Wie reagiert man im Ausnahmezustand? – Kálmán Nagy im Interview zu »Olyan Dolgok – Things Like«

Ein Kind erzählt, dass sich sein Vater an ihm vergangen hat. Wie soll man mit so einem Verdacht umgehen? Stellt man den Ehemann zur Rede? Ruft man die Polizei? Wem schenkt man Glauben? Filmakademie-Wien-Student Kálmán Nagy zeigt im sehenswerten Kurzspielfilm »Olyan Dolgok – Things Like«, wie eine Familienwelt zu zittern beginnt. Der Film ist neu in der Cinema Next Series kostenfrei zu streamen. Wir haben Kálmán Nagy zum Interview gebeten.

© Sebastian Kubelka

»Olyan Dolgok – Things Like« ist die nächste Veröffentlichung in der Cinema Next Series, die regelmäßig auf der Streaming­plattform Kino VOD Club kostenlos spannende Filme von heimischen Filmtalenten präsentiert.

Cinema Next: In deinen eigenen Worten: Worum geht es in »Olyan Dolgok – Things Like«?

Kálmán Nagy: Es geht um eine Frau, die den Verdacht hat, dass ihr Ehemann ihr Kind sexuell miss­braucht hat. Sie sucht Zuflucht bei ihren besten Freund*innen. Doch es fällt ihnen schwer, dem Ehemann, der auch ihr guter Freund ist, eine solch furchtbare Tat zuzutrauen. Éva entscheidet sich schließlich, mitten in der Nacht ihren Mann mit ihrem Verdacht zu konfrontieren. Der Film schildert eine Krisensituation, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint und in der man nicht weiß, was zu tun ist.

In einem deiner früheren Filme beschäftigst du dich mit einer Fehl­geburt, hier mit Missbrauch. Alles sehr schwere Themen. Was interessiert dich daran?

Ich würde nicht behaupten, dass ich gezielt schwere Themen für mich aussuche. Welche Art von Film ich mache, hängt immer davon ab, was mich zum Zeitpunkt der Entstehung des Films am meisten beschäftigt. Ich interessiere mich vor allem für Situationen, in denen wir keine bewährten Verhaltens- oder Konflikt­modelle haben. Was die beiden Filme jedoch gemeinsam haben, ist, dass sie ein Tabuthema behandeln. Das Leben ist voll von schwierigen Themen, über die wir uns leicht und problem­los verständigen können, aber es gibt auch Themen oder Bereiche, über die wir ungern oder gar nicht sprechen können/wollen. Weder auf individueller noch auf gesell­schaftlicher Ebene. Ich fühle mich zu diesen Themen hingezogen.

Filmstill © Sebastian Kubelka

In »Olyan Dolgok – Things Like« versetzt ein Missbrauchs­vorwurf alle in Ohnmacht, aber auch alles in Bewegung, und alles droht, aus den Fugen zu geraten. Wie hast du diese »Dynamik« entwickelt, geschrieben? Was war dir bei der Figuren­zeichnung wichtig?

Das Wichtigste beim Schreiben des Films war es, einen narrativen Rahmen zu finden, in dem ich in so kurzer Zeit über dieses große Thema sprechen kann. Bei der Entwicklung der Geschichte hat sich das Format des Kammer­spiels am besten dafür geeignet, die Dynamik zwischen den Figuren in den Mittel­punkt zu stellen. Mich hat interessiert, wie man sich in einer solchen Situation verhält und reagiert. Wie überwindet Éva ihre Hemmungen und erzählt ihren Freund*innen von diesem unangenehmen Verdacht gegen ihren Ehemann? Wie reagieren ihre Freundinnen und Freunde darauf? Und wie reagiert der Ehemann auf eine solch schwerwiegende Anschuldigung? Es war wichtig, eine Geschichte zu konstruieren, in der die Informationen, die dem Publikum zur Verfügung stehen, im Laufe der Geschichte immer wider­sprüchlicher und komplexer werden, um das Interesse des Zuschauers aufrecht­zuerhalten und sein Urteils­vermögen heraus­zufordern. Darüber hinaus war es mir wichtig, bei den Zusehenden Empathie für die Situation der einzelnen Figuren zu wecken.

Der Film ist, wie du ja oben sagst, wie ein Kammerspiel angelegt – mit einem bemerkens­werten Schau­spieler*innen-Ensemble. Wie hast du mit deinen Darsteller*innen gearbeitet?

Als ich den Film schrieb, wusste ich, dass ich mit Jeanne Lipták drehen wollte, die im Film die Mutter spielt. Sie ist eine enge Freundin von mir. Das tiefe Vertrauen zwischen uns war eine große Hilfe bei der gemein­samen Arbeit an diesem sensiblen Thema. Ich habe vor den Dreh­arbeiten viel mit ihr geprobt. Vor allem ihren langen Monolog am Anfang des Films, in dem wir die verschiedenen wichtigen Schwer­punkte und Bögen des Textes durch­gesprochen haben. Jeanne war auch beim Casting der anderen Schaus­pieler*innen anwesend, um zu sehen, wer am besten zu ihr passt. Die Frau, die im Film die Freundin spielt (Móni Bense), ist keine Schau­spielerin, sondern eine gute Freundin von Jeanne. Ich habe mich für sie entschieden, weil sich beim Casting heraus­gestellt hat, dass die Nähe zwischen ihnen echt und nicht gespielt ist.

Jeanne Lipták spielt die Mutter Éva, die nicht mehr weiterweiß. (Filmstill © Sebastian Kubelka)

Wenn man bei deinem Film von einer »Lieblings­szene« sprechen kann: Welche wäre das für dich?

Ich habe eher Lieblings­momente in diesem Film. Momente, in denen ich spüre, dass das, was passiert, sehr real ist. Einer dieser Momente ist der, in dem Éva ihren Freunden vier Minuten lang ununter­brochen erzählt, warum sie glaubt, dass ihr Mann ihr kleines Mädchen sexuell miss­braucht hat, und dann zu weinen beginnt. Und in diesem Moment wissen ihre Freunde nicht, was sie sagen sollen. Sie können Éva nicht in die Augen schauen, sie schweigen nur, und schauen einander kurz an. Eine unan­genehme Stille. Sie haben keine Worte des Trostes. Auch wenn der Film nur aus Dialogen besteht, erzählt mir diese Stille mehr als jeder Text. In diesen wenigen Sekunden lässt mich der Film empfinden, wie ohn­mächtig wir in solchen Situationen eigentlich sind.

Wie ist es eigentlich, unter/bei Altmeister Michael Haneke zu studieren?

Äußerst lehrreich, anspruchsvoll und fordernd.

Kálmán Nagy (geb. 1992 in Herend, einer kleinen Stadt in Ungarn) lebt seit 2012 in Wien. Er begann 2016 sein Studium an der Film­akademie Wien und schloss dieses 2021 in der Regie­klasse bei Michael Haneke ab. (Foto © Alisa Frischholz) 

Eine Interview-Reihe in Kooperation mit Cinema Next – Junges Kino aus Österreich.

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