Spätestens seit dem vermehrten Aufkommen rechter Aufmärsche Mitte der 2010er-Jahre ist es für Fotograf*innen von Straßenprotesten bedeutend ungemütlicher geworden. Nicht nur durch teils undurchsichtige Situationen, wie sie bei Menschenansammlungen und Polizeiaufgeboten eben zustande kommen. Sondern vor allem durch gewaltbereite Protestteilnehmer*innen, die die Medien als Feindbild innerhalb eines groß angelegten Verschwörungskonstrukts betrachten. In Zeiten der Corona-Pandemie hat die Aggression gegen Fotograf*innen auf der Straße ein neues Level erreicht, Schutz und Unterstützung für Medienpersonal ist jedoch immer noch kaum gegeben.
Wo die Parole »Lügenpresse!« auf einer Demonstration zum Standardrepertoire gehört, sind meist Hardliner der extremen Rechten nicht weit, die die medienfeindliche Stimmung für Angriffe auf Fotograf*innen und Journalist*innen nutzen. Denn die Dokumentation der Aktivitäten, des Klientels und der Ausdruckssprache durch Fotojournalist*innen liefert eine Grundlage für die Einschätzung der rechten Szene. Im Zuge der sogenannten Anti-Corona-Demos haben sich die Versuche, diese Arbeit gezielt zu verunmöglichen, noch weiter zugespitzt.
Gefährliche Arbeit
Die Fotografin mit dem Alias Antifa-Prinzessin hat diese Erfahrung schon öfters machen müssen und teilt die Dokumentation der Konfrontationen auch öffentlich via Twitter. Seit den ersten Mobilisierungen der neofaschistischen Identitären in Wien 2016 hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, sowohl Liveberichterstattung rechter Aufmärsche zu liefern als auch qualitativ hochwertige Bilder bereitstellen zu können: »Neben der Möglichkeit, die Aktivitäten der rechten Szene mit Hilfe von Fotos fundiert zu analysieren, geht es auch darum, der extremen Rechten nicht das Feld zu überlassen, wenn es um Bildsprache und Ästhetik ihres Auftretens geht.«
Die Fotos stehen für Journalist*innen zur Verfügung, um zu verhindern, dass die selbstgemachten Bilder der Rechten abgedruckt und reproduziert werden. Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass etablierte Medien immer Fotograf*innen zur Stelle haben, denn: »Bei der Welle an Protesten von rechts in den letzten Jahren kann es sich keine Redaktion leisten, laufend Personal auf all diese Demos zu schicken – und oft ist es auch einfach zu gefährlich. Diese Lücke versuchen wir Medienaktivist*innen zu füllen«, erklärt die Fotografin.
Die angesprochene Gefahr meint das Risiko, nicht nur verbal, sondern auch physisch von Demonstrationsteilnehmenden attackiert zu werden. Bei Versammlungen von Corona-Leugner*innen und Maßnahmengegner*innen ist dies quasi vorprogrammiert. Die Aggression gegenüber Fotograf*innen und Medien generell ist seit Pandemiebeginn deutlich gestiegen. Ein Umstand, mit dem die Antifa-Prinzessin umzugehen lernen musste: »Ich kannte es von Identitären oder Pegida schon, beschimpft oder geschubst zu werden, aber bei den Demos von Corona-Leuger*innen, die ich eben auch dokumentiere, weil die extreme Rechte sich dort einfindet, hat die physische Bedrohung ein neues Level erreicht. Und da die Polizei leider auch meist nur zusieht und nicht einschreitet, müssen wir Fotograf*innen uns selbst um unseren Schutz kümmern.«
Um bei der Dokumentationsarbeit möglichst unversehrt zu bleiben, wird zu Schutzausrüstung gegriffen, es werden Teams gebildet und Begleitung organisiert. Vor allem ist es wichtig, dass genügend Kameras unterwegs und zur Hand sind, um gegebenenfalls Übergriffe festhalten zu können. »Im Kontext von Corona-bezogenen Demonstrationen gibt es bereits einige Verfahren wegen Körperverletzung, aber viel ist da noch nicht rausgekommen, selbst wenn Fotos und Videos zum Fall existieren. Der Ermittlungsdruck, wenn es um Angriffe auf die Presse geht, scheint hier noch nicht groß genug zu sein und parallel dazu verhält sich die Polizei vor Ort eben auch wenig unterstützend«, berichtet die Fotografin.
Polizeisprecher Mohamed Ibrahim entgegnet, dass Beamt*innen besonders bei Großeinsätzen hervorragende Arbeit leisteten und Bedrohungen aller Art dementsprechend geahndet würden. Mit den Erfahrungen der Journalist*innen konfrontiert, erklärt er: »Wichtig ist, dass sich jedermann an die geltenden Gesetze hält und anderen Menschen respektvoll entgegentritt. Eine adäquate Distanz zu hitzigen Situationen bietet zusätzlichen Schutz. Sollte eine Journalistin oder ein Journalist Opfer einer Straftat werden, sind selbstverständlich die Beamten vor Ort immer Ansprechpartner.«
Nach vermehrten Berichten von Übergriffen und Beschwerden wurde von polizeilicher Seite im Frühling 2021 mit den sogenannten Medienkontaktbeamt*innen reagiert. Diese sind während Versammlungen, die eine größere Gefahrenlage vermuten lassen, per Telefon erreichbar und sollen Anlaufstelle für Pressepersonal sein, das Angriffen ausgesetzt ist: »Die Funktion der so genannten Medienkontaktbeamten (MKB) ist, Journalistinnen und Journalisten bei größeren Demonstrationen in sicherheitspolizeilicher Sicht zu unterstützen«, erklärt der Polizeisprecher.
Exekutive hinkt hinterher
Diese laut Polizei als Serviceleistung für Journalist*innen zu verstehende Polizeimitarbeiter*innen könnten ein Hinweis auf wachsendes Bewusstsein seitens der Exekutive für den Schutz von Journalist*innen sein. Allerdings bietet die Anlaufstelle wenig Akuthilfe, wenn sich der Vorfall nicht zufällig vor den Augen der Beamt*innen abspielt. Übrige Beamt*innen, die zwar präsent aber nicht als Medienkontakt beauftragt sind, verweisen auf die Telefonnummer und fühlten sich nicht zuständig, so Betroffene.
Wenn es dann um die Aufarbeitung von Fällen im Nachhinein geht, ist polizeiintern das Referat für besondere Ermittlungen zuständig. Der Berufsfotograf Kurt Prinz ist seit Jahrzehnten auf der Straße unterwegs und lichtet Proteste ab. Im Zuge dessen hat er auch schon öfters mit diesem Referat zu tun gehabt, das verantwortlich ist, wenn gegen Polizeipersonal ermittelt wird. Nachdem Medien von polizeilichen Übergriffen ihm gegenüber berichtet haben, hat sich die Stelle bei dem Fotografen gemeldet. Daraufhin verbrachte er viele Stunden im Büro des Referats, um Fälle mittels Bildmaterial zu klären.
Das Ergebnis war ernüchternd, schildert Prinz: »Ich hatte vor Ort das Gefühl, dass es Bemühungen gibt etwas zu unternehmen, und dementsprechend viel Zeit investiert, um meine Erfahrungen genau zu schildern. Aber am Ende fehlen der Polizei – wie so oft – die technischen Möglichkeiten, um Vorfälle aufzuklären. Ohne Kennzeichnung der Beamten ist es nahezu unmöglich Einzelne zur Verantwortung zu ziehen. Schlussendlich wurden von meinen Protokollen größtenteils die entlastenden Kommentare herangezogen.«
Das Problem liege darin, dass es keine unabhängige Stelle gibt, die gezielt als Anlaufpunkt für Betroffene von Polizeigewalt dient, sondern nur jenes interne Referat, dessen Objektivität strukturell erschwert wird. Selbst wenn es um Aufklärung bemüht ist, verhindert oft die fehlende Kennzeichnungspflicht die Strafverfolgung. Diese Umstände seien Ausdruck des immer noch fehlenden Problembewusstseins bei Polizei und Innenministerium.
Fundamentale Dokumentation
Prinz hat genau dies in den verschiedenen Aufarbeitungsprozessen beobachtet: »Eine Garantie, dass Konsequenzen folgen, gibt es trotz Fotos und Videos nicht. Beispielsweise kam es im Wiener Votivpark am 1. Mai 2021 zu wirklich unschönen Szenen und Übergriffen durch die Polizei und es wurde alles dokumentiert. Neben vielen anderen Materialien boten auch meine Fotos die Grundlage für eine parlamentarische Anfrage von Nurten Yilmaz mit insgesamt 80 Fragen zu dem Einsatz.« Die Beantwortungen des Ministeriums auf solche Anfragen fielen aber meist wenig aussagekräftig aus und in letzter Konsequenz werde nichts unternommen, um zukünftiges Fehlverhalten zu verhindern. Prinz fasst zusammen: »Es zeigt sich keinerlei Schuldbewusstsein bei den Behörden und der Politik. Nicht einmal Problembewusstsein ist vorhanden. Da wird einfach oft so getan, als wäre alles in Ordnung und als gäbe es schlicht nie übergriffiges Verhalten von Polizeiangestellten.«
Wenn klar wird, wozu Fotos dienen können, wird auch nachvollziehbar, warum Fotograf*innen oft zur Zielscheibe gemacht werden. Das Feindbild Fotograf*in hat in der extremen Rechten schon länger bestanden, jedoch ergab sich mit den großen Mobilisierungen im Kontext von Corona ein neues Spielfeld für gewaltbereite Hardliner. Wenn über weite Strecken keine Polizei auf einer Demo zu sehen ist und die meisten Teilnehmer*innen des Protests die medienfeindliche Gesinnung teilen, wird es für Journalist*innen riskanter, ihren Job zu machen.
Nichtsdestotrotz ist es fundamental, rechtsextreme Demos zu dokumentieren und dies auch in ein systematisches sowie professionelles Setting zu bringen. Genau dieser Aufgabe hat sich das 2018 gegründete Netzwerk Presseservice Wien angenommen. Mit der Zeit hat sich das Spektrum der dokumentierten Straßenproteste auch auf soziale Bewegungen ausgeweitet. In sozialen Medien und auf seiner Website werden Fotos verschiedenster Fotograf*innen gesammelt, mit Reportagetexten kombiniert. Wer Fotos verwenden mag, kann sich derer unter der Creative-Commons-Lizenz bedienen.
Seit der Gründung hat sich das Netzwerk auf mehreren Ebenen sehr bewährt. Es sei aber auch sehr aufwendig, wie ein Sprecher des Presseservice beschreibt: »Fotos zu machen, aufzuarbeiten und zu verbreiten ist viel Arbeit. Den Aufrufen, uns Fotos zukommen zu lassen, sind viele gefolgt und mittlerweile haben wir ein gutes Netzwerk an Fotograf*innen und Journalist*innen. Es war wirklich eine Nische in Österreich, die schnell gut funktioniert hat.« Viele Redaktionen greifen bereits auf die Bilder des Presseservice zurück und somit erfüllt sich ein wichtiger Teil der Mission, denn es gehe auch hier darum, professionelle Fotos bereitzustellen, die nicht von den Rechten selbst kommen. Die Möglichkeit, die eigenen Fotos im Namen des Netzwerks zu veröffentlichen, bietet außerdem Anonymität und Selbstschutz. Faktoren, die in Zeiten der Pandemie und den damit aufgekommenen Mobilisierungen wieder extrem wichtig geworden sind.
Die weiterhin zahlreich stattfindenden Versammlungen rechtsextremer und reaktionärer Kräfte auf der Straße und die prekäre Lage von Journalist*innen und Fotograf*innen bei der Dokumentation dieser verdeutlichen den hierzulande eingeschränkten Spielraum freier Berichterstattung. Es ist in Österreich kein Normalzustand, dass die Aufzeichnung und strafrechtliche Untersuchung rechtsextremer Aktivitäten möglich gemacht und systematisch behandelt wird. Es sind vor allem ehrenamtliche, selbstorganisierte und aktivistische Initiativen, die für diese grundlegende Arbeit in Wien und Österreich Ressourcen investieren und immer wieder auch ihre Gesundheit aufs Spiel setzen.
Bevor es auch ihnen zu heiß wird, sollte dringend an der Akuthilfe durch Exekutive und Justiz gearbeitet werden, denn trotz Schritten in die richtige Richtung kratzen die bisherigen Maßnahmen nur an der Oberfläche. Von den erforderlichen Rahmenbedingungen auf politischer Ebene ganz zu schweigen, schließlich fallen rechte Ideen und Medienfeindlichkeit nicht vom Himmel. Wer Korruption, Hetze und Abstiegsängste sät, wird Misstrauen, Verschwörungstheorien und Gewaltbereitschaft ernten. Ein teures Spiel auf Kosten eines elementaren Grundpfeilers der Demokratie: der Pressefreiheit.
Die Arbeit der Journalist*innen aus diesem Text lässt sich unter anderem auf Twitter, auf www.kurtprinz.at oder auf www.presse-service.net verfolgen. Die vor Kurzem veröffentlichte Doku »Konformistische Rebellen – Verschwörungsideologie und Antisemitismus während der Corona-Pandemie« ist auf dem Youtube-Channel des Presseservice Wien abrufbar.