Vollkontaktlinsen – Wie Demo-Fotograf*innen ihre Sicher­heit riskieren

Spätestens seit dem vermehrten Aufkommen rechter Aufmärsche Mitte der 2010er-Jahre ist es für Fotograf*innen von Straßen­protesten bedeutend ungemütlicher geworden. Nicht nur durch teils undurch­sichtige Situationen, wie sie bei Menschen­ansammlungen und Polizei­aufgeboten eben zustande kommen. Sondern vor allem durch gewaltbereite Protest­teilnehmer*innen, die die Medien als Feindbild innerhalb eines groß angelegten Verschwörungs­konstrukts betrachten. In Zeiten der Corona-Pandemie hat die Aggression gegen Fotograf*innen auf der Straße ein neues Level erreicht, Schutz und Unterstützung für Medienpersonal ist jedoch immer noch kaum gegeben.

© Presse Service Wien — Bei einer Demo in Wien im März 2021 gegen die Corona-Maßnahmen werden Journalist*innen geschubst, bespuckt, getreten oder geschlagen und ihre Objektive verdeckt.

Wo die Parole »Lügenpresse!« auf einer Demonstration zum Standard­repertoire gehört, sind meist Hardliner der extremen Rechten nicht weit, die die medienfeindliche Stimmung für Angriffe auf Fotograf*innen und Journalist*innen nutzen. Denn die Dokumentation der Aktivitäten, des Klientels und der Ausdrucks­sprache durch Fotojournalist*innen liefert eine Grundlage für die Einschätzung der rechten Szene. Im Zuge der sogenannten Anti-Corona-Demos haben sich die Versuche, diese Arbeit gezielt zu verunmöglichen, noch weiter zugespitzt.

Gefährliche Arbeit

Die Fotografin mit dem Alias Antifa-Prinzessin hat diese Erfahrung schon öfters machen müssen und teilt die Dokumentation der Konfronta­tionen auch öffentlich via Twitter. Seit den ersten Mobilisierungen der neofaschistischen Identitären in Wien 2016 hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, sowohl Live­bericht­erstattung rechter Aufmärsche zu liefern als auch qualitativ hochwertige Bilder bereitstellen zu können: »Neben der Möglichkeit, die Aktivitäten der rechten Szene mit Hilfe von Fotos fundiert zu analysieren, geht es auch darum, der extremen Rechten nicht das Feld zu überlassen, wenn es um Bildsprache und Ästhetik ihres Auf­tretens geht.«

Die Fotos stehen für Journalist*innen zur Verfügung, um zu verhindern, dass die selbst­gemachten Bilder der Rechten abgedruckt und repro­duziert werden. Es ist nämlich nicht selbst­verständlich, dass etablierte Medien immer Fotograf*innen zur Stelle haben, denn: »Bei der Welle an Protesten von rechts in den letzten Jahren kann es sich keine Redaktion leisten, laufend Personal auf all diese Demos zu schicken – und oft ist es auch einfach zu gefährlich. Diese Lücke versuchen wir Medien­aktivist*innen zu füllen«, erklärt die Fotografin.

Die angesprochene Gefahr meint das Risiko, nicht nur verbal, sondern auch physisch von Demonstrations­teil­nehmenden attackiert zu werden. Bei Versamm­lungen von Corona-Leugner*innen und Maßnahmen­gegner*innen ist dies quasi vorprogrammiert. Die Aggression gegenüber Fotograf*innen und Medien generell ist seit Pandemie­beginn deutlich gestiegen. Ein Umstand, mit dem die Antifa-Prinzessin umzugehen lernen musste: »Ich kannte es von Identitären oder Pegida schon, beschimpft oder geschubst zu werden, aber bei den Demos von Corona-Leuger*innen, die ich eben auch dokumentiere, weil die extreme Rechte sich dort einfindet, hat die physische Bedrohung ein neues Level erreicht. Und da die Polizei leider auch meist nur zusieht und nicht einschreitet, müssen wir Fotograf*innen uns selbst um unseren Schutz kümmern.«

Um bei der Dokumentations­arbeit möglichst unversehrt zu bleiben, wird zu Schutz­ausrüstung gegriffen, es werden Teams gebildet und Begleitung organisiert. Vor allem ist es wichtig, dass genügend Kameras unterwegs und zur Hand sind, um gegebenen­falls Über­griffe festhalten zu können. »Im Kontext von Corona-bezogenen Demonstrationen gibt es bereits einige Verfahren wegen Körper­verletzung, aber viel ist da noch nicht raus­ge­kommen, selbst wenn Fotos und Videos zum Fall existieren. Der Ermittlungs­druck, wenn es um Angriffe auf die Presse geht, scheint hier noch nicht groß genug zu sein und parallel dazu verhält sich die Polizei vor Ort eben auch wenig unterstützend«, berichtet die Fotografin.

Demo in Eisenstadt – der Klassiker: Objektive werden verdeckt und Demo-Teilnehmende wahren keine Distanz. (Foto: Presse Service Wien)

Polizeisprecher Mohamed Ibrahim entgegnet, dass Beamt*innen besonders bei Groß­einsätzen hervor­ragende Arbeit leisteten und Bedrohungen aller Art dement­sprechend geahndet würden. Mit den Erfahrungen der Journalist*innen konfrontiert, erklärt er: »Wichtig ist, dass sich jeder­mann an die geltenden Gesetze hält und anderen Menschen respekt­voll entgegen­tritt. Eine adäquate Distanz zu hitzigen Situationen bietet zusätz­lichen Schutz. Sollte eine Journalistin oder ein Journalist Opfer einer Straftat werden, sind selbst­verständlich die Beamten vor Ort immer Ansprech­partner.«

Nach vermehrten Berichten von Übergriffen und Beschwerden wurde von polizeilicher Seite im Frühling 2021 mit den sogenannten Medien­kontakt­beamt*innen reagiert. Diese sind während Versammlungen, die eine größere Gefahren­lage vermuten lassen, per Telefon erreichbar und sollen Anlauf­stelle für Presse­personal sein, das Angriffen ausgesetzt ist: »Die Funktion der so genannten Medien­kontakt­beamten (MKB) ist, Journalistinnen und Journalisten bei größeren Demonstrationen in sicherheits­polizeilicher Sicht zu unter­stützen«, erklärt der Polizeisprecher.

Exekutive hinkt hinterher

Diese laut Polizei als Service­leistung für Journalist*innen zu verstehende Polizei­mitarbeiter*innen könnten ein Hinweis auf wachsendes Bewusst­sein seitens der Exekutive für den Schutz von Journalist*innen sein. Allerdings bietet die Anlauf­stelle wenig Akuthilfe, wenn sich der Vorfall nicht zufällig vor den Augen der Beamt*innen abspielt. Übrige Beamt*innen, die zwar präsent aber nicht als Medien­kontakt beauftragt sind, verweisen auf die Telefon­nummer und fühlten sich nicht zuständig, so Betroffene.

Wenn es dann um die Aufarbeitung von Fällen im Nach­hinein geht, ist polizei­intern das Referat für besondere Ermittlungen zuständig. Der Berufs­fotograf Kurt Prinz ist seit Jahr­zehnten auf der Straße unterwegs und lichtet Proteste ab. Im Zuge dessen hat er auch schon öfters mit diesem Referat zu tun gehabt, das verant­wortlich ist, wenn gegen Polizei­personal ermittelt wird. Nachdem Medien von polizeilichen Übergriffen ihm gegenüber berichtet haben, hat sich die Stelle bei dem Fotografen gemeldet. Daraufhin verbrachte er viele Stunden im Büro des Referats, um Fälle mittels Bild­material zu klären.

Gewaltbereite Rechtsextreme auf der Straße sind nicht selten präsent und dabei oft auf Krawall gebürstet. So gesehen in Wien im April 2021. (Foto: Presse Service Wien)

Das Ergebnis war ernüchternd, schildert Prinz: »Ich hatte vor Ort das Gefühl, dass es Bemühungen gibt etwas zu unter­nehmen, und dement­sprechend viel Zeit investiert, um meine Erfahrungen genau zu schildern. Aber am Ende fehlen der Polizei – wie so oft – die technischen Möglich­keiten, um Vorfälle aufzuklären. Ohne Kenn­zeichnung der Beamten ist es nahezu unmöglich Einzelne zur Verant­wortung zu ziehen. Schluss­endlich wurden von meinen Protokollen größten­teils die entlastenden Kommentare herangezogen.«

Das Problem liege darin, dass es keine unabhängige Stelle gibt, die gezielt als Anlauf­punkt für Betroffene von Polizei­gewalt dient, sondern nur jenes interne Referat, dessen Objektivität strukturell erschwert wird. Selbst wenn es um Aufklärung bemüht ist, verhindert oft die fehlende Kenn­zeichnungs­pflicht die Straf­verfolgung. Diese Umstände seien Ausdruck des immer noch fehlenden Problem­bewusstseins bei Polizei und Innen­ministerium.

Fundamentale Dokumentation

Prinz hat genau dies in den verschiedenen Aufarbeitungs­prozessen beobachtet: »Eine Garantie, dass Konsequenzen folgen, gibt es trotz Fotos und Videos nicht. Beispiels­weise kam es im Wiener Votiv­park am 1. Mai 2021 zu wirklich unschönen Szenen und Übergriffen durch die Polizei und es wurde alles dokumentiert. Neben vielen anderen Materialien boten auch meine Fotos die Grundlage für eine parlamentarische Anfrage von Nurten Yilmaz mit insgesamt 80 Fragen zu dem Einsatz.« Die Beantwortungen des Ministeriums auf solche Anfragen fielen aber meist wenig aussage­kräftig aus und in letzter Konsequenz werde nichts unternommen, um zukünftiges Fehl­verhalten zu verhindern. Prinz fasst zusammen: »Es zeigt sich keinerlei Schuld­bewusstsein bei den Behörden und der Politik. Nicht einmal Problem­bewusstsein ist vorhanden. Da wird einfach oft so getan, als wäre alles in Ordnung und als gäbe es schlicht nie über­griffiges Verhalten von Polizei­angestellten.«

Wenn klar wird, wozu Fotos dienen können, wird auch nach­voll­ziehbar, warum Fotograf*innen oft zur Ziel­scheibe gemacht werden. Das Feindbild Fotograf*in hat in der extremen Rechten schon länger bestanden, jedoch ergab sich mit den großen Mobilisierungen im Kontext von Corona ein neues Spielfeld für gewalt­bereite Hardliner. Wenn über weite Strecken keine Polizei auf einer Demo zu sehen ist und die meisten Teil­nehmer*innen des Protests die medien­feindliche Gesinnung teilen, wird es für Journalist*innen riskanter, ihren Job zu machen.

Nichtsdestotrotz ist es fundamental, rechts­extreme Demos zu dokumentieren und dies auch in ein systematisches sowie professionelles Setting zu bringen. Genau dieser Aufgabe hat sich das 2018 gegründete Netzwerk Presse­service Wien angenommen. Mit der Zeit hat sich das Spektrum der dokumentierten Straßen­proteste auch auf soziale Bewegungen ausgeweitet. In sozialen Medien und auf seiner Website werden Fotos verschiedenster Fotograf*innen gesammelt, mit Reportage­texten kombiniert. Wer Fotos verwenden mag, kann sich derer unter der Creative-Commons-Lizenz bedienen.

Mitten im Geschehen: Störaktion von Antifaschist*innen direkt in einer Anti-Corona-Kundgebung im Oktober 2021. (Foto: Antifa-Prinzessin)

Seit der Gründung hat sich das Netzwerk auf mehreren Ebenen sehr bewährt. Es sei aber auch sehr aufwendig, wie ein Sprecher des Presseservice beschreibt: »Fotos zu machen, aufzuarbeiten und zu verbreiten ist viel Arbeit. Den Aufrufen, uns Fotos zukommen zu lassen, sind viele gefolgt und mittlerweile haben wir ein gutes Netzwerk an Fotograf*innen und Journalist*innen. Es war wirklich eine Nische in Österreich, die schnell gut funktioniert hat.« Viele Redaktionen greifen bereits auf die Bilder des Presseservice zurück und somit erfüllt sich ein wichtiger Teil der Mission, denn es gehe auch hier darum, professionelle Fotos bereitzustellen, die nicht von den Rechten selbst kommen. Die Möglichkeit, die eigenen Fotos im Namen des Netzwerks zu veröffentlichen, bietet außerdem Anonymität und Selbstschutz. Faktoren, die in Zeiten der Pandemie und den damit aufgekommenen Mobili­sierungen wieder extrem wichtig geworden sind.

Die weiterhin zahlreich stattfindenden Versammlungen rechts­extremer und reaktionärer Kräfte auf der Straße und die prekäre Lage von Journalist*innen und Fotograf*innen bei der Dokumentation dieser verdeutlichen den hierzulande eingeschränkten Spielraum freier Bericht­erstattung. Es ist in Österreich kein Normal­zustand, dass die Aufzeichnung und straf­rechtliche Unter­suchung rechts­extremer Aktivitäten möglich gemacht und systematisch behandelt wird. Es sind vor allem ehren­amtliche, selbst­organisierte und aktivistische Initiativen, die für diese grund­legende Arbeit in Wien und Österreich Ressourcen investieren und immer wieder auch ihre Gesundheit aufs Spiel setzen.

Bevor es auch ihnen zu heiß wird, sollte dringend an der Akuthilfe durch Exekutive und Justiz gearbeitet werden, denn trotz Schritten in die richtige Richtung kratzen die bisherigen Maß­nahmen nur an der Ober­fläche. Von den erforder­lichen Rahmen­bedingungen auf politischer Ebene ganz zu schweigen, schließlich fallen rechte Ideen und Medien­feind­lichkeit nicht vom Himmel. Wer Korruption, Hetze und Abstiegs­ängste sät, wird Misstrauen, Verschwörungs­theorien und Gewalt­bereitschaft ernten. Ein teures Spiel auf Kosten eines elementaren Grundpfeilers der Demokratie: der Presse­freiheit.

Die Arbeit der Journalist*innen aus diesem Text lässt sich unter anderem auf Twitter, auf www.kurtprinz.at oder auf www.presse-service.net verfolgen. Die vor Kurzem veröffentlichte Doku »Konformistische Rebellen – Verschwörungsideologie und Antisemitismus während der Corona-Pandemie« ist auf dem Youtube-Channel des Presseservice Wien abrufbar.

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