Intendant*in, wechsel dich – Alles neu an den Bühnen Österreichs?

Internationaler Theater- und Performancebetrieb bedeutet, was die künstlerische Leitung betrifft, immer wieder ein Kommen und Gehen. Doch gerade jetzt scheint in der veränderungsträgen Republik kein Stein auf dem anderen zu bleiben. Was die anbrechende Spielzeit an den verschiedenen Bühnen des Landes bereithält und welche Veränderungen sich möglicherweise anhand von Führungsentscheidungen ablesen lassen.

Es ist ein wirklich netter Weg zum Spazierengehen auf der schönen Allee am Mittelstreifen der Oswaldgasse in Wien-Meidling. Linker Hand dann ein Gebäude, das seit Kurzem einen neuen Anstrich verpasst bekommen hat: das Kabelwerk. »Theater am Werk« steht in serifenloser Schrift auf mintgrünem Grund. Versteht man diesen Titel als ein »am Werk sein« – und auch das soll die Bezeichnung evozieren –, so ist dies allein schon am Foyer auf dem Weg zur Pressekonferenz ersichtlich. Denn jenes zeigt überdeutlich, dass hier noch ziemlich Baustelle ist.

»Wir wissen, Theater sind nicht nur in Bewegung, sondern auch mitunter eine große Herausforderung für das gesamte Team«, eröffnet Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. Ein »neues leuchtendes Zeichen« nennt sie das Theaterhaus, das man bislang als Werk X kannte und das vor seiner Neueröffnung steht. Die frisch gebackene Leiterin dieser Spielstätte heißt Esther Holland-Merten und sie ist nun auch zuständig für das Werk X-Petersplatz im ersten Wiener Gemeindebezirk. Das aktuelle Spielzeitmotiv zeigt eine Nahaufnahme roter Kirschen und den schriftlichen Zusatz: »Theater im Herzen von Wien«. Zu den Veränderungen der Theaterlandschaft äußert sie sich vorsichtig: »Ich glaube, dass erst einmal unser Start hier im Theater am Werk gelingen muss – mit unseren Eröffnungsproduktionen im Oktober.«

Wenn Kaup-Hasler bei der Pressekonferenz verlautbart, dass sich in dieser Stadt vieles tue, lässt sich das – genau wie die Baustelle – symbolisch sehen für allerlei Veränderung innerhalb der Wiener und der österreichischen Theaterszene. Mittlerweile lässt sich kaum mehr ausblenden, dass in Stadt und Republik einige Wechsel von Intendanzen stattfinden. Auf den Wiener Klein- und Mittelbühnen wie auch an den großen Häusern gehen Menschen, sie werden gegangen oder kommen neu hinzu, bringen neue Ideen mit an die Kulturstandorte. Das ist zumindest insofern bemerkenswert, als dass man Österreicher*innen im Allgemeinen und Wiener*innen im Speziellen nachsagt, es lieber gemütlich und nicht unbedingt reformbegeistert anzugehen.

The future is female

Einen Tag vor der Pressekonferenz im Theater am Werk stellt Anna Horn, neue Leiterin des Dschungel Wien, dessen kommende Spielzeit vor. Das Theater für Jugendliche und junge Menschen hat sie vor Kurzem von Corinne Eckenstein übernommen. Zusammen mit der Bildungsanthropologin und Performerin Myassa Kraitt, die die Co-Leitung der »Digitalen Bühne« übernehmen wird, der Dramaturgin und Kulturvermittlerin Elif Bilici und der kaufmännischen Leiterin Alexandra Hutter beantwortet sie die Fragen der Presseverteter*innen. Ein wohl bewusst weibliches Team, teils migrantisierter Frauen. Im deutschsprachigen Raum war das zuletzt zumindest kein vollkommen ungewöhnlicher Anblick mehr. Unter anderem das Berliner Theatertreffen und das Deutsche Theater Berlin setzen mittlerweile auf weibliche Leitungen, wie auch in Hamburg das Thalia Theater und das Deutsche Schauspielhaus oder die Münchner Kammerspiele und das Schauspiel Hannover.

Andreas Fleck, der designierte Intendant der Performing-Arts-Schiene des WUK, bekräftigt diesen Eindruck auch für Wien: »Zumindest in der Tendenz lässt sich ablesen, dass die Besetzungen weiblicher werden, was eine total positive Entwicklung ist. Bei den Klein- und Mittelbühnen tut sich da wirklich etwas.«

The future is under construction

Zurück zum Thema Baustelle: Auch Fleck übernimmt eine solche, denn noch bis Ende des Jahres befindet sich das WUK im Umbau und so beginnt der Theaterbetrieb erst 2024. Neben den fixierten Produktionen des kommenden Spielplans möchte er auch Platz lassen für Formate, die in kürzerer Vorlaufzeit wachsen – eine fortwährende Programmierung under construction. Nicht zuletzt darin sieht Fleck auch einen Vorteil gegenüber den großen Bühnen der Stadt: »Tendenziell ist man nicht abhängig von einem Abo-Publikum, das man irgendwie bedienen muss. Man kann versuchen, in junge Publikumsschichten reinzuprogrammieren.«

Durch die grundsätzlich knapper angelegten Planungszeiten für Projekte sei man auch näher an dem, was Menschen konkret gerade umtreibt: »Man ist viel flexibler in den Themen, die gerade in der Stadt wichtig sind – wenn man sich zum Vergleich etwa das Burgtheater anschaut, das wahrscheinlich schon an der Planung für 2026 dran ist und Stücke dafür organisiert.« Er selbst habe hingegen, so Fleck, die Möglichkeit 2024 ein kleines Format zu machen und sich darin mit dem, was bis dahin passiert, zu beschäftigen. »So lässt sich einfach direkter auf die Ereignisse in einer Gesellschaft reagieren.«

Hinsichtlich der vielen Intendanzwechsel sieht er durchaus ein bewusst gesetztes Signal – auch abgekoppelt von Fragen nach (Geschlechts-)Identität –, und zwar dahingehend, dass ein bestimmter Führungsstil schlicht als nicht mehr zeitgemäß gesehen werde. Fleck: »Wie man Häuser leitet, wird schon sehr stark hinterfragt. In welchen Strukturen man arbeiten möchte, wie Hierarchien funktionieren. Da sehe ich eine Entwicklung und ein Nachdenken darüber, wie man das zukünftig gestalten kann.«

The future is democracy

Zu diesem Hinterfragen von Führungsmodellen kann auch die Bestellung der Viererformation gezählt werden, die zukünftig das Schauspielhaus Wien leitet. Regisseurin Marie Bues, die Dramaturg*innen Martina Grohmann und Tobias Herzberg sowie Autor Mazlum Nergiz wurden bereits im Mai letzten Jahres als Leitungsquartett vorgestellt. Inhaltlich beschrieb das Intendant*innenteam die angestrebte Ausrichtung des Spielorts damals als »Tummelplatz der Ausdrucksform«. Darauf angesprochen präzisiert Marie Bues: »Wir finden, dass Autor*innentheater und starke Regiehandschriften einander nicht ausschließen. Im Schauspielhaus war schon immer Platz für verschiedene ästhetische Zugänge. Schauspiel ist eine sich stets wandelnde Kunstform.«

Als erste Premiere in der im November beginnenden Spielzeit hat man sich für die österreichische Erstaufführung von Sivan Ben Yishais Stücktext »Bühnenbeschimpfung« entschieden. Im Gegensatz zu Peter Handkes »Publikumsbeschimpfung« werden hier nicht Publikum – sondern als Selbstbeschimpfung – Machtstrukturen und die Arbeitsbedingungen im Theater angegriffen. Dramaturg Tobias Herzberg, in freudiger Erwartung des Spielzeiteinstands: »Ob das Theater zu unserer Eröffnung in die Luft fliegt – vor Empörung oder Euphorie – oder ob es doch noch eine Chance bekommt, wissen wir noch nicht. ›Bühnenbeschimpfung‹ ist auch eine Liebeserklärung an ein kritisch durchleuchtetes Theater und macht Lust darauf, sich vorzustellen, was wäre, wenn alles ganz anders wäre.«

The future might not be Viennese

Auch außerhalb der Hauptstadt stehen aktuell Intendanzwechsel an. Am Schauspielhaus Graz hat Andrea Vilter mit der beginnenden Spielzeit die Intendanz übernommen – von Iris Laufenberg, die ans Deutsche Theater in Berlin wechselt. Und am Tiroler Landestheater folgt Irene Girkinger auf den langjährigen Leiter Johannes Reitmeier. Auch Girkinger setzt auf eine Diversifizierung der Leitung mit einem Team aus Co-Direktor*innen aus den verschiedenen Sparten des Hauses. »Prinzipiell geht es mir um die Verflachung der Hierarchie im Kunstbetrieb«, so Girkinger. »Ich habe die Verantwortung auf bestehende Positionen aufgeteilt und es gibt daher für die einzelnen Personen mehr Entscheidungskompetenz – sowohl nach innen als auch nach außen.«

Ein Thematisieren der Parameter soziale Herkunft, Sexualität und Geschlechtsidentität in Bezug auf Leitungsfunktionen kann man leicht abtun und auf Fertigkeit und Arbeitskompetenzen verweisen. Dahinter steckt aber auch die Frage, ob Frauen oder FLINTA* anders programmieren als cis Männer, die diese Positionen jahrhundertelang besetzt haben. Das muss nicht unbedingt so sein, Hinweise darauf lassen sich in den Spielplänen jedoch zur Genüge finden.

So setzte sich auch Andrea Vilter als Ziel für ihre Intendanz am Schauspielhaus Graz, Perspektiven zu suchen, die im klassischen Kanon oft nicht berücksichtigt werden. Im Zuge dessen stieß sie auf »Von einem Frauenzimmer« von Christiane Karoline Schlegel – »durch eine Fußnote bei Goethe«, wie sie berichtet. »Das Stück ist ein bürgerliches Trauerspiel, also ein Klassiker. Wäre Lessing der Autor, niemand würde sich wundern, dass man es auf den Spielplan setzt. Was aber Schlegels Stück so spannend macht, ist das Thema Femizid, das zu Lebzeiten der Autorin als ›zu unmoralisch für ein Frauenzimmer‹ aus dem Theaterkanon aussortiert wurde.« Die Besonderheit sei, dass die Geschichte aus weiblicher Perspektive erzählt werde: »Ihr Blick auf den Täter unterscheidet sich merkbar von dem ihrer Zeitgenossen und das macht ihren Text spannend und relevant für die Gegenwart.«

The future is the past is the future

Freilich rumort es auch an den großen Häusern in Wien und so ist fürs kommende Jahr bereits weitere Veränderung beschlossen. Die Wiener Festwochen werden dann von Milo Rau geführt werden, die Leitung an der Wiener Volksoper übernimmt Ben Glassberg und Volkstheater-Intendant Kay Voges wird seinen Vertrag zugunsten einer neuen Führungsposition am Schauspiel Köln nicht verlängern.

Auch für Martin Kusej, den scheidenden Burgtheater-Direktor, ist die letzte Spielzeit angebrochen. Auf ihn wird Stefan Bachmann als neuer Intendant folgen. In ihrer Vita unterscheiden sich die beiden Männer nur bedingt und so offenbaren sich hier vielleicht auch die Grenzen eines Strukturwandels, der niemals zu voreilig ausgerufen werden sollte. Wenngleich ein frischer Wind an einigen Häusern spürbar ist, bleiben die großen Hauptstadtbühnen weiter in Männerhand. Uwe Mattheiß kommentierte in der Berliner Taz den Direktorenwechsel am Burgtheater treffend: »Ein Neuanfang zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, Diversität, eine Antwort auf den Strukturwandel, den die Branche gerade durchlebt, ist diese Berufung nicht.«

Ob sich Bachmann an der Burg beweisen kann, wird sich zeigen, hat sich doch so mancher der zuletzt genannten Chef*innensessel als ziemlicher Schleudersitz erwiesen. Und inwiefern tangieren diese Rochaden die kleineren Häuser? Wird ihnen doch nicht selten eine angespannte Beziehung zu den großen nachgesagt. Martina Grohmann vom Schauspielhaus Wien sieht das Verhältnis eher entspannt, gibt aber zu bedenken: »Wenn es den Theatern einer Stadt als Ganzes gut geht, dann haben alle was davon. Kein Haus profitiert, wenn die großen Tanker in der Krise sind. Sich zu ergänzen und zu kooperieren ist unser Prinzip.«

Die neuen Spielzeiten am Tiroler Landestheater, am Schauspielhaus Graz und am Dschungel Wien sind bereits in vollem Gange. Das Theater am Werk zeigt am 5. Oktober »Die Verlorenen« an der Kabelwerk-Spielstätte und am darauffolgenden Abend »Romeo <3 Julia« am Petersplatz. »Bühnenbeschimpfung«, die erste Eigenproduktion der Saison am Schauspielhaus Wien, feiert am 3. November Premiere. Baustellenbedingt startet WUK Performing Arts erst im Jänner 2024 in die neue Saison.

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