17 Jahr’ sind wir alle mal, ob blond oder nicht. Unter anderem Helene Hegemann, Airen, Bret Easton Ellis und Ben Brooks, der gerne der neue Fänger im Roggen wäre, es aber zum Glück nicht ist.
Ok, Helene Hegemann haben wir alle noch im Kopf eingespeichert. Sie war die 17-Jährige, an der sich die Geister schieden. Die alten – meist männlichen – Gralshüter der Literatur warfen ihr anlässlich ihres Romans »Axololtl Roadkill« Datenklau vor, die anderen – meist weiblichen – Verteidigerinnen legten sich für ihren unverkrampften Zugang zum Dauerbrenner adoleszente Verwirrungen der Zöglinge ins Zeug.
Dabei war ihr Zugang so unverkrampft auch wieder nicht; schließlich verkleidete sich die Tochter des Volksbühne-Chefideologen Carl Hegemann in Buch und Interviews als Diskursballerina und redete so, wie der Schnabel von Polleschoiden Theaterinszenierungen im Zerrspiegel der Copy-&-Paste-Tastenkombination gewachsen war. Autorenschaft gibt es dann natürlich auch im Hegemann-Ich nicht mehr, sondern nur mehr Diskuseffekte, die hysterische, pillengeeichte Körper ausagieren. Das sahen dann ausgerechnet die selbsternannten Anwälte des Bloggers Airen, der als betrogenes Autorensubjekt von ein paar gesampelten Sätzen bald ausfindig gemacht war, anders, während Airen, der auch mit um die 17 Fahrt durchs Berliner Nachtleben aufgenommen hatte, die Sache mit dem Plagiieren halb so schlimm fand.
In beiden Texten lauerte jedenfalls in der Berliner Nacht ein knallsüßer, sensibelharter Hedonismus, der mit dem Sex-&-Drugs-Tempel Berghain lockt und mit dem Kater droht. Kapitalismus und Depression hießen die Stichworte, wie sie schon in einer Volksbühne-Buchreihe ausgegeben wurden.
Kapitalismus und Depression
An ihrem 18. Geburtstag bekam Helene Hegemann die Rechnung dafür präsentiert, dass sie nicht wie erwünscht im Dauerdelirium den Spagat aus gern bestauntem Nihilismus und gern beklatschtem Idealismus der Generation Null ff. vorturnte. Das Feuilleton schickte Abordnungen zu ihrem Geburtstag, den sie frecherweise im Veteranen-Technoclub Tresor zu feiern beliebte. Man stellte hämisch fest: So wild ist die ja gar nicht! Die lacht sogar! Die langen Haare im Gesicht sind gar nicht das Kainsmal einer Satanistin, sondern der Schutzwall einer normalen jungen Frau oder vielleicht einfach nur eine Frisur, und die Party hat sogar fast was von »Kindergeburtstag«, wie es in einem Artikel hieß.
Der Feldforschungsbericht aus dem dunklen Kontinent Jugend stellte auch noch die Frage, ob das ganze vielleicht gar eine Performance für Erwachsene war und übersah dabei den blinden Fleck dieser Mutmaßung – nämlich den sozialen Ort der Frage, das Milieu einer bürgerlichen Erwachsenenwelt.
Google-Matura
Nun dürfen wir einen neuen 17-jährigen Helden bestaunen. Er hat nicht nur von Hegemann, sondern auch von Bret Easton Ellis einiges gelernt, der sein Debüt »Unter Null« rund um den Ennui eines 18-Jährigen Collegeboys angeblich auch mit 17 unter Speed-Einfluss in die Tasten gehämmert hatte. Der junge Mann heißt Jasper, und er ist so ziemlich genau das Gegenteil von Sebastian Kurz und Niko Pelinka. Jasper liest gern »Mein Kampf«, versucht im Sex-Chatroom zu Gratis-Strips zu kommen, schwängert im Rausch die, die er verlacht und weiß in wichtigen Momenten nicht, warum er nur darüber schreiben, aber nicht bereden kann, dass er »emotional querschnittgelähmt« ist und vom nuklearen Holocaust träumt, der ihn beim Sex übrig lässt.
Aber sonst ist Jasper eigentlich ein netter und vor allem ziemlich witziger Kerl. Er schießt Kalauer aus der Hüfte wie: »Ich bin nicht oberflächlich. Gesunder Geist, gesunder Körper.« Ausgestattet schon mit der Google-Matura, weiß er ganz gut darüber Bescheid, dass Psychologinnen das alles nicht so gut, dafür aber interessant finden und dass er als weißes Kind in einem Londoner Vorort doch ziemlich privilegiert ist und er nicht gerade politisch korrekt daherredet. Wenn ihm alles zuviel wird mit dem Wunsch nach mehr Sex als viel Sex, einer besseren Party als gestern und dem schlechten Gewissen darüber, dass man kein Gewissen hat und das auch noch ein bisschen verwegen findet, versucht er »sein Herz zu überreden, nicht mehr zu schlagen«.
Analverkehr ohne Stigma
Weil das aber nicht klappt, wird Jasper irgendwann noch ein aufgeweckter junger Mann werden, ich tippe mal auf Literaturstudent. Schließlich ist er ja schon im Roman des in England gefeierten Jungautors Ben Brooks selbst ein Schriftsteller, der sich für seinen Roman eine richtig derbe Vergewaltigungsszene einfallen lassen möchte, die er dann im Buch als unter Drogenverabreichung herbeigeschwindelten, einverständigen Sex mit dem Hauptobjekt seiner Begierde verwirklicht. Seine beste Freundin kommentiert die nächtliche Körperverschlingung so: »Das hört sich nach dem typischen Sex an, den das typische Teenagermädchen so hat.« Ach ja, eine Generation soll das alles natürlich auch mal wieder beschreiben. Da wir »Unter Null« schon lange hinter uns haben und X bis Y auch schon durch ist, bleibt nur eines übrig: »Wir sind die Generation, die dem Analverkehr sein Stigma genommen hat.«
Übrigens: »Grow Up«, auf Deutsch leider etwas unbeholfen mit »Nachts werden wir erwachsen« übersetzt, ist bereits der vierte Roman des nun 20-jährigen Ben Brooks. Brooks sieht mit seinen korrekt verwuschelten Haaren wie aus dem Alternative-Musterkatalog geschnitten aus. Er gibt sich in Interviews bescheiden und interessiert sich mit glaubhaftem Ernst vor allem für das, was ihn durch die Jugend begleitet hat: Bücher, die von Nicht-17-Jährigen handeln und von Nicht-17-Jährigen geschrieben sind.