewählte Sujet. Korallensterben? Das klang nach zähem »Theater mit dem Zeigefinger«. Mit dem Erscheinen euphorischer Rezensionen, die einen vergnüglichen Abend nahelegten, fragte ich mich wiederum, ob man so der ernsten Thematik denn gerecht werden könne? Es stellte sich die Frage der Tonalität. Nachdem ich mir ein eigenes Bild des Stücks machen konnte, würde ich diese (in Ermangelung eines besseren Begriffs) mit einem Wort zusammenfassen: schön!
Die Szenen von »Koralli Korallo« – egal ob es gerade um Korallen oder um den Menschen geht (oder diese Grenze ganz verschwimmt) – scheinen aus dem Leben gegriffen. Über Alte, die zum Sterben nicht in ein Altersheim gehen wollen. Über Individuen, die sich verwirrt im öffentlichen Raum bewegen, und darüber, wie wir als Gesellschaft damit umgehen. Über Empathie, die die Grenzziehung bei der eigenen Spezies überwindet. Können wir koexistieren? »Was steht uns im Weg?«
»Koralli Korallo« wird noch bis 2. Oktober 2021, täglich ab 20 Uhr, am Kosmos Theater Wien aufgeführt. Mehr Informationen zum Stück und den Online-Ticketverkauf findet ihr hier.