Gender Gap: Der perfekte Beach Body

Für diesen Sommer nehme ich mir etwas vor: nämlich meinen Blick auf andere Körper zu hinterfragen.

© Michael Exner

Zugegeben: Mein Verhältnis zu Ärzt*innen ist kompliziert. Ich vermeide es leidenschaftlich, mich mit meiner eigenen Sterblichkeit zu beschäftigen. Seit einigen Jahren gehe ich aber regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung. Meistens habe ich einen Eisenmangel, oft fehlt es mir an Vitamin D und immer bin ich 169 Zentimeter groß. Bis auf heuer, als das Maßband auf einmal 172 Zentimeter anzeigte. Das macht also ein Pandemiejahr voller (ja, eh auch) Homeyoga und (aber hauptsächlich) Psychotherapie mit mir. Dass ich mich in meiner Haut wohler fühle als früher, hat wohl auch meine Haltung verbessert. Erhobenen Hauptes stolzierte ich aus der Ordination und wunderte mich, warum das mit dem Wohlfühlen eigentlich so fucking schwierig ist.

Na ja, da wäre etwa die Sache, dass Arztbesuche nicht immer so eine angenehme Erfahrung sind. Für meine Klassenkollegin in der AHS-Unterstufe zum Beispiel, deren Nachname im Alphabet vor meinem kam, und die übergewichtig war. Als sie unserem Schularzt anvertraute, dass sie sich manchmal absichtlich übergab, klärte sie dieser nicht, wie es hilfreich gewesen wäre, über Essstörungen auf, sondern ermutigte sie, genau so weiterzumachen. Sie sei ja eh dick und solle ruhig ein bisschen speiben. Dass ihr Gewicht eine medizinische Ursache hatte, erfuhr sie erst später.

Vier Bananen sind ein Schnitzel

Mein einziger eigener Kotzversuch scheiterte daran, dass mich mehr vor dem Finger im Hals ekelte als vor der ganzen Packung Chips im Magen. Ich sah ein, dass ich nicht das Zeug zur Bulimikerin hatte und widmete mich stattdessen dem Kalorienzählen. Mehr als so und so viele Kilo­kalorien pro Tag sollten es nicht sein, beschloss ich, führte in einem Excel-Sheet Buch darüber und verweigerte von da an Bananen, da sie mit 140 kcal pro Stück die Mogelpackungen unter den Obstsorten waren. Vier Bananen sind ein Schnitzel. Wie bin ich auf solche Ideen gekommen?

Es hat sicher nicht geholfen, dass meine Mutter mir die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper vorlebte. Man kann es ihr nicht verübeln. Sie war mit dem Magersuchtslook der 90er-Jahre-Supermodels konfrontiert gewesen. Ich hingegen konnte schon zu Jennifer Lopez aufschauen, die im Alleingang das vorherrschende Schönheitsideal umkrempelte. Plötzlich war mein von Mama geerbter Hintern voll in Mode. Immer wenn MTV Destiny’s Child spielte, war auch mein Hintern »too bootylicous for you, babe«. Leider währte die Freude über mein trendy Gesäß nicht lange, denn bald erkannte ich, dass Mama mir auch ihre Bindegewebsstruktur mitgegeben hatte. Wenn ich von MTV zu »RTL Exclusiv« zappte oder ein Frauenmagazin aufschlug, lernte ich, dass Orangenhaut peinlich war und um jeden Preis bekämpft und versteckt werden musste. Von da an sah man mich im Freibad und in Lignano nur noch mit Pareos und anderen »kaschierenden« Kleidungsstücken, weil einmal das Sonnenlicht schräg eingefallen war und mir im Kinderzimmerspiegel eine vermeintliche Hügellandschaft auf meinen Oberschenkeln offenbart hatte.

Erfundene Probleme

Der springende Punkt ist, dass mir die Neigung meiner Haut zu Cellulite nie im Leben als Mangel aufgefallen wäre, wenn nicht die Werbetreibenden und Massenmedien dieser Welt den weiblichen Körper als einzige Baustelle definiert hätten. Erst die vermeintlichen Lösungen für das erfundene Problem, die Konzerne und Medienhäuser anbieten, verstärken das Gefühl, dass da überhaupt eines ist. Das gilt unabhängig davon, für welches Problem gerade eine neue Zielgruppe erfunden wurde.

Als vor einigen Jahren Modeplattformen wie Asos damit aufhörten, ihren Models die Dehnungsstreifen wegzuphotoshoppen, wurde das von den sogenannten Frauenzeitschriften abgefeiert. Insta-Influencerinnen inszenierten ihre eigenen Dehnungsstreifen und paarten sie mit »empowernden« Botschaften und der Aufforderung, den eigenen Körper so zu lieben, wie er ist. Pressure, much? Jedenfalls, was ist natürlich passiert? Klar, auch an meinem Körper entdeckte ich diese Dehnungsstreifen, von deren Existenz ich bis dato nichts gewusst hatte, geschweige denn, dass sie einen Mangel darstellen, den es paradoxerweise zu feiern gilt.

So, und jetzt ist es natürlich gut und eine absolut wichtige Verbesserung zu den Magermodels, mit denen sich meine Mutter vergleichen musste, wenn Asos und Konsorten Plus-Size-Models engagieren, um die Fast Fashion an die Menschheit zu bringen. Aber wenn deren Fett an genau den richtigen Stellen (Busen, Hintern) für eine ästhetisch ansprechende Sanduhrfigur sitzt, sie makellose Gesichter ohne Doppelkinn haben und tolle Frisuren und reine Haut, dann sind wir wahrlich noch immer sehr weit von der Mitte der Gesellschaft entfernt.

Die eigene Knochenhülle tolerieren

Den ganzen unendlichen Dauerlockdown lang waren viele von uns ein verpixeltes Gesicht in einem Screen. Jetzt ist Impfsommer. Und auch wenn wir noch nicht wieder last minute an die schönsten, most instaworthy Traumstrände jetten like it’s 2019: Unsere Körperlichkeit rückt zurück in den Fokus. Sollen wir uns also alle embracen und in Szene setzen? Na ja, ich will eigentlich gar nicht meinen Körper feiern müssen und ihm diese ganze Aufmerksamkeit geben. Es ist schon Arbeit genug, in unserem turbokapitalistischen, oberflächlichen Medienumfeld die eigene Knochenhülle zu tolerieren. Darum bin ich ganz behutsam zu mir selbst und verlange mir auch nicht mehr als das ab.

Für diesen Sommer nehme ich mir etwas anderes vor: nämlich meinen Blick auf andere Körper zu hinterfragen. Wenn ich im Freibad Dellen, Rollen oder Haare (zu viele, zu wenige, an den falschen Stellen) sehe, dann werde ich innehalten und mir anschauen, welche internalisierten, antrainierten Gedanken dazu aufkommen. Werde ich mich automatisch mit diesen Körpern vergleichen? Werde ich sie bewerten? Und nach welchen Maßstäben? Wer hat mir diese Maßstäbe antrainiert und wieso glaube ich, dass sie universell sind? Ich kann nämlich nicht beeinflussen, ob mein eigenes Aussehen von anderen taxiert, eingeordnet und verurteilt wird. Aber ich kann bei meinem eigenen Verhalten anfangen und andere ganz einfach existieren lassen, wie sie sind.

Astrid Exner ist per Mail unter exner@thegap.at sowie auf Twitter unter @astridexner zu erreichen.

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