Joseph Gordon-Levitts hinreißendes Regiedebüt »Don Jon« ist nach »The Look Of Love« und »Lovelace« ein weiteres Beispiel für das aktuelle Kokettieren des Indie-Kinos mit Porno. Schon wittern Filmfestivals und das Feuilleton einen Trend. Aber wie neu ist der Ausflug in die Tabuzone wirklich?
Dass aktuell so unterschiedliche Filme wie „The Look Of Love„, „Lovelace“ oder „Don Jon“ sich an Porno abarbeiten, wird vielerorts nicht unbedingt als launiger Zufall unter Drehbuchautoren aufgefasst. Das Thema liege eigentlich schon längst in der Luft, weil es treffend den Zeitgeist reflektiere. Denn welches Genre wäre besser geeignet, die Übersexualisierung unserer Gesellschaft zu reflektieren, die zwar zu nichts mehr wirklich Lust hat, aber ständig um die Perfektion der Körper kreist? Unter der sauberen Oberfläche der Correctness, die sich um geschlechtsneutrale Zustände bemüht, ist genau das Gegenteil entstanden, nämlich die vollständige Sexualisierung, die kaum einen Bereich von Werbung bis zu Medien und Politik verschont – zumindest am Rande werden überall ausführlich sexuelle Belange, Klischees oder auch Abartigkeiten thematisiert.
Keinesfalls neu ist es, dass Porno außerhalb der dafür vorgesehenen Adult-Zonen auftaucht. In praktisch jeder Dekade hielten Elemente und einzelne Stilmittel dafür her, Schamgrenzen und moralische Tabus im Independent- und infolge auch im Mainstream-Kino zu brechen und die Latte für noch nie Gezeigtes immer wieder höher zu legen. Explizite, drastische Bilder dienten dazu, eine offizielle Doppelmoral, menschliche Abgründe oder autoritäre Zwänge darzustellen. Naturgemäß begannen deshalb seit den 70ern – der Ära der sexuellen Revolution – XXX-Genre, Exploitation- und Autorenkino besonders stark zu oszillieren (siehe Kasten). Der ständige Versuch, am Mainstream anzudocken, Porno-Akteure in Hollywood und im Privat-TV salonfähig zu machen oder sie in Hauptrollen in Indie-Filmen unterzubringen, ließ sich schon von jeher als Werbekampagne in eigener Sache interpretieren.
The Look Of Love
Genau diese Industrie steht nun auch mehr oder weniger offensiv im Zentrum nostalgischer Betrachtungen in aktuellen Indie-Arbeiten. Michael Winterbottoms „The Look Of Love“ porträtiert das Leben der englischen King-of-Sleaze-Legende Paul Raymond, der im Swinging London der Sixties zunächst mit Nudie-Shows in Soho zum Selfmade-Millionär aufstieg. Mit Sex- und späteren Hardcore-Magazinen scheffelte er ein Vermögen, rief aber auch die Zensur im prüden Britannien auf den Plan, die er jedoch mit Bauernschläue niederzwang. In detailverliebtem Retro-Designs zeichnet Winterbottom ein durchaus charmantes, erst nach und nach rissig werdendes Bild eines skrupellosen Verfechters von sex sells, der sein Leben mit Champagner und Partys, Drogen und Sex verbrachte und privat auch mit der Upperclass oder den Beatles abhing.
Damit schlägt Winterbottom in eine ähnliche Kerbe wie zuvor schon Paul Thomas Anderson mit dem großartigen „Boogie Nights„(1997) oder Milos Forman mit „The People vs. Larry Flynt“ (1996). Die gemeinsame Prämisse: Es gab so etwas wie ein unschuldige Zeit der Sexindustrie, die ständig gute Laune hatte und für ebendiese auch sorgte. Sie repräsentierte eine schrankenlose Welt, hatte Glamour und Pop-Appeal, trug auch mit leichter Subversion zur überfälligen sexuellen Befreiung aller bei und entmachtete moralinsaure Autoritäten. Erst die 80er hätten die Branche dann mit überdimensionierten Silikonbusen, SM, Obszönitäten, Video und Geldgier in die Abgründe niedrigster Instinkte ohne Bildungsauftrag gestürzt.
Bei „The Look Of Love“ gelingt die Vermittlung dieser Botschaft noch halbwegs, vor allem, weil es Winterbottom schafft, unter dem Mäntelchen der Retro-Mania die mit Abstand meisten Nacktszenen der letzten Jahre in einem Kunstfilm unterzubringen. In »Lovelace«, das die Laufbahn von Linda Lovelace verhandelt, die die Titelrolle im Porno-Klassiker „DeepThroat“ spielte, wird hingegen belang- und teilnahmslose Geschichtsklitterung betrieben. In dem bei uns noch nicht angelaufenen Biopic wird die naive Linda zunächst zum Opfer ihres brutalen Ehemannes, kann sich von ihrer schmutzigen Vergangenheit aber „reinwaschen“, weil sie sich nach ihrer nur 21 Tage dauernden Pornokarriere als Frauenrechtlerin und Anti-Porno-Agitatorin engagiert.
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