Leerstand soll geöffnet werden, auch für Flüchtlinge. Die IG Kultur beschäftigt sich schon länger mit dieser Forderung. Weil sie in einem größeren Kontext gesehen werden muss.
Wien war schon früher eine vielfältige Stadt. Und die Stadt wächst. Wie kann Vielfalt aussehen, wenn mehr Dinge zusammen gedacht werden würden?
Eine andere Kulturpolitik #istnoetig, finden einige Stimmen in Wien, allen voran die IG Kultur. Sie hat gemeinsam mit anderen Kulturinitiativen und Kulturschaffenden fünfzehn Forderungen formuliert.
Wir haben Willi Hejda und Claudia Totschnig im Kulturzentrum Amerlinghaus getroffen und mit ihnen gesprochen. Größtenteils über den Leerstand in Wien und warum sich daran viele andere Probleme spiegeln.
Ihr habt 15 Forderungen zur Lage von Kunst und Kultur in Wien gestellt. Ist die neue Regierung in ihrem Regierungsprogramm darauf eingegangen?
Naja, nicht in den zentralen Punkten. Das Regierungsprogramm lässt viel Spielraum, es ist sehr vage. Das heißt in einzelnen Punkten ist es durchaus möglich, dass daraus etwas entstehen kann. Wenn wir etwas von der Regierung wollen, dann müssen wir jetzt aber lästig sein.
Ihr fordert eine Kulturpolitik gegen die Verwertungslogik, dafür eine Anpassung an soziale Gegebenheiten. Ist Leerstandöffnung für Flüchtlinge so ein Punkt?
Das ist ein Punkt, ja. Aber wir wollen keine Politik, die anlassbezogen handelt. Es geht darum, kontinuierliche Rahmenverhältnisse zu schaffen. Flucht und Migration ist ein Thema, aber das ist jetzt nichts Neues. Wir produzieren ja die Konflikte mit, die in anderen Teilen der Welt zur Folge haben, dass sich Leute auf die Flucht begeben. Insofern ist die Forderung nach der Öffnung von Leerstand eine weitergehende. Es geht darum, dass Kulturarbeit und der Kulturbegriff nicht abgekoppelt von den Verhältnissen, in denen wir leben, gedacht werden. Jeder Mensch hat ein Recht auf Stadt und ein Recht auf Selbstbestimmung.
Da gehört natürlich Existenzsicherung dazu. Als urbane Initiative geht es der IG Kultur viel um Stadtraum und dessen Gestaltung. „Leerstand für Flüchtlinge“ ist da eine Teilforderung. Wenn es um Kulturpolitik geht, dann geht es auch um eine Willkommenskultur. Die brauchen wir nicht nur in Zeiten von großen Migrationsbewegungen, sondern immer. Und wenn es um Leerstand geht, braucht es nicht nur jetzt eine Öffnung von Leerstand, sondern immer. Nicht nur Flüchtlinge brauchen selbstverwalteten Wohnraum. Das ist aber gerade ein starkes Thema und eine konkrete Verwendungsmöglichkeit für den Leerstand.
Wenn wir von dieser konkreten Verwendungsmöglichkeit sprechen: Seht ihr das im Sinne einer temporären Öffnung, also Erstversorgung oder als langfristige Öffnung?
Sowohl als auch. Sowohl im Hinblick auf Wohnraum, als auch im Hinblick auf Arbeitsraum. Es gibt Initiativen, für die eine punktuelle Öffnung eine Möglichkeit ist, aber es gibt genug andere, die keine Möglichkeit haben kontinuierliche Arbeit in einem leistbaren Raum zu machen. Das gilt natürlich auch für Geflüchtete, die vom Ausschluss nochmal anders betroffen sind, da sind wir noch verhältnismäßig privilegiert in unserem prekären Tun. Es ist wichtig, dass sich Stadtpolitik an den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet und nicht nur an Profitinteressen. Der Bedarf nach Raum muss mit dem eigentlichen Raum kurz geschlossen werden. „Da hat jemand keine Wohnung, hier steht etwas leer.“
Eigentlich ist es naheliegend, dass dort jemand wohnen könnte. Das Einzige was dazwischen steht ist Geld. Da kann man zum einen Notquartiere schaffen, aber es ist auch eine Möglichkeit, Menschen die hier bleiben wollen, in der Stadt unterzubringen. Nicht irgendwo am Stadtrand in einem Lager. Eine dauerhafte Bleibe braucht natürlich eine andere Struktur als ein Transitquartier. Doch im Endeffekt brauchen wir gemischte Wohnverhältnisse. Ein gutes Beispiel ist VinziRast. Das ist deswegen ein Erfolgsprojekt, weil dort Studierende und ehemals Wohnungslose gemeinsam wohnen. In einer Großstadt ist soziale Durchmischung notwendig.
Ist da die Politik der richtige Ansprechpartner? Viele Gebäude, die leer stehen, sind ja Privatbesitz. Wäre es nicht logischer direkt an Hausbesitzer heranzutreten?
Das auch. Aber das Recht auf Wohnen ist ein menschliches Grundrecht. Wenn das Recht auf Eigentum höher gestellt wird, ist das ein Thema, womit man die Politik konfrontieren sollte. Wie wird das gesteuert? Warum wird das zugelassen? Der Leerstand ist dazu da, Profitinteressen von Spekulanten und Spekulantinnen zu bedienen. Wenn man hier ansetzt und eine Meldepflicht fordert, kann man die Politik nicht raushalten. Das ist natürlich ein Agieren auf zwei Ebenen. Es ist aber wichtig, auch wenn es nicht leicht ist, der Politik gegenüber Druck aufzubauen. Da braucht man einen langen Atem.
Aber wir sehen ja, dass Geld da ist. Nur landet es nicht im Kunst- und Kulturbereich oder in der Sozial- und Bildungsarbeit. Die Leute, die am Bahnhof dolmetschen oder helfen, machen das unbezahlt. Das ist teilweise auch arg, dass diese Arbeit von Leuten einfach gemacht wird, die haben ja mit traumatisierten Menschen zu tun. Man müsste den Helfern zumindest eine Struktur ermöglichen, wo sie Supervision oder Weiterbildungen bekommen.
Was den Leerstand betrifft: Es gibt immer noch keine Liste von Gebäuden, die der Stadt Wien gehören, hier kann die Politik für Transparenz sorgen. Dann könnte man zuerst einmal über den Leerstand dort reden. Anreize wie ein Besetzungsparagraph oder eine Leerstandsabgabe würden mehr Druck auf Privatbesitzer ausüben. Wir reden ja nicht von Wohnungen, die ein halbes Jahr zur Renovierung leer stehen, sondern von Häusern die bewusst leer gehalten werden und als Spekulationsobjekte dienen.
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