Der Kultursommer Wien wird dieses Jahr wieder stattfinden. Nach teilweiser Kritik im letzten Jahr wurde das Angebot ausgebaut und neu gedacht. Pünktlich zur Programmpräsentation beantwortete uns die Kuratorin der Club-Schiene, Nadine Cobbina aka Die Zuckerlkettenfrau, die brennendsten Fragen.
Neu beim diesjährigen Kultursommer sind die sogenannte Clubbühne und eine verstärkte Schiene experimenteller Elektronik. Was darf das Publikum erwarten?
Nadine Cobbina: Es hat mich richtig viel Schlaf gekostet, die Acts aus den vielen Bewerbungen des Genres zu buchen, weil ich viel zu vielen eine Absage erteilen muss, obwohl sie künstlerisch interessant, aufregend oder passend zum Genre gewesen wären. Deshalb hab’ ich versucht, mich auf mein Bauchgefühl zu verlassen und Leuten eine Bühne zu bieten, die etwas in mir erzeugen. Ich bin es gewohnt, dass experimentelle und elektronische Musik mich neugierig auf mehr macht, mich in sphärische Welten mitnehmen und in mir einen Lavaausbruch hervorrufen will. Acts, die das erfüllt haben, sind fix dabei. Das Programm wird jedenfalls dynamisch und divers, von Elektro-Pop-Bands, über Synth-Modular-Live-Sets, bis hin zu präparierten Trompeten und Streichern oder elektronischen Beats, die von Käsehobeln oder Kürbissen erzeugt werden, ist alles dabei. Frech, laut und edgy mag ich besonders gern. Wien darf sich jedenfalls freuen, einen Einblick zu bekommen, wie facettenreich und tief das Universum elektronischer Mukke ist. Frisch und innovativ war mir wichtig, das gewisse Extra sollen sie haben. Hoffentlich bereichert die Auswahl das Publikum, ich bin ein bissi nervös, ob ich den Erwartungen gerecht werde.
Die Clubbühne ist ein zusätzliches, gesondertes Projekt, das mehr ein Partyfeeling als ein Minikonzert liefern soll. Hier habe ich versucht die zwölf »wichtigsten« Genres einzugliedern. Ich möchte so vielen Communitys wie möglich die Chance auf eine Party bieten. Die Location wäre dafür perfekt, die Verordnungen ohne Planungssicherheit machen es schwierig zu entschieden, was sich da genau ausgeht. Besides ist es auch einfach zu wenig Platz, um die Repräsentation der Szene so zu gestalten, wie es die Utopie wollte. So muss z. B. auf das Genre Psy-Trance verzichtet werden, was ich auch sehr schade finde. Aber ich hab in dem Bereich auch einfach zu wenig Ahnung von diesen Communitys. Und irgendwo muss gekürzt werden, somit ist das Programm wohl eine Mischung aus meinem persönlichen Geschmack und meiner Einschätzung von gelungenen Partyreihen und künstlerischen Programmen aufgrund meiner Tätigkeit als Clubkulturkolumnistin und Musikjournalistin.
Wie viele Bühnen und Acts bietet der Wiener Kultursommer heuer gesamt?
Insgesamt gibt der Kultursommer 1.000 Acts die Möglichkeit, bei einer der insgesamt 40 in der ganzen Stadt verteilten Locations aufzutreten. Es gibt Bühnen für Besucher*innen und Bühnen für die Bewohner*innen der Pensionist*innenwohnhäuser Häuser zum Leben.
Worauf wird bei der diesjährigen Durchführung besonders Wert gelegt?
Das diverse künstlerische Board bemüht sich um spannende Acts und die Vermittlung an die unterschiedlichen Wiener*innen. Randgruppen zu erreichen und Inklusion zu erfüllen, ist ein großes Thema. Viele Sichtweisen und Interessen finden Platz, umgesetzt kann oft nicht alles werden. The struggle of idealism and reality.
Eine Kritik am Wiener Kultursommer aus dem Vorjahr war, dass bestehende Locations wie Clubs nicht eingebunden wurden und dass die Stadt Wien so in Konkurrenz mit der örtlichen (Nacht-)Gastro und der freien Szene trat. Was ist heuer anders?
Nach meinem Austausch mit Interessengemeinschaften, der Vienna Club Commission und in Fokusgruppen hat sich recht schnell gezeigt, dass der logistische Aufwand für eine einmalige Bespielung der Clubbühne durch Einzelne recht wenig Begeisterung findet. Da hat sich ja von 2020 auf heuer mit der Clubkulturförderung etwas geändert. Es wurde auch verkündet, dass gerade an neuen Unterstützungen gearbeitet wird.
Mir war es wichtig, unterschiedlichen Akteur*innen der Szene Raum und Unterstützung zu bieten. Somit werden jetzt Kollektive für ein Hosting eingeladen, interessierte Clubs übernehmen die Gastro und auch das Soundsystem wird aus der Szene gebucht.
Mit bestehenden Locations wurde frühzeitig kommuniziert. Ich versteh den Konkurrenz-Gedanken irgendwo, jedoch gibt’s den immer. Meine Ansicht ist, dass Menschen auf Programm und Unterhaltung brennen und auch die Kunstschaffenden ein Recht auf ihre Darstellung haben. Als Kuratorin meines Genres weiß ich auch nicht über alles Bescheid, aber ich hoffe, dass der Mehrwert dieses Gastspielfestivals gesehen und unterstützt wird und im Miteinander ein toller Sommer für alle entsteht. Die einen fühlen sich von einem Cocktail am Wasser angesprochen, die anderen von rauen Tönen in St. Marx und wieder andere liegen im Strandbad. Mehr Angebot bereichert eine Stadt, deshalb habe ich mich auch dazu entschlossen, Teil davon zu sein und so gut wie möglich auf verschiedene Bedürfnisse einzugehen und die Interessen beidseitig zu vermitteln. Hoffentlich ist das somit heuer ein Upgrade, grantig wird immer jemand sein. Es wäre allerdings nur fair, dass die Verantwortung wieder von Locations übernommen werden darf, ein Programm für Menschen zu gestalten. PCR-Tests, Contact Tracing und Präventionskonzepte sollten ja ein Cluster echt verhindern können. Mehr Raum und Orte verhindert auch eine Massenbildung, wie wir es bei Demonstrationen gesehen haben. Somit: öffnen, nicht schließen und das Angebot für Menschen erhöhen. Draußen werden sie so oder so sein.
Hast du in deiner Kuration beziehungsweise bei den Bewerbungen für den Kultursommer eine Veränderung der Szene erlebt? Gab es Kollektive, die du buchen wolltest, die aber nicht mehr aktiv sind?
Das nicht, und ich habe ja keinen Vergleich. Also eine Kuration in diesem Ausmaß ist für mich generell ein neues Spielbrett. Es war schön zu sehen, wie viele Clubreihen und Kollektive oder DJs, Produzent*innen und Bands, die ich in den letzten Jahren kennenlernen durfte, sich wohl wegen meine Kuration getraut haben, sich zu bewerben. Deshalb ist es umso trauriger, dass ich nicht alle auswählen kann. Mit einigen habe ich gesprochen, die das alles trotzdem nicht mitbekommen oder verschlafen haben, aber so ist das halt. Bei manchen gab es neue Formationen oder Konzepte und Stücke, die extra dafür ausgedacht wurden. Das find ich megaspannend und es macht mich stolz zu sehen, wie die Szene innovativ und motiviert bleibt.
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