Selbstkontrolle kostet in Wien 20 Cent

Sie sind alt, schmutzig und ein bisschen heruntergekommen. Sie stehen am Karlsplatz, Schottentor und entlang des Rings. Nein, es handelt sich nicht um Schwarzkappler. Es geht um öffentliche Personenwaagen.

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Eine Zeitmaschine? Ein Süßigkeitenautomat? Einfach nur ein Requisit aus Monarchie-Zeiten? Wer Wien kennt, dem sind die antiken Standwaagen im öffentlichen Raum mit Sicherheit schon einmal aufgefallen. Diese verwundern heutzutage nicht nur den ein oder anderen Bewohner Wiens und sorgen mitunter bei Touristen für neugierige Augen. Schon zu Kaiserzeiten stifteten die antiken Standwaagen Verwirrung. So dachten die Stadtbewohner früher tatsächlich, es käme Schokolade aus dem Automaten.

Trendhobby Wiegen

Zu Zeiten der Industrialisierung waren Waagen noch eine der modernsten technischen Neuheiten, die in Wien zu Ehren des Kaisers vorgestellt wurden. Die Personenwaagen von C. Schember und Söhne galten als eine der ersten Münzautomaten in Europa. Während man in den USA bereits in die Technik sämtlicher Süßigkeiten- und Spielzeugautomaten eingeweiht war, musste man sich in der österreichischen Hauptstadt erst an die Innovation gewöhnen.

So gab es anfangs Beschwerden, dass man zwar Geld in die Personenwaagen gegeben hätte, die ersehnte Schokolade allerdings ausblieb. Wo schon die Rede von Schokolade ist, die Menschen hatten damals weniger Scham, was die Überprüfung des eigenen Körpergewichts betraf. Laut Peter Payer, Historiker und Stadtforscher, überwog die Faszination, auf einfache und billige Weise sein Körpergewicht erfahren zu können.

Aus Vergnügen wurde Scham

Die Modelle, die man heute in der Stadt findet, sind teilweise fast Originale. Sie bestehen aus einem Podest, das mit einem kastenförmigen Metallkorpus verbunden ist, der den Einwurfschlitz für die Münzen und – in Augenhöhe und hinter Glas – eine runde Anzeige mit Kilogramm-Skala und Zeiger aufweist. Das Design der Waagen durchlief nur einige kleine Anpassungen, was auch währungsbedingt war. So kostete das Wiegen früher noch drei Kreuzer, später zehn Groschen, dann einen Schilling, bis dieser bei der letzten Währungsreform von 20 Cent abgelöst wurde.

Die Farben der Waagen sind nicht unauffällig, vor allem die roten Modelle sorgen beim Vorbeigehen für Aufmerksamkeit. In der Zwischenkriegszeit verbreiteten sich die öffentlichen Personenwaagen in Wien immer mehr, es kamen neue Hersteller dazu, so auch das niederländische Unternehmen Van Berkel, deren Logo die Waagen heute noch ziert. Als die schwerste Nachkriegsnot überwunden war, zögerte man im genussfreudigen Wien auch nicht, sich der Wohlstands- und Konsumgesellschaft hinzugeben. Sehr zum Bedauern der Gesundheit von einigen, denn neben dem erhöhten Alkoholkonsum kam es auch immer häufiger zu Gewichtsproblemen.

Was also vorher noch als Vergnügen galt, wurde später von Schönheitsidealen und Körperbewusstsein stark beeinflusst. Vor allem Frauen wurden Zielobjekte von Satiresprüchen und Karikaturen, die deren „Gewichtsprobleme“ belächelten. So enthielten spätere Modelle auch Aufschriften wie "Im Interesse Ihrer Gesundheit prüfen Sie Ihr Gewicht!" Sogar das, was wir heute unter Body Mass Index kennen, konnte man sich für zehn Groschen errechnen lassen.

Krise

Schönheitsideale aus Hollywood, athletische Körper und sämtliche Wunderdiäten aus den USA machten es den Europäern nicht leicht, sich nicht auch dem Schlankheitswahn hinzugeben. Das öffentliche Wiegen wurde eher tabuisiert und in das eigene Badezimmer verlegt. So kam es in den 1970er Jahren zu einer Krise und Reduzierung im Geschäft der Personenwaagen, Ende der 70er stellte die Firma Berkel dann die Produktion endgültig ein.

Schließlich wurden die Waagen von Andreas und Karin Popp aus dem Burgenland übernommen und sind auch heute noch in deren Besitz. Was auch der Grund ist, warum diese noch bestehen: Denn auch wenn das Wiegen lediglich 20 Cent kostet, verdient der Besitzer auch heute noch an dem "Waagenmonopol". Und nicht zu vergessen, sind die Waagen einfach eine "Spielerei im öffentlichen Raum", wie Payer es formuliert. Sie gehören zum Wiener Stadtbild dazu. Von offizieller Seite werden sie geduldet.

Die Waagen sind immer noch ein Zeichen dafür, dass Wien einst eine Kaiserstadt war – und wie so manch anderes in Wien ein Überbleibsel aus alten Zeiten. Ein Entfernen der antiken Standwaagen würde einer Abschaffung von Wienerlied, Fiaker und Sacher Torte gleichkommen. Auch wenn alte Straßenbahnen-Garnituren einfach ungemütlich sind und der Pferdemist der Fiaker nun mal bestialisch stinkt. Die Waagen bleiben.

Bild(er) © Silvia Kluck
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