Wie gefährlich sind K.-o.-Tropfen? Eher sehr.

Gift in Getränken hat eine lange Geschichte. Von mythologischen Giftbechern über mittelalterliche Giftringe bis hin zum filmischen Topos von Gift im Tee reicht die Spanne. Was in solchen Erzählungen nicht immer realistisch ist, wird in Form von K.-o.-Tropfen zur aktuellen Realität. K.-o.-Mittel sind heimlich verabreichtes Gift. Welche Konsequenzen sie haben können – persönlich wie gesellschaftlich –, beleuchten wir hier.

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Wenn von K.-o.-Tropfen die Rede ist, kann das vieles bedeuten, denn der Begriff ist eigentlich eine Sammelbezeichnung. Der Rechtsmediziner Burkhard Madea hat gemeinsam mit dem Toxikologen Frank Mußhof 134 Substanzen ausgemacht, die als K.-o.-Mittel missbraucht werden. Bei der Zahl wird klar, dass es weniger um eine konkrete Substanz geht, sondern um die Straftat, nicht-konsensual Getränke mit Substanzen zu versetzen, die das Bewusstsein beeinträchtigen. Ziel ist es, dass Betroffene sich nicht wehren können und womöglich ihre Erinnerung verlieren. Die Betroffenen finden sich oft als Opfer von Vergewaltigung oder Raub wieder. Prominente Vertreter unter den Wirkstoffen sind Gammahydroxybuttersäure (GHB, »Liquid Ecstasy«), Gammabutyrolacton (GBL) und Rohypnol. Unter den 134 Substanzen gibt es allerdings eine Vielzahl an Wirkmechanismen, Symptomen und – mitunter lebensbedrohenden – Nebenwirkungen (siehe FAQ am Ende dieses Artikels).

Wenn aus Spaß Ernst wird

Nicht nur die Substanzen unterscheiden sich, auch die Geschichten der Betroffenen. Anna und Lukas (Namen von der Redaktion geändert) sind beide Betroffene von K.-o.-Tropfen. Lukas ist 16 Jahre alt. Im Jänner war er gemeinsam mit zwei Freund*innen bei einer Hausparty eingeladen. Die Eltern waren ausgeflogen, man durfte Leute mitbringen. Bisher habe das immer funktioniert, aber diesmal sei es aus dem Ruder gelaufen. »Es waren einfach viel zu viele Leute da«, erzählt Lukas.

Irgendwann meinte eine Freundin zu ihm: »Kost’ mal, nicht dass da K.-o.-Tropfen drin sind.« Er kostete. Es habe zwar nicht gut geschmeckt, aber er habe dennoch nicht geahnt, dass K.-o.-Tropfen im Getränk waren. Die beiden mussten sich übergeben. »Es hat sich für mich angefühlt, als würde alles zusammenbrechen«, erzählt er. Später habe er ein Blackout gehabt. Dabei dachte er zuerst, er habe einfach zu viel getrunken. Glücklicherweise kamen die zwei ohne weitere Komplikationen nach Hause. »Aber ich find’s arg, dass es mir so schlecht ging, obwohl ich nur einen Schluck genommen hatte«, so Lukas.

Bei Anna ist es zwar schon sechs Jahre her, sie erinnert sich aber noch gut: »Ich war mit meinem damaligen Partner in einem Wiener Club tanzen und wir haben uns ein Bier geteilt. Da war dann ein älterer Typ, der mich angestiegen ist. Wir haben uns nichts weiter gedacht und halt geschaut, dass der Typ weggeht.« Eine Stunde später habe sich Anna komisch gefühlt: »Ich konnte mich gar nicht mehr richtig artikulieren, als ich von Freund*innen angesprochen wurde.«

Sie legte sich dann kurz im Außenbereich des Clubs hin, ihr war schwindelig und sie musste sich übergeben. Auffällig sei auch ihre Desorientierung gewesen: »Als unser Taxi nach Hause an der Haustür hielt, lief ich zuerst in die falsche Richtung.« Weil Anna und ihr Ex-Partner ihr Getränk geteilt hatten, teilten sie auch ihre Erfahrungen. Auch ihm wurde nachher schwindelig und auch er musste sich – trotz geringem Alkoholkonsums – übergeben.

Schlimmeres ist zum Glück nicht passiert. Vermutlich auch, weil die beiden nicht alleine waren. Im Nachhinein ärgert sich Anna trotzdem darüber, dass sie den Vorfall nicht gemeldet hat: »Ich hätte eigentlich zur Polizei und ins Spital gehen und dem Club Bescheid geben müssen, aber in dem Moment dachte ich nur: ›Wenn nichts Schlimmes passiert ist, was soll da verfolgt werden?‹« Doch: Beim heimlichen Verabreichen von K.-o.-Mitteln handelt es sich grundsätzlich um eine Straftat, auch wenn es in weniger schlimmen Fällen »nur« zu Übelkeit und Orientierungsverlust kommen sollte.

Hohe Dunkelziffer

Anna ist mit ihrem Zögern nicht alleine. Betroffene verstehen häufig erst zu spät, was ihnen widerfahren ist, oder haben nur noch unklare Erinnerungen. Das Bundeskriminalamt mutmaßt, dass sich viele Betroffene schämen oder die Ereignisse auf zu viel Alkohol oder Suchtmittel zurückführen. Im Jahr 2022 wurden laut seiner Statistik 115 Personen Opfer von Straftaten mit Betäubungsmitteln. Die Zahlen sind leicht steigend, die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein.

Wolfgang Bicker vom Forensisch-Toxikologischem Labor ist mit toxikologischen Tests vertraut. »Wir bekommen derzeit jährlich etwa 200 Proben von Krankenhäusern zur Abklärung – oft einfach, um bei einem bewusstlosen Patienten auszuschließen, dass es K.-o.-Tropfen sind. Und auch Fälle von Staatsanwaltschaften«, so Bicker. Viele Tests seien negativ oder wiesen nur Alkohol aus, was allerdings am Zeitpunkt der Probennahme liegen könne. Bicker: »Rasche Probennahme ist prinzipiell das Wichtigste.« Dennoch mache es mitunter auch nach zwei Tagen noch Sinn, Tests durchzuführen. GHB sei zwar dann nicht mehr nachweisbar, aber genügend andere Substanzen. Zur Dunkelziffer meint er: »Viele Fälle kommen nicht zur Analyse und bei denen, die zur Analyse kommen, ist fraglich, wie viele zur Anzeige gebracht werden. Aber ich kann die Betroffenen natürlich schon verstehen. Sie sehen in ihren Ergebnissen neben Cannabis noch Schlafmittel, was sie sich nicht erklären können. Zur Polizei wollen sie dann aber wegen des Cannabiskonsums nicht gehen.«

Orte, an denen K.-o.-Tropfen immer wieder für Probleme sorgen, sind Clubs. Der Vienna Club Commission (VCC) sei das Problem bewusst, so Martina Brunner, deren inhaltliche Leiterin. Eine der Aufgaben der VCC, sieht sie darin, das Clubleben sicherer zu machen, damit sich Menschen unabhängig von Gender, sexueller Orientierung und Background in den Clubs wohlfühlen. »Aktuell können wir nicht abschätzen, wie viele Fälle von K.-o.-Tropfen es in Wiener Clubs gibt. In einer aktuellen Umfrage wollen wir das aber – mitsamt anderer Diskriminierungserfahrungen – abklären«, so Brunner. »Ziel ist es, einen respektvollen und wertschätzenden Umgang im Club zu etablieren. Bevor etwas passiert.« Hierbei spiele Awareness-Arbeit vor und während Events eine bedeutende Rolle.

Viele Clubs kennen mittlerweile keine Grauzone mehr bei verdächtigen Substanzen. »Wenn ich jemanden mit Liquid Ecstasy erwische, bekommt er lebenslanges Hausverbot«, erklärt Sebastian Schatz vom Wiener Club Sass. »Die Leute können das Zeug nicht dosieren, die Wirkung ist teuflisch und manche benutzen es, um andere zu vergewaltigen.« Auch Geschichten von Männern, die zu Vergewaltigungsopfern wurden, seien ihm bekannt. Die letzten Jahre habe er keine Fälle mehr in seinem Club miterlebt, wobei das Sass da glimpflich davongekommen sei, wie er meint.

Null-Toleranz bei K.-o.-Tropfen

Um Aufklärung bemüht sich auch der 24-Stunden-Frauennotruf der Stadt Wien: Letzten Herbst wurde eine Kampagne zum Thema K.-o.-Tropfen gestartet. »Seitdem haben sich 25 Personen nach konkretem Verdacht gemeldet. Rund die Hälfte wurde auch Opfer sexueller Gewalt, der Rest konnte dank Support von Freund*innen oder Zeug*innen sicher nach Hause oder ins Spital kommen«, wie Heidemarie Kargl, Leiterin des Notrufs, auf Anfrage erklärt. Mit ihrer Kampagne hofft die Stadt Wien, unter anderem die Dunkelziffer zu verringern.

Die Wichtigkeit von Aufklärungskampagnen betont auch Ursula Kussyk vom Verein Frauenberatung Notruf bei sexueller Gewalt. Ein Problem sieht sie aber darin, dass sich Prävention immer noch primär an (potenziell) Betroffene und weniger an (potenzielle) Täter richte. »Da wird schon wieder die Verantwortung Frauen übergestülpt. Es kann nicht sein, dass sich die Hälfte der Bevölkerung beim Ausgehen und Feiern einschränken muss«, so Kussyk.

Generell scheinen die möglichen Maßnahmen und Aussichten dürftig. Der Hinweis, auf die eigenen Getränke aufzupassen, klingt wie »Hände waschen gegen Corona« – eine Verschiebung in die wirkungsarme Selbstverantwortlichkeit. Auf den eigenen Geschmackssinn zu vertrauen, ist gerade bei alkoholhaltigen und geschmacksintensiven Getränken schwer möglich. Armbänder gegen K.-o.-Tropfen sind teuer und Kritiker*innen argumentieren, diese würden nur unter Laborbedingungen funktionieren. Es braucht wohl mehr Support füreinander, mehr gegenseitige Achtsamkeit. Bei Verdacht auf K.-o.-Tropfen muss jedenfalls eingegriffen werden. Security, Barpersonal oder Awareness-Team müssen involviert werden, bevor Schlimmeres passiert. Betroffene sollten auf ihren Körper vertrauen, wenn sie ein mulmiges Gefühl haben; im Zweifelsfall nach Hause gehen oder das nächste Spital aufsuchen.

Kaum Lösungen

Gleichfalls braucht es mehr Problembewusstsein. K.-o.-Mittel zu verwenden, muss als die potenziell lebensbedrohende Straftat verstanden werden, die es ist. Gerade auch von potenziellen Täter*innen. Staatsanwaltschaften müssen hier aktiver werden und es braucht eine bessere Finanzierung, damit Fälle von Vergewaltigung adequat weiterverfolgt und häufiger Haaranalysen angefordert werden. Diese können auch nach Wochen noch Ergebnisse zeigen, sind aber eben teurer. Fest steht: Jede Anwendung von K.-o.-Tropfen ist eine Körperverletzung mit düsteren Motiven, kein Kavaliersdelikt. Schließlich zielen die Täter*innen meist auf sexuelle Gewalt oder Raub ab und nehmen dabei den möglichen Tod der Betroffenen in Kauf. Was die Täter*innen dazu treibt, wird sich freilich auch vom besten Awareness-Team nicht innerhalb der Clubtüren auflösen lassen.

Die Frauenberatung Notruf bei sexueller Gewalt hilft auch klientinnenorientiert, wenn sich Betroffene unsicher sind, ob sie eine Anzeige machen sollen, und bietet Prozessbegleitung an. Aktuell organisiert die VCC eine Umfrage zum Thema »Sicherheit im Wiener Nacht­leben«. Weitere Details unter viennaclub­commission.at/feiernsafe.

Notrufnummern:
24-Stunden-Frauennotruf: 01 / 71 71 9
Frauenberatung Notruf bei sexueller Gewalt: 01 / 523 22 22
Männernotruf: 0800 / 246 247

Weiter zu: FAQ K.-o.-Tropfen

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