Die Geschichte davon, wie queere New YorkerInnen sich in der Nacht auf Samstag, den 28. Juni 1969, wegen einer Polizeirazzia des Szenelokals Stonewall Inn in der Christopher Street zur Wehr setzen und damit einen Wendepunkt für die Lesben- und Schwulenbewegung einleiteten, ist weit über die USA hinaus bekannt. Die Emanzipationshistorie der österreichischen LGBTIQ+-Bewegung kennen vor allem jene, die diese miterlebt haben. Zeit, mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen.
Eine Polizeirazzia in einem queeren Szenelokal mündet in tagelange Proteste. Es war nicht die Begründung der LGBTIQ+-Bewegung, aber ihr wohl einschlägigster Moment, an den nach wie vor Straßenparaden weltweit erinnern. Darüber lässt sich leicht vergessen, dass auch im eigenen Land Rechte von LGBTIQ+-Personen mühselig erkämpft werden mussten. Es ist dem Einsatz vieler österreichischer AktivistInnen zu verdanken, dass sich das gesellschaftliche Leben für queere Menschen in den letzten 50 Jahren positiv entwickelt hat.
Mehr noch als in den USA ist die Emanzipationsgeschichte der LGBTIQ+-Bewegung in Österreich vor allem ein fortlaufender Prozess. Die Ausgangssituation ist hingegen erst einmal ähnlich: Queeres Leben fand bis in die späten 60er-Jahre vor allem im Geheimen und unter strenger Aufsicht der Judikative und Exekutive statt. Paragraf 129Ib, der das Ende des dritten Reiches überlebt hatte, stellte in Österreich gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen als »Unzucht wider die Natur« unter Strafe. Bis 1971 blieb dieses Totalverbot in Kraft und bedingte die polizeiliche Verfolgung queerer Menschen. Eine Subkultur bildete sich trotzdem. Dass diese jedoch stets Strafe zu befürchten hatte, davon kann Günter Tolar berichten, ehemals Fernsehmoderator diverser Quizsendungen und später Vorsitzender der SPÖ-Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratie & Homosexualität (SoHo).
In der Broschüre »Stonewall in Wien«, die von Marco Schreuder, damaliger Sprecher der Grünen Andersrum, in Zusammenarbeit mit Qwien, dem Zentrum für queere Geschichte in Wien, umgesetzt worden ist, berichtet Günter Tolar davon, wie das Szeneleben vor 1971 ausgesehen hat. Ein Szenelokal gab es zu dieser Zeit bereits. Bis zur Schließung vor wenigen Jahren war die Alte Lampe in der Heumühlgasse die älteste Schwulenbar Wiens und auch seinerzeit schon, als Tolar als junger schwuler Mann ausging, Anlaufstelle queerer Männer. Man habe sich dort Decknamen zulegen müssen, um sicherzustellen, dass im Falle einer Razzia niemand jemanden verraten könne. Tolar habe auch eine Nacht im Gefängnis verbracht, da er es wagte, in der Alten Lampe in Anwesenheit der Polizei seinen damaligen Freund zu küssen.
Geheimsache Homosexualität
»Alle gleichgeschlechtlichen, sexuellen Handlungen standen unter Strafe. Das hatte insofern große Auswirkungen auf queere Menschen, weil die private Beziehung unter Beobachtung stand«, erklärt Andreas Brunner. Er ist Co-Leiter von Qwien, arbeitet als Historiker, Ausstellungskurator und als Stadtführer. Ein Zusammenleben zweier homosexueller Männer beschreibt Brunner zu dieser Zeit als vergleichbar mit einem Leben im Scheinwerferlicht. Queeres Leben musste möglichst unauffällig im Geheimen stattfinden, was sich auch mit der Abschaffung des Totalverbots 1971 nicht schlagartig änderte.
Das hing vor allem damit zusammen, dass vier neue Paragrafen an Stelle des §129Ib traten, die ein unterschiedliches Schutzalter für schwule Beziehungen (18 Jahre) gegenüber heterosexuellen und lesbischen Beziehungen (14 Jahre) festschrieben, männliche homosexuelle Prostitution unter Strafe stellten, aber vor allem auch »Werbung für Unzucht mit Personen desselben Geschlechts« und »Verbindungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht« verboten. »Diese Paragrafen zeigten ja ganz deutlich, dass der Gesetzgeber gleichgeschlechtliche Beziehungen nach wie vor nicht als gleichwertig erachtete. Wenn man dafür keine Werbung machen darf, wenn man diese nicht in einem positiven Licht darstellen darf, dann heißt das für die Betroffenen, dass sie sich zurückziehen sollen, dass sie nicht öffentlich auftreten sollen, dass sie gefälligst ihre Lebensweise im Dunkeln, im Verborgenen weiterführen sollen«, so Brunner.
Eine Bewegung formiert sich
Von den Ereignissen, die sich Ende der 60er- Jahre als Stonewall Riots in der New Yorker Christopher Street abspielten, nahm man in Österreich vorerst kaum Notiz. Ihren Anfang hat die Emanzipierung von in Österreich lebenden LGBTIQ+-Personen erst in der Frauenbewegung, welche sich Anfang der 70er-Jahre auch in Wien mobilisierte. Sie wurde zur Heimat vieler lesbischer Frauen und ermöglichte Vernetzung. Innerhalb der Aktion Unabhängiger Frauen (AUF) etablierte sich 1976 die erste offene Lesbengruppe, und in der 1977 eröffneten Frauenbuchhandlung gab es von Anfang an lesbische Titel im Sortiment. Auch homosexuelle Männer schlossen sich zusehends zusammen, um politisch aktiv zu werden. Mit der Gründung der Homosexuellen Initiative (HOSI) 1979 wurden zwei der diskriminierenden Paragrafen, das Versammlungs- und Werbeverbot, quasi totes Recht und man widmete sich vor allem öffentlichkeitswirksamer Aufklärungsarbeit. Infostände am Reumannplatz, in der Meidlinger Hauptstraße und im Schweizergarten zählten zu den wichtigen Aktivitäten der damaligen HOSI, die ab 1981 mit der Gründung einer internen lesbischen Gruppe schwul-lesbisch wird.
Aids als »Schwulenseuche«
Die Stadt nicht nur rein optisch um eine Facette bunter machte außerdem die Türkis Rosa Lila Villa, die aus der HausbesetzerInnenszene heraus entstand und seit 1982 an der linken Wienzeile zu finden ist. Als Beratungs- stelle und Informationszentrum agierend, beherbergt die Villa außerdem ein Wohnprojekt und stellt seit Mitte 1995 mit der Gründung des dort ansässigen Vereins Trans X eine zentrale Anlaufstelle für Trans*-Personen dar. »Es war sicherlich so, dass man damals kaum die Möglichkeit hatte, im Job zu bleiben. Die klassische Transsexuelle war arbeitslos, ging auf den Strich oder war verbeamtet«, berichtet Eva Fels, die seit 20 Jahren Obfrau von Trans X ist, über die schwierige Lebenssituation für Trans*-Menschen bis in die 90er-Jahre. Was der Verein über Arbeit innerhalb der Community und nach außen hin leistet, beschreibt sie als »Empowermentpolitik, dass Trans*-Menschen nicht gebrochen durchs Leben gehen, sondern auch etwas repräsentieren und für sich einstehen können.«
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