Mit »Würmlas Wände«, ihrer Abschlussarbeit an der Angewandten, erzählen Katharina C. Herzog und David Leitner Alltags- und Lebensgeschichten der Landbevölkerung auf Silos, Stadeln und Stallwänden. Über Kunst am Land, Offenheit und den derart entstandenen Wanderweg.
Was bleibt von der Zeit an der Uni? Bei Katharina C. Herzog und David Leitner lässt sich diese Frage leicht beantworten: 13 Motive auf alten Stadelwänden, Stallfronten oder Silotürmen. Angewandte Kunst, außerdem ein Wanderweg, der entlang der verstreut liegenden Arbeiten durchs Gemeindegebiet führt, und ein kommentierter Bildband, der die Geschichte und Geschichten hinter dem Projekt »Würmlas Wände« dokumentiert und vertieft. The Gap befragte Katharina C. Herzog (Art-Direktorin und Mitgründerin der Kunst und Kulturplattform Les Nouveaux Riches) und Künstler David Leitner über künstlerische Arbeit abseits der Ballungsräume.
Was ist das Reizvolle daran, etwas urban Assoziiertes wie Street-Art in der tiefsten Provinz umzusetzen?
Katharina C. Herzog: Ich bin auf einem Bauernhof in Jetzing, einem Dorf mit vier Häusern, in der Marktgemeinde Würmla aufgewachsen und habe dort 22 Jahre meines Lebens verbracht, bevor ich nach Wien gezogen bin. Würmla ist mit seinen 1.435 EinwohnerInnen sehr überschaubar, auch was das kulturelle Angebot vor Ort betrifft. Deshalb war es für uns spannend, genau dort unser Projekt umzusetzen. Wie werden die Leute wohl reagieren? Werden sie das Projekt annehmen? Der Entstehungsprozess der Werke ist ja bei Street-Art, wie der Name schon sagt, öffentlich und für jeden einsehbar, was dazu führt, dass BetrachterInnen Teil des Prozesses werden können. Sie können Fragen stellen, Anregungen geben und ihre Meinung direkt an uns weitergeben. Wo Street-Art entsteht, ergeben sich somit gleichzeitig Orte der Begegnung. Genau dieses Zusammenbringen und Verbinden von Menschen aus unterschiedlichen Bubbles ist und war mir ein wichtiges Anliegen. »Würmlas Wände« ist ein Versuch, Brücken zu bauen.
Wurdet ihr auch belächelt, weil es euch die Provinz verschlagen hat? Wie waren denn die Reaktionen der anderen StudentInnen?
David Leitner: Eigentlich gar nicht, die meisten fanden die Idee von Anfang an sehr gut. Ich denke, dass KunststudentInnen generell eher reflektierte Personen sind, die sich der Stadt-Land-Diskrepanz bewusst sind.
Katharina: Viele StudentInnen kommen ja selbst vom Land und konnten unseren Ansatz »urbane Kunst aufs Land bringen und für mehr Austausch sorgen« sehr gut nachvollziehen. Da gab es eher Zuspruch.
Alle von euch gestalteten Wände zeigen persönliche Geschichten der EigentümerInnen der Gebäude. Wie habt ihr denn die passenden Wände gefunden?
David: Anfang April 2019 waren wir das erste Mal in Würmla und sind einfach mal herumgefahren. Wichtig war uns, dass die Wände möglichst weitflächig über das Gemeindegebiet verteilt liegen. Mir ist immer schon aufgefallen, dass es am Land sehr viele geeignete Flächen gibt und die meistens auch leichter zu organisieren sind. Man muss da nicht zu drei verschiedenen Ämtern. Wenn der/die BesitzerIn zustimmt, genügt das. Aus den ca. 20 ausgewählten Gebäuden haben wir uns dann auf 13 beschränkt und sind erst dann mit den BesitzerInnen in Kontakt getreten.
Katharina: Wichtig war uns auf jeden Fall auch, dass die Wände einen ländlichen Charakter aufweisen und diese vielleicht auch aufgrund ihres Alters schon Geschichten erzählen können. Wir haben Silos, alte Mostkeller und Stallwände etc. ausgewählt, um noch mehr Stilbruch in das ganze Projekt zu bringen.
Waren alle EigentümerInnen sofort für das Projekt zu begeistern?
Katharina: Ein, zwei WandbesitzerInnen standen dem Projekt skeptischer gegenüber, weil sie sich darunter anfänglich nichts vorstellen konnten. Nachdem wir den ersten Silo in Pöding bemalt hatten, ging aber alles wesentlich einfacher. Als ausschlaggebenden Punkt für die hohe Akzeptanz sehe ich unseren Zugang: Dadurch dass die Motive persönliche Geschichten aus dem Leben der BesitzerInnen erzählen, wurden diese in den künstlerischen Prozess miteinbezogen. Ich habe mich mit allen WandbesitzerInnen mehrere Male getroffen und wir haben über ihr Leben am Land gesprochen, wie es ihnen geht, was sie mit dem Gebäude verbinden. So sind dann die unterschiedlichsten Themen aufgekommen: die Rolle der Frau am Bauernhof, Mobilität, der Wert von Lebensmitteln, Klimaschutz etc. Die Anfangsphase des Projekts war meiner Meinung nach etwas tricky. Ich musste mich eine Zeit lang wieder ins Ortsleben re-integrieren. Ich war bei Kirtagen, Bauernmärkten, Feuerwehrfesten etc., um mit den WandbesitzerInnen und den Leuten ins Gespräch zu kommen. Auch mein Papa hat da sehr viel mitgeholfen und das Projekt im Ort über Mundpropaganda verbreitet und mich den Leuten vorgestellt. Wieder aufs Land zurückzukommen, war für mich sehr spannend. Ich konnte meine Heimat, von der ich mich über die Jahre schon sehr distanziert hatte, aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachten. Mein Fazit: Das Leben am Land ist schon schön.
Gab es Motivvorschläge von euch, die dann doch nicht umgesetzt wurden?
David: Eigentlich nicht. Zu meiner Überraschung waren alle sehr offen und haben uns mehr oder weniger freie Hand gelassen.
Und gab es Gedanken und Wünsche, die ihr ganz bewusst nicht umsetzen wolltet?
David: Relevanz bezüglich gesellschaftlicher Themen, daher auch oft politischen Ursprungs, ist mir in meinen Arbeiten eigentlich sehr wichtig. Wir haben oft überlegt, wie provokant man sein kann, haben uns dann aber dazu entschieden, nicht auf etwas Trennendes, sondern auf etwas Verbindendes zu setzen.
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