Der Hipster war eines der bestimmenden Phänomene der letzten zehn Jahre. Ein Sammelband zerlegt die Figur abseits der üblichen Bashings.
Eine Jugendbewegung ohne Richtung, gelebte Post-Ironie oder ein bequeme Kategorie, um sich darüber lustig zu machen: der Hipster. Konsequente Leere, Imitation und Aneignung – in guten zehn Jahren »Hipster« hat sich einiges an argumentativem Ballast angesammelt, an klaren theoretischen Auseinandersetzungen mangelte es aber im deutschen Sprachraum. Nun ist mit »Hipster – ein transatlantisches Phänomen« ein Buch erschienen, das sich des Themas annimmt. Herausgegeben von Mark Greif werden darin Wege beschritten, die abseits des üblichen Hipster-Bashings verlaufen.
Vor zwei Jahren fand an der New Yorker New School, dem Zentrum urbanen Intellekts der ausgehenden Aughties, ein Symposium mit dem Titel »What Was The Hipster – A Sociological Investigation« statt. Das Magazin n+1 lud unter dieser Prämisse ein, sich auf akademischem Level mit dem Thema zu beschäftigen. »Bluescreen«, der jüngste Essay-Band von Herausgeber Mark Greif, erscheint übrigens zeitgleich auf Deutsch im Suhrkamp Verlag. Greif gilt als einer der schärfsten Denker unserer Zeit und versammelt in »Hipster – ein transatlantisches Phänomen« verschiedenste Perspektiven zum Thema.
Wer war der Hipster?
Mark Greifs schlicht »Positionen« betitelter Vortrag gibt einen Überblick über das Thema und rollt die Geschichte des Begriffs auf. Das Wort »Hipster« ist keinesfalls neu. Der Begriff wurde schon in den 40er und 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts geprägt. Kurz zusammengefasst waren Hipster damals kaukasische Mittelschichtkids, die den Lifestyle afroamerikanischer Jazz-Musiker kopierten. Weiter geprägt wurde das Ganze dann von Norman Mailer, der in seinem berühmten Essay »The White Negro« den Begriff aufgreift und die Aneignung von Codes, das Kopieren von Styles als erstes Gebot darstellte. Die »exotische Energie«, die von den Schwarzen ausging, war spannend, außerdem verfügten sie über Wissensbestände und Codes, die den Weißen großteils verschlossen blieben. Mark Greif zitiert hier Anatole Broyard, der den Begriff des »Priorismus« verwendet. Ein Wissen, das von jeher, a priori vorhanden und keinem institutionellen Druck unterlegen ist. Heute wird der Begriff Hipster ausschließlich pejorativ gebraucht, was laut Greif, daran liegt, dass der Hipster längst eine »dominante Position in der Gesellschaft eingenommen hat«.
Greif führt drei weitere Definitionen an, die sich dann auch durch das Buch ziehen und von den anderen Beiträgen aufgegriffen werden. Zuerst versucht er den Hipster anhand einiger Äußerlichkeiten zu kategorisieren: Trucker-Kappe, ironischer Porno-Schnauzer und Unterschichten-Verehrung.
Stichwort: Mode
Die Accessoires, die das Hipstertum des 21. Jahrhunderts charakterisieren, sind vielfältig und ändern sich ständig. Oberflächlich betrachtet werden ganz einfach modische No-Go Areas beschritten: Earl-Sweatshirts, weiße Tennissocken beispielsweise oder verbrämte New-Age-Ästhetiken, vordergründig »uncoole« Dinge (z.B. das Wort »cool«). Sieht man genauer hin, handelt es sich zumeist um Artefakte unwichtiger, niedriger Schichten, die in direktem Kontrast zum eigenen, ziemlich narzisstischen Weltbild stehen. Durch diese Aneignung erfährt man eine Art gebrochener Authentizität, eine arrogantes Downgrading seiner selbst. Man kann es sich ja schließlich leisten, »so rumzulaufen« oder ironisch RTL2 zu schauen, weil man es ja eigentlich besser wüsste. Gleichzeitig ist es eine Sehnsucht nach dem wahren, rauen Leben, für das doch auch irgendwie Platz sein sollte im durchgeplanten, kreativen Lebensentwurf. Arbeiterbezirke werden bewohnt, Gentrifizierung passiert. Nachzulesen ist das in Dayna Tortoricis Essay »Man erkennt sie, wenn man sie sieht« und in Jens-Christian Rabes »Gegenwärtigkeit als Phantasma. Über den Hass auf den Hipster«. Beide greifen in diesen zentralen Texten des Buches ein außen auf und definieren den Hipster als »den Anderen«. Die zweite Definition Mark Greifs spürt den kulturellen Aspekten des Hipstertums nach.
Stichwort: Kultur
Bestes Beispiel hierfür dürften die Filme von Wes Anderson sein. »Formal haben wir es mit einer Radikalisierung und Ästhetisierung jener Technik der Pastiches zu tun, die Frederic Jameson in den frühen 80er Jahren als den prototypischen Erzählmodus der Postmoderne bezeichnete«, schreibt Greif. Jedoch, und das ist zentral, wird ganz unironisch und ohne Sarkasmus mit Retro-Phänomenen umgegangen. Eine Sehnsucht nach der Kindheit ist zu spüren, keine kritische Auseinandersetzung mit vergangenen Positionen.
Ähnlich sieht es in der Popmusik aus, hier ist ganz klar eine Sehnsucht auf die Musik der Kindheit zu spüren, als alles noch easy war. »Hauntologie« ist hier das wichtige Wort. Der Begriff wurde von Jaques Derrida Anfang der 90er eingeführt und bezeichnet auf Pop umgemünzt eine Musik, die von den Geistern ihrer Vergangenheit so durchdrungen ist, das keine weitere Entwicklung mehr möglich ist. Das Ende der Geschichte, wie es auch Simon Reynolds in seinem Buch »Retromania« beschreibt. Doch ganz so einfach ist es nicht, die Vorsilbe Hipster lässt sich heute an so ziemlich jedes Genre anfügen, in dem Entwicklung jenseits der grundlegenden Codes passiert, in dem musikalisch wie auch ideologisch die eingetretenen Pfade verlassen werden. Hipster Black Metal beispielsweise (siehe The Gap 122). Norwegischer Black Metal, einst in dunklen Kellern entstanden als letztmögliches Rebellion gegen eine zu funktionale Gesellschaft, wird zum Fashion-Statement.
Stichwort: Aneignung
Wenn sich die New Yorker Band Liturgy mit Black Metal auf akademischen Höhen auseinandersetzt und gleich ein Manifest mit dem Titel »Transcendental Black Metal« mitliefert, das wunderbar schwurbelig eine neue Richtung im Black Metal ausruft und sich nicht vor esoterischen Kategorieren scheut, dann sollte klar sein, dass »hipster« als Vorsilbe weit mehr ist als Fensterglas-Brille und Dosenbier. Patrice Evans widmet sich in seinem Text »Hip-Hop und Hipsterismus. Anmerkungen zu einer Philosophie des Uns und der Anderen« dem Phänomen Hipster-Rap, einem Genre, das spätestens im Jahr 2011 mehrheitsfähig geworden ist. Durch Acts wie Tyler und seiner Wolf Gang, Shabazz Palaces und ihrer esoterischen Jenseitigkeit oder Death Grips und ihren schizophrenen Codierungen wurde das, was mit Andre 3000, The Cool Kids und nicht zu vergessen Lil’B vorexerziert wurde, zum Mainstream-Phänomen. In einer dritten Definition zeichnet Mark Greif den Hipster als modernen Schnösel, als Konsumations-Distinktionsmaschine, die sich selbst inzwischen obsolet gemacht hat.
Stichwort: Snobs
Der Hipster ist vor allem cooler Konsument: das richtige Essen, der richtige Club und die Suche nach »Distinktion und Exklusivität innerhalb des Massenkommerzes«. Damit hat sich diese Bewegung auch schon wieder selbst erledigt. In Zeiten, in denen eben diese Individualisierung zum Massenphänomen geworden ist, in denen die ständige Suche nach Neuem und Unbekannten durch das Internet praktisch unmöglich geworden ist – eine simple Google-Suche genügt zumeist, um bei so ziemlich jedem hippen Circle-Jerk die noch unbekanntere Band zu finden – »brauchen« wir den Hipster ganz einfach nicht mehr.
Cooles Wissen ist nicht mehr oberste Kategorie, ironischerweise wird Obskurität inzwischen zur langweiligen Hausaufgabe. Was soll jetzt noch kommen? Die Zukunft ist endlich ein weites, leeres Feld geworden, die wir entweder brav streberhaft weiter mit unserem lexikalischen Wissen auskacheln und brav in Instagram-Ästhetik dokumentieren oder aber wir wagen den Schritt aus dieser Schleife heraus und widmen uns wichtigeren Dingen und lassen den inzwischen sprichwörtlichen Hipster zurück und versuchen mutig genug zu sein, wie Jens-Christian Rabe so schön schreibt, »einen eigenen Gedanken zur Gegenwart zu fassen, der vielleicht falsch sein könnte.«
Das Buch »Hipster – eine transatlantische Diskussion« ist im englischen Original bereits 2010 im Verlag des n+1 Magazine, das bisweilen als zentrale Hipster-Publikation beschrieben wird, erschienen. Die deutsche Ausgabe bei Suhrkamp wurde um aktuelle Texte von Tobias Rapp, Jens-Christian Rabe und Thomas Meinecke erweitert.