Reise nach Jerusalem – Wie Studierende mit steigenden Wohnkosten umgehen

Der eigene Wohnraum kann Rückzugsort, Platz für Kochsessions und Partys sein, verzichten kann auf ihn jedenfalls niemand. Mit den Mieterhöhungen hat die Wohnungsfrage neue Aufmerksamkeit bekommen. Aber wie sieht die Situation für Studierende aus?

© Alexander Galler — Annika, Leni, Paula und Valerie, in ihrem Wohnzimmer, bevor dieses Lenis neuem Zimmer weichen muss.

Eigentlich eine schöne Wohngegend. Fünfter Wiener Gemeindebezirk, in der Nähe des Einsiedlerparks. Letzten Sommer übte hier die Initiative Zwangsräumungen verhindern während eines Parkfests Kritik an der politischen Realität des »Roten Wien«. Heute sind wir hier, um Isabell zu besuchen. Isabell ist 25, studiert Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Uni Wien. An den Wänden ihrer Wohnung hängen Falco-Plakate.

Wie bei vielen anderen lag zu Beginn des Jahres eine Mieterhöhung in ihrem Briefkasten. Für sie bedeutet dieser Brief nun den Auszug aus dieser Wohnung. Innerhalb von zweieinhalb Jahren wurde die Miete von 630 Euro auf 780 Euro erhöht – fast um ein Viertel. Zu Isabells Glück übernehmen bis zum Sommer ihre Eltern noch die Kosten. »Klar muss ich mir überlegen, wie ich mir die Wohnung nun selbst finanziere – das ist einfach schwierig bei dem Preis. Ich arbeite zwar geringfügig und demnächst in Teilzeit, aber selbst so sind fast 850 Euro für Miete, Strom und Gas heftig.«

Dabei waren für sie nicht nur die steigenden Kosten maßgeblich für ihre Entscheidung: »Eine Wohnung sollte ein Rückzugsort sein, an dem ich runterkommen kann und auch Ruhe vor anderen Menschen habe. Hier ist das nicht möglich. Gefühlt wird jeden Monat eine andere Wohnung renoviert. Ich wohne jetzt seit zweieinhalb Jahren hier und fast durchgehend war etwas los.« Dafür hat sie zwar zwischenzeitlich zwei Monate eine Mietminderung erhalten, doch das mache das Kraut auch nicht fett.

Isabells Miete hat sich um ein Viertel erhöht – trotz ständiger Bauarbeiten. (Foto: Alexander Galler)

Ein paar Straßen weiter, ebenfalls im fünften Bezirk, besuchen wir eine Wohngemeinschaft im Dachgeschoß eines renovierten Altbaus. Annika, 21, Publizistikstudentin an der Uni Wien, gibt uns eine kurze Führung: ein kleines Zimmer für jede, Wohnzimmer, zwei Bäder, Dachterrasse. Wenn man die Wohnung betritt, könnte man meinen, diese WG hat sich den Traum vom schönen Wohnen verwirklicht, wären da nicht die hohen Kosten. »Wir haben die Wohnung im Sommer 2020 bezogen und zahlen mittlerweile 150 Euro mehr als beim Einzug – allein für die Kaltmiete«, berichtet Annika. Anfangs hatte die WG noch einen guten Tarif für den Strom, doch ihr Anbieter ist pleite gegangen, der neue verlangt nun das Doppelte, was die Kosten für jede Bewohnerin nochmals erhöht. Aber sie haben eine Überbrückungsmöglichkeit gefunden: Es wird eine Wand eingebaut. Das Wohnzimmer schwindet, eine weitere Person zieht ein.

Lieber Wand statt Makler*in

»Die Miete ist ziemlich hoch, aber wir wollen die Wohnung behalten. Unsere Freundin Leni will nach Wien ziehen und da hat es sich so ergeben«, erzählt Annika. Eine Mitbewohnerin korrigiert: »Wir hatten vorher schon geplant zusammenzuziehen und nach einer neuen Wohnung gesucht. Als es hieß, dass die Makler*innenprovision doch noch nicht fällt, haben wir uns für die Wand entschieden. Wir wollen nicht noch einmal fett Provision zahlen.«

Im März 2022 hatte Justizministerin Alma Zadić voreilig verkündet, dass ab 2023 das Besteller*innenprinzip gelten solle: Wer Makler*innen beauftragt, muss sie auch bezahlen. Letztendlich wurde der Begutachtungsentwurf erst im Dezember 2022 zur Regierungsvorlage, die mit Juli 2023 in Kraft treten dürfte. Sofern nichts dazwischenkommt.

Mit Makler*innen hat auch Isabell schon schlechte Erfahrungen gemacht: »Neulich musste ich mir für eine Besichtigung sogar selbst den Schlüssel gegen Pfand abholen. Und für diesen – nicht vorhandenen –Service soll ich Provision zahlen?!« Aus Deutschland kennt sie bereits, dass zahlt, wer den Auftrag erteilt. So wie es zukünftig auch in Österreich der Fall sein soll.

Ganz andere Sorgen hat Lena, 21 Jahre alt, Studentin der Medieninformatik an der TU Wien. Sie lebt bei ihren Eltern in Tulln und pendelt viermal die Woche zur Uni. Hin- und Rückfahrt zusammen kommen auf drei Stunden täglich: »Eigentlich möchte ich schon lange nach Wien ziehen, aber es geht sich finanziell nicht aus.« Im April wird sie ihren Job aufgeben müssen, da ihr schlicht die Zeit fehlt. »Da trau ich mich nicht auszuziehen, gerade wenn ich nicht weiß, was Strom und Gas künftig ausmachen werden«, beklagt sie. Für sie heißt Studium vor allem Lernen, Lernen, Lernen. »Ich stehe in der Regel um 7 Uhr auf, fange um 8 Uhr an zu lernen und bin dann bis um 22 Uhr dabei; also mit Pausen für einen Spaziergang oder etwas zum Essen dazwischen«, erläutert Lena. Bei so einem vollen Tag bleibt zwar auch weniger Zeit, um Geld auszugeben. Mit dem Bild des unbeschwerten Studierendenlebens hat das aber kaum etwas zu tun.

»Es geht sich einfach nicht aus«

Welchen Einfluss die Mieterhöhungen auf das Leben von Studierenden hat, ist die Frage, die sich durch unsere Hausbesuche zieht. Wohnkosten waren schließlich schon bei der letzten Studierendensozialerhebung 2019 vor Pandemie und Ukrainekrieg der größte Kostenfaktor für Studierende. Darüber hinaus sind die Wohnkosten laut IHS Preismonitor mit 29 Prozent bei Weitem der größte Inflationstreiber für Studierende, gefolgt von Freizeitausgaben mit 16 Prozent und Lebensmitteln mit 13 Prozent (Stand: 21. Jänner 2023). Mieterhöhungen haben damit direkteren Einfluss auf das Leben der Studierenden als andere Faktoren.

Philipp, 20, Student der medizinischen Informatik, merkt auch, dass die Essenspreise steigen: »Allein schon, wenn ich mir ein Dürum hole: Ich zahle mittlerweile 8 Euro statt 6,50 Euro«, berichtet er. Philipp wohnt zusammen mit Benjamin, 21, in einer Doppeleinheit eines Wohnheims. Jeder hat einen abgetrennten kleinen Raum mit Bett, Schreibtisch, Kleiderkasten und Balkon; die Kochnische teilen sich die beiden. Für größere Kochsessions gibt es in Gemeinschaftsräumen noch Kochfelder und Backrohre. Alles wirkt modern und hochwertig. Keine Spur mehr vom alten Pfeilheim, wie es viele noch von Partys kennen, die sich durch Stockwerke und Jahrzehnte zogen. »Sicher ist es nicht mehr so eine Gemeinschaft wie im alten Pfeilheim, weil man mittlerweile alles im Zimmer hat und jeder neu eingezogen ist«, kommentiert Benjamin.

Philipp und Benjamin teilen sich eine kleine Kochnische. (Foto: Alexander Galler)

Aber generell sind die zwei Burgenländer sichtlich zufrieden in ihrer Unterkunft. »Es wird geputzt, du musst dich um nichts kümmern. Der einzige Nachteil ist der geringe Platz, aber daran kann man sich gewöhnen«, meint Philipp. Extras wie Fitnessraum, Sauna und ein eigener Club haben ihn in Kombination mit dem Preis überzeugt. Für Benjamin war die Gemeinschaft ein ausschlaggebender Punkt: »Ich wollte nicht einfach allein in eine Wohnung ziehen, sondern Leute kennenlernen.«

Von Mieterhöhungen blieben die beiden aber trotzdem nicht verschont: Ihre Miete wurde Anfang des Jahres von 430 Euro auf 469 Euro erhöht, was aber verkraftbar sei, so Philipp. Seine Miete übernehmen die Großeltern. Er könne dennoch nicht groß Geld ausgeben, mit seinem Budget liegt er im Durchschnitt seiner Altersgruppe.

Gemeinnützige im Dilemma

Nicht nur für Philipp und Benjamin wurden die Preise erhöht. Eine Umfrage bei den heimischen Wohnheimbetreiber*innen ergab, dass praktisch alle die Wohnkosten anpassen mussten. Dabei zeigte bereits die Studierendensozialerhebung 2019 in einem Vergleich der Haushaltsformen bei den Studierendenheimen mit 48 Prozent den größten Preisanstieg über einen Zeitraum von zehn Jahren (gefolgt von Partner*innenhaushalten mit 45 Prozent, Singlehaushalten mit 35 Prozent und WGs mit 27 Prozent). Die Studienautor*innen führen das auf den großen Boom von »for profit«-Anbieter*innen zurück. Mit ihrem Angebot richten sich Letztere nicht nur an Studierende, sondern auch an »Young Professionals« und können damit teurer und luxuriöser sein, wie etwa das Triiiple mit Preisen von bis zu 1.800 Euro. Auch wenn dort 60 Prozent der Bewohner*innen Studierende seien und zumeist Appartments einfacher Kategorien im Preisbereich um 700 Euro bewohnten, wie der Anbieter erklärt.

Hinzu kommt, dass sich gemeinnützige Betreiber*innen angesichts der unerwarteten Kostensteigerungen im Dilemma sehen: »Wir bemühen uns als gemeinnütziger Wohnheimbetreiber, die Kosten für alle Bewohner*innen so niedrig wie möglich zu halten, um Studierenden leistbaren Wohnraum bieten zu können«, sagt Diethard Hochhauser von Stuwo, die in sechs Bundesländern 21 Heime betreiben. Gleichzeitig heiße Gemeinnützigkeit auch, dass die Anbieter*innen keine Rücklagen haben, mit denen sie die gestiegenen Kosten abfedern könnten, da sie »keinen Gewinn erwirtschaften können und dürfen«, womit also sämtliche Mehrkosten weitergegeben werden müssten, wie Peter Schaller von der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte erklärt. Während es vielerorts Krisenunterstützung gab, gingen die Bewohner*innen und Betreiber*innen von Wohnheimen leer aus; für diese gibt es höchstens bei der Errichtung neuer Heime eine Förderung. Ohne eigenen Stromvertrag ist es für Bewohner*innen überdies schwer, den Energiebonus zu beantragen. Gleichzeitig sind Strom- und Gastarife für Geschäftskund*innen mittlerweile teurer als für Private, selbst wenn ein gemeinnütziges Heim dahintersteht.

An der Nachfrage für die Zimmer ändert das wenig. So schildert Stefan Marchewa vom Diakoniewerk: »Nach einem Einbruch mit Beginn der Pandemie, hat sich die Situation wieder eingependelt.« Bei Home4Students soll es im Herbst sogar eine beachtliche Warteliste gegeben haben. Burak Ünver, von Smartments Österreich, Betreiber des Ari Rath Haus in Wien, ist sich zudem sicher: »Die Nachfrage wird hoch bleiben, denn es gibt auf dem studentischen Wohnungsmarkt weiterhin einen großen strukturellen Mangel an leistbaren Wohnungen.«

Lena pendelt von ihrem Elternhaus in Tulln nach Wien zum Studieren. (Foto: Alexander Galler)

Und wie kommen Studierende nun durch die Krise? Unsere Gesprächspartner*innen berichten, bislang nicht wirklich kürzertreten zu müssen. Annika aus der WG im fünften Bezirk erklärt, dass sie die erhöhten Kosten dank zweier Nebenjobs gut handhaben kann. Da ihr Studium nicht so aufwendig ist, habe sie kein Problem 20 bis 30 Stunden in der Woche zu arbeiten. Ihre Mitbewohnerin Paula bekommt noch finanzielle Unterstützung und »zehrt von Erspartem, solange es geht«. Valerie erklärt: »Es ist balancierbar, aber ich find es eben krass, wenn man die Summe sieht: Das geht allein fürs Wohnen drauf!?«

(Über-)Leben in der Krise

Für wie viele Studierende die derzeitigen Mieterhöhungen ein einschneidendes Problem sind oder ob es sich eher um eine verschmerzbare Übergangszeit handelt, kann auch Martin Unger vom IHS nicht beantworten. Er verweist aber darauf, dass alle Studierenden, die man befragt »Überlebende« seien: Sie kämen mit den Rahmenbedingungen noch zurecht und hätten noch nicht abgebrochen. Zudem sei es für Studierende leichter als für andere armutsgefährdete Gruppen, einen Job zu finden, dessen Stundenausmaß bei steigenden Kosten ausgeweitet werden kann. »Wenn die verfügbare Zeit mehr fürs Arbeiten als fürs Studieren verwendet wird, sprechen wir von Studienarmut statt von finanzieller Armut«, so Unger. Weniger Zeit zum Studieren heißt länger studieren. Und da wären wir wieder beim Mythos der faulen Bummelstudent*in.

Die Alltagsgeschichten von Isabell, Annika, Lena, Philipp und Benjamin sind jedenfalls keine Extrembeispiele. Das Schicksal dieser Studierenden bewegt sich im Bereich der Durchschnittsdaten. Das verdeutlicht die Lage nur. Und sobald zu dieser durchschnittlichen Mehrbelastung noch Hürden durch Marginalisierung hinzukommen, lassen sich die genauen Effekte kaum erahnen. Was bedeutet dies etwa für migrantische, queere oder sozial schwächere Studierende? Langfristig wird dieser Trend – gekoppelt mit der Verschulung des Bildungssystems (Stichwort: Bologna und Mindeststudienleistung) – bestehende Ungleichheiten nur weiter verschärfen. Das hätte nicht nur ideelle, sondern auch demokratiepolitische Bedeutung: Bildung gilt als wichtiger Motor für soziale Mobilität und ermöglicht politische Teilhabe und Partizipation. Garantie dafür bietet sie zwar keine, aber mit der Zuspitzung von Ausschlussmechanismen werden bestehende Trennlinien garantiert verschärft.

Durch die Inflation-Mieten-Spirale sind Millionen Menschen in Österreich von steigenden Mieten betroffen: Sobald die Inflation fünf Prozent übersteigt, sind Vermieter*innen berechtigt, den Mietzins an den Verbraucherpreisindex anzupassen. Studierende, die Probleme mit ungerechtfertigt erscheinenden Mieterhöhungen haben, können sich an die Mietrechtsberatung ihrer lokalen ÖH, die Arbeiter*innenkammer, die Mieterhilfe Wien oder einen Mieter*innenschutzverein wenden. Leider gibt es immer noch keine dauerhaften Lösungen oder Auffangnetze, bei temporärer Notlage kann aber auch ein Sozialfonds von der ÖH weiterhelfen.

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