»Bock hab’ ich oft keinen, aber ich mach’s trotzdem!« – 20 Jahre Rock Is Hell in 20 Vinyl-Releases

Das steirische Label Rock Is Hell feiert 20-jähriges Bestehen. Gründer und One-Man-Show Jochen Summer blickt mit uns beim Hören von 20 seiner Releases auf eine bewegte Zeit zurück. Ein bruchstückhaftes Gespräch über die verflossenen Bassisten der Melvins, einen ungebrochenen DIY-Ethos und einen Haufen alternativer Musikgeschichte.

© Rock Is Hell

Am Anfang – Jochen Summer ist Mitte 20 und der Kalender schreibt 2004 – paarte sich Motivation mit Naivität. Mittlerweile kann der 46-Jährige sein impulsiv aus dem Boden gestampftes Label namens Rock Is Hell, ohne zu erröten, als etabliert bezeichnen. Obwohl er einst bei Katalognummer 100 Schluss machen wollte, zählt das steirische Label bereits 116 Releases von internationaler und lokaler Güte. Dadurch entstand über die Jahre ein extensiver Katalog, der im trauten Heim gar keinen Platz mehr findet, sondern am elterlichen Bauernhof gelagert werden muss. Darin verbunden sind Gesamtkunstwerke, die im Klang ziemlich laut und in der Verpackung recht einzigartig anmuten. Seine Bands und Künstler*innen waren und sind dabei stets das Hauptanliegen, und wenn man einem Menschen unbedingte Prinzipientreue nachsagen kann, dann vermutlich ebenjenem Labelchef, der auch nach 20 Jahren sämtliche absurden Reseller-Angebote jenseits der Vierstelligkeit ohne nachzudenken abwinkt. Mittlerweile ist der Vinylhype vor allem für nischige DIY-Releases einigermaßen rum und über Rock Is Hell schon vieles gesagt. Trotzdem schleppte Jochen Summer sich und 20 besonders erinnerungsträchtige Releases für einen gemeinsamen Rückblick nach Wien.

Jochen Summer (Bild: Rock Is Hell)

RIP01: Bulbul »Rosl«

(2004; zwei Five-Inches, Auflage: 498 Stück)

Bulbul »Rosl«

Während heute ein Klebebandabrollgerät für 666 Euro seinen Dienst beim Zusammenbauen von allerlei Plattenverpackungen leistet, kam bei RIP01 noch ein handelsüblicher Verpackungskarton als primitives Gatefold-Cover zum Einsatz. Zwei CD-Hüllen ins Innere geklebt, Dennis Tyfus’ Design siebgedruckt und fertig! Das Ganze nun nur noch 497-mal wiederholen. Eigentlich war das schon der zweite Release aus Summers Hand. Ein Melvins-Bootleg trug damals die Katalognummer RIH01. Aus Prinzipientreue musste dann natürlich eine neue 01 her, deshalb RIP. Der Linzer Mastering-Engineer AJ (heads will know) fand die Lieder so »grottenschlecht«, dass »Ismirschlecht« anstelle seines Namens abgedruckt wurde.


RIP04: Nate Denver’s Neck »No One Is Coming to Help You«

(2005; Twelve-Inch-LP, Auflage: 267 Stück)

Nate Denver’s Neck »No One Is Coming to Help You«

Nach Katalognummer 02, einer Split von XBXRX und Total Shutdown (RIP), schrieb Nate Denver – Feuerwehrmann in L. A. und Spezialist für musikalische Weirdness bei Total Shutdown – Summer wegen einer geplanten LP an. For fans of: Double-Bassdrums, Lagerfeuergitarre, Dämonen und Geschrei. An dieser Stelle räumt Summer bereits ein: »Die ganz wilden Sachen höre ich nach wie vor, aber lange nicht mehr so oft.« Wer es hier ebenfalls nur schwer aushält, bekommt die Genugtuung auf der B-Seite. Auf der ist nämlich keine Musik zu finden, sondern ein blumiger Siebdruck.


RIP07: The Ohsees »Grave Blockers EP«

(2006/2007, Reissue 2010; Six-Inch-Lathe-Cut plus Three-Inch-CD-R, Auflage: insgesamt
520 Stück)

The Ohsees »Grave Blockers EP«

Der erste Streich mit The Ohsees (auch der erste Release unter diesem Namen) aka OCS aka Thee Oh Sees aka Osees für das steirische DIY-Label. In weiterer Folge werden sämtliche Verlustgeschäfte durch diese Band (und die Melvins, selbstverständlich) quersubventioniert. Außerdem wieder starker Netzwerkeffekt: Nate Denver spielte gemeinsam mit dem hier vertretenen John Dwyer (siehe RIP08) und empfahl das Handwerk von Rock Is Hell. Musikalisch wird es mit der »Grave Blockers EP« zum ersten Mal etwas gemütlicher. Eine notwendige Verschnaufpause.


RIP08: Dig That Body Up, It’s Alive »A Corpse Is Forever«

(2007; Twelve-Inch-LP, Auflage: 333 Stück)

Dig That Body Up, It’s Alive »A Corpse Is Forever«

Hier geht zum ersten Mal das Tor zur Hölle auf. Die Death-Metal-Supergroup bestehend aus John Dwyer (Osees), Nate Denver (Total Shutdown) und Oran Canfield (Child Abuse) spielte dieses Album eigentlich für Tumult Records in L. A. ein, löste sich dann aber auf. Das ursprüngliche Label sprang ab und leitete an – Überraschung! – Summer weiter. Die Legende wurde bei dieser Produktion also gleich mitgepresst. Über ein Remaster wird nachgedacht. Mit John Dwyer besteht seither eine Freundschaft auf Distanz.


RIP14: Verschiedene Interpret*innen »Rock Is Hell Singleclub«

(2008; acht Seven-Inches, Auflage: 333 Stück)

Verschiedene Interpret*innen »Rock Is Hell Singleclub«

»Ich liebe Singles und kaufe sie mir nach wie vor«, meint der Labelhead, »bloß andere Leute halt nicht mehr wirklich.« Die Serie ist inspiriert von US-amerikanischen Mailorder-Singleclubs (quasi ein Abo für Seven-Inch-Releases). Darauf vertreten sind internationale Noiserock-All-Stars: Reflector, Bug, Fugu, Rokko Anal (vor Rokko’s Adventures!) und viele mehr. Die Singles kommen konsument*innenfreundlich als weiße Platten mit weißen Labels und keiner weiteren Beschriftung. Da muss man schon selbst hören!


RIP16: Bulbul »#6 !​$​*«

(2008; Twelve-Inch-LP, Auflage: inkl. Represses ca. 1.000 Stück)

Bulbul »#6 !​$​*«

Wer an Zufall glaubt, wenn dieser Release im Zuge unseres Rückblicks als Sechstes auf dem Plattenteller rotiert, irrt. 1996 von Manfred Engelmayr als Soloprojekt gegründet, spielen Bulbul mittlerweile – um Roland Rathmair und Didi Kern erweitert – als Trio. Seit 2004 landen sie immer wieder auf Rock Is Hell, denn: »Wann immer ich gefragt habe, Bulbul haben immer was zusammengebracht.« Zum Zeitpunkt des Schreibens gibt es auf Bandcamp noch ein Stück der finalen Pressung für schlanke 16 Euro. Better be quick!


RIP28: The Striggles »Disillusion« / Reflector »Sorry«

(2009; Seven-Inch-Split, Auflage: 321 Stück)

The Striggles »Disillusion« / Reflector »Sorry«

Eine ambitioniert geplante Split-Serie, bei der sich verschiedene Bands gegenseitig covern sollten. Das an Schnapskarten angelehnte Design lässt erahnen: 36-mal wollte man das ursprünglich zur Veröffentlichung bringen. Geblieben ist es dann bei diesem einen Mal. Aber hey, es ist ja sonst nicht nichts passiert. Die Platte gab’s damals für – und das muss man sich einmal vorstellen – 4,90 Euro. Zu diesem Zeitpunkt bereits involviert: Interstellar Records aus Graz und Noise Appeal aus Wien, ebenfalls zwei still-standing (DIY-)Labels.


RIP42: Mark Deutrom »The Value of Decay«

(2011; zwei Twelve-Inch-LPs, Auflage: 466 Stück)

Mark Deutrom »The Value of Decay«

Mark Deutrom ist ein verflossener Melvins-Bassist, der irgendwann gegangen wurde. Er schätze ihn für sein Spiel im tiefen Register, so Summer, nach einem Soloalbum habe man aber nichts mehr von ihm gehört. Also? Genau: Anschreiben! Und dabei entstand »eine sehr gute Melvins-Platte«, wie Summer lachend meint. In der vorliegenden Edition – es gibt noch ca. zehn Stück davon – passen alle Songs auf drei Seiten. Die D-Seite zieren gekritzelte Aufzeichnungen des Studio-Gears und -Routings. Die klingen übrigens – don’t try this at home – recht perkussiv.


RIP44: Melvins »Endless Residency 2011«

(2011; acht Twelve-Inch-LPs im Boxset, Auflage: 520 Stück)

Melvins »Endless Residency 2011«

Nach sieben Jahren andauernden Nachfragens landet Summer endlich seinen persönlichen Hit: Die echten Melvins haben Bock, mit Rock Is Hell zu arbeiten. Das Live-Recording-Boxset kommt standesgemäß in einer bedruckten Pizzaschachtel, die LPs sind teilweise nur einseitig gepresst und auf der B-Seite besiebdruckt. Wunderschön für Auge und Ohr – und mittlerweile im Resell mit bis zu 1.000 Euro gehandelt. Für Summer kein Grund, die Platten ungeöffnet zu horten: »Für was kauf’ ich eine Platte? Natürlich, um sie zu hören!«


RIP50: Verschiedene Interpret*innen »It Can’t Get Worse Than This«

(2013; Twelve-Inch-LP, Auflage: 420 Stück)

Verschiedene Interpret*innen »It Can’t Get Worse Than This«

Jubiläumsplatte! Summer übergibt sie mit den Worten: »Viel Spaß!« 50 Nummern befinden sich auf der Clear-Vinyl-Twelve-Inch. Die Vorgaben an die Bands auf der Compilation: Entweder fünf Sekunden, 50 Sekunden oder ein Loop. Fast alle Nummern enden in einer Endlosrille, müssen also händisch geskippt werden, manche Tracks sind Reverse Cuts, die die Nadel von innen nach außen bewegen. Eine genaue Aufzeichnung der Titel gibt es nicht. Ein Albtraum von Produktion bis Konsum. Auf diesem Release ebenfalls vertreten ist Summer selbst unter dem Alias No One.

Auf der nächsten Seite folgt Teil zwei, mit weiteren zehn Releases.

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